Anstrengend aber kurz

Jens Eisel – Hafenlichter.

Kurzgeschichten laufen ja im Buchhandel bekanntlich nicht so gut wie ein dicker, fetter Roman. Ich weiß jetzt auch warum.

Hafenlichter ist ein 140 Seiten umfassendes Buch mit 17 Kurzgeschichten. Es klingt paradox – aber diese dünne Sammlung am Stück zu lesen, ist wesentlich anstrengender als das Lesen eines langen Romans. Es erfordert mehr Konzentration und Motivation. Denn man fängt mit jeder Geschichte immer wieder neu an, sich in einen Plot hineinzudenken, sich den Protagonisten vorzustellen, sich ein Bild von der Umgebung zu machen, in die Geschichte einzusteigen. Das erfordert vom Leser die höchste Aufmerksamkeit. Wenn man einmal durch davonschweifende Gedanken etwas nicht mitbekommen hat, kann man gleich wieder von vorne anfangen. Die Chance, dass man sich das fehlende Puzzle-Stück irgendwann im Verlauf der Handlung wieder erschließen kann, ist bei zehn Seiten pro Story eher gering.

Und dann ist da noch die Motivation. Die muss hoch sein, um bei jeder neuen Geschichte wieder neu einzusteigen, wieder eine erste Seite zu überstehen, sich auf eine neue Stimmung, einen neuen Ort und neue Akteure einzulassen.

Mir hat die Lektüre der Hafenlichter am Anfang gut gefallen. Eisel baut interessante, stimmungsvolle Szenarien auf, führt die handelnden Personen liebevoll ein. Und wenn dann alles vor dem inneren Auge des Lesers steht, man eigentlich richtig loslegen könnte mit der Geschichte, dann ist sie auch schon wieder vorbei. Bei den ersten zwei, drei Stories fand ich diesen Effekt noch ganz witzig. „Ahhh ja…interessant“, dachte ich, er lässt einiges einfach im Raum stehen, wir Leser sollen uns unseren Teil denken. Die Geschichte in Gedanken weiterspinnen, ausschmücken, nachverfolgen. Hab ich auch gemacht – ist auch anstrengend aber gut.

Doch dann wurde mir das zu nervig. Immer wieder diese bedeutungsschwangeren Abbrüche. Keine echten Cliffhanger, sondern nur so ein banales Ausplätschern der Geschichte. Wir verfolgen zum Beispiel einen Automechaniker, wie er von seiner Werkstatt in eine Kneipe geht, dort zu Abend isst, dann nach Hause geht, tiefsinnig und vielsagend aus dem Fenster schaut, das Fenster wieder schließt und ins Schlafzimmer geht. Fertig, aus – das war’s. Nächste Geschichte.

Es gibt bestimmt viele Leser und Lesesituationen, für die Hafenlichter exakt die richtige Lektüre ist. Für mich ist das nichts. Ich warte lieber bis Jens Eisel mal einen richtig dicken, fetten Roman geschrieben hat. Denn ich glaube, der Open-Mike-Preisträger hat das Zeug dazu.

Gelesen: Dezember 2014
Foto: Gabriele Luger

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Übrigens: Der Piper-Verlag rührt für das Buch mächtig die Werbetrommel. Nicht nur, dass das Buch bei Amazon ins Vine-Programm aufgenommen wurde und dadurch viele Rezensionen bekommen hat, auch dieser sehr stimmungsvolle Film zeugt davon:

4 Kommentare

  1. Auch ich finde es manchmal schwierig, Kurzgeschichtensammlungen am Stück zu lesen; oft brauchen die einzelnen Stories Luft zum Atmen, Raum zum Entfalten. Ich habe Jens Eisels „Hafenlichter“ zwar noch nicht gelesen, kann mir aber gut vorstellen, dass auch er etwas Zeit braucht, um nachzuwirken. Ich muss bei ihm nämlich immer an unsere verpasste Chance denken: Er hat unserer Literaturzeitschrift schon vor Jahren die Kurzgeschichte „Hunde“ angeboten – und wir haben ihn mit knapper Mehrheit und in letzter Sekunde abgelehnt, obwohl uns sein Text durchaus gefallen hat. Nun: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Vielleicht hat er sich in den knapp drei Jahren ja auch noch einmal stark weiter entwickelt. Deine Rezension ist trotz aller Kritik auf jeden Fall eine gute Anregung, um mal ins Buch hineinzulesen!

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