Ein Buch, um sich zu finden

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Nino Haratischwili – Juja. 

Das Buch ist pink und der Titel „Juja“ klingt etwas kindisch. Das und der Einband ohne Schutzumschlag lassen eher auf einen Jugend-Roman schließen. Juja, das könnte die Geschichte eines rebellischen Teenagers sein, der von Zuhause wegläuft. Oder ein Pferd, das von der Wettmafia aus dem Stall geklaut wird. Aber weit gefehlt. Der Name „Juja“ steht für einen Menschen, den zu lieben es sich lohnt und von dem geliebt zu werden, sich noch mehr lohnt. Dass solche Menschen nicht einfach zu finden sind, viele daran scheitern, ihr Leben mit dem Falschen verbringen, das alles weiß man oftmals erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter. Also kein Teenager-Roman, sondern Pathos- Literatur par Excellence für Erwachsene.

Gerade habe ich das Buch tief bewegt aus den Händen gelegt. Wieder mal ein beeindruckendes Werk von einer Frau geschrieben, wieder ein Meisterwerk von Nino Haratischwili. Für mich das dritte Buch, das ich von ihr gelesen habe, doch eigentlich ihr Debüt. Mit Juja hat sie es 2010 bereits auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Von mir damals gar nicht wahrgenommen. Erst 2014 habe ich diese wundervolle Autorin entdeckt. Und was soll ich sagen? Auch dieser Roman ist einfach wunderbar und hinterlässt einen bleibenden Eindruck.

Doch muss ich zugeben, dass ich ein wenig Startschwierigkeiten hatte. Die ersten hundert Seiten tat ich mich schwer. Verschiedene Erzählfiguren, Handlungsstränge, Zeiten und Orte mussten erst einmal identifiziert, sortiert und zugeordnet werden. Die Autorin lässt den Leser damit bewusst alleine. Wenn man wie ich gar nicht wusste, worum es bei diesem Roman geht, gestaltet sich die Lektüre ein wenig anstrengend. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ohne Kenntnis ihrer beiden weiteren Romane nicht vorzeitig abgebrochen hätte.

Aber so blätterte ich ab und zu mal zurück, ordnete für mich die einzelnen Frauenfiguren den Erzählsträngen zu und war nach 100 Seiten voll und ganz drin in der Geschichte. Der Plot ist ganz interessant könnte aber auch von Carlos Ruiz Zafon stammen. Ein kleines Buch, angeblich von der 17-Jährigen Selbstmörderin Jeanne Saré geschrieben, treibt jede Menge weitere Frauen in den Tod. Als Leser verfolgen wir verschiedene Charaktere, die zwischen 1953 bis 2005 auf unterschiedlichste Weise mit Saré und ihrem Buch in Verbindung stehen. Wie gesagt, am Anfang etwas verwirrend, aber wenn man alle Figuren geordnet hat, kommt Fahrt auf und es liest sich recht spannend.

Und obwohl ich nicht vorhabe, mich demnächst umzubringen, stellte ich beim Lesen fest, was da erzählt wird, ist auch ein Stück weit meine Geschichte. Denn auch ich bin ein Leser, der prinzipiell immer nach Antworten sucht. Antworten auf Fragen, die ich mir noch gar nicht gestellt habe. Eine der Protagonistinnen, Francesca, bringt es auf den Punkt: „Die Geschichte (des Buches von Saré) selbst erzählt nichts, aber sie gibt Dir die Möglichkeit dich darin wieder zu finden“.

Ich glaube genau das unterscheidet gute von weniger guter Literatur. Nicht dem Leser Antworten geben, sondern die Möglichkeit, die richtigen Fragen zu stellen. Pathos nicht aus jeder Buchseite tropfen lassen, sondern eher beiläufig im Kopf des Publikums zu erzeugen. So dass man am Ende das Werk innerlich aufgewühlt aus der Hand legt und sich fragt, was mit einem passiert ist. Dann, ja dann hat man wohl ein richtig gutes Buch gelesen.

Gelesen: Dezember 2014
Foto: Gabriele Luger

9 Kommentare

  1. Ein wunderbares Kriterium: „Nicht dem Leser Antworten geben, sondern die Möglichkeit, die richtigen Fragen zu stellen”. Darf ich das gelegentlich zitieren? 😉

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  2. Mein sanfter Zwilling und Das achte Leben habe ich geliebt – Juja steht noch ungelesen im Regal. Schön, dass du mich dran erinnerst, ich werde es bald zur Hand nehmen. Zumal ich mir für dieses Jahr ohnehin vorgenommen habe, mich mehr auf die vorhandenen Bücher zu konzentrieren (denn derer gibt es genug für mindestens zwei Jahre), statt immer neue zu kaufen.

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    1. Dass ich Nino für mich entdeckt habe, verdanke ich (den) Schöne(n) Seiten. Ich folge Dir seit einiger Zeit bei Facebook. Und auch die Idee, einen eigenen Blog zu starten, hast Du inspiriert. Danke dafür!

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  3. Schön, klingt sehr lesenswert.
    Besonders gefiel mir auch der Satz in deinem letzten Absatz zum Thema Fragen und Antworten, ähnliches schrieb ich kürzlich selbst im Zusammenhang mit Prousts „Tage des Lesens“, der wiederum sehr richtig formulierte: „Und es ist tatsächlich eine der großen und wunderbaren Eigenschaften der schönen Bücher […], dass sie für den Autor ‚Schlussfolgerungen‘, für den Leser jedoch ‚Anreize‘ heißen können.“

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