Katz-und-Maus Spiel

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Steven Uhly – Königreich der Dämmerung.

Steven Uhly kannte ich bisher nicht. Und ohne sachkundige Blogger-Empfehlung hätte ich seinen neuesten Roman auch nicht in die Hand genommen. Der Titel zu schnulzig, die Story rund um Holocaust, Vertreibung, Wiederaufbau und Neuanfang nicht gerade neu. Obendrein hatte ich noch ein paar andere Bücher, die ungelesen zu Hause auf mich warteten. Aber Königreich der Dämmerung wurde gut besprochen und wärmstens empfohlen. Karen Köhler und Nino Haratischwili kannte ich vorher auch nicht und beide haben sich als große Entdeckungen herausgestellt.

Wenn man Uhlys Roman erst einmal in den Händen hat, kann jeder analoge Bücherfreund eigentlich auch nicht mehr zurück. Der schweizer Secession-Verlag hat dem 650 Seiten starken Roman nämlich eine sehr liebevolle und hochwertige Aufmachung spendiert. Ich liebe ja Hardcover ohne Schutzumschlag. Das Coverbild, die blauen Innenklapper, das Papier, die Typo, die Paginierung – alles besonders geschmackvoll und schön.

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Mit der Erwartung eines außergewöhnlichen Lesevergnügens bin ich also in dieses Buch eingestiegen und die ersten hundert Seiten auch nicht enttäuscht worden. Die Story rund um verschiedene Einzelschicksale in der Endzeit des zweiten Weltkrieges hat sich zunächst gut entwickelt. Ich fühlte mich wohl beim Lesen, die Sprache Uhlys gefiel mir, und ich war gespannt, wie sich die Geschichten rund um die Protagonisten Anna, die Familie Kramer und Lisa entwickeln würde.

Doch mit jedem Kapitel kamen immer mehr Personen dazu, und ich fing an, den Überblick zu verlieren. Wer war jetzt noch mal Sarah? Welche Gudrun, welcher Heinrich ist da jetzt gemeint? Alle drei bis vier Seiten wechselt Uhly die Erzählperspektive, macht Zeitsprünge, bringt neue Figuren ins Spiel, gibt bereits eingeführten Personen neue Namen und lässt bei allem seine Leser zunächst einmal im Dunkeln tappen. Ich liebe es ja, von meiner Lektüre gefordert zu werden, erwarte von einem Autor aber, dass er auch auf Leser Rücksicht nimmt, die nicht immer zu 100 Prozent konzentriert dabei sind.

Wenn man dann auch noch ein, zwei Tage nicht zum Lesen kommt und das Buch wieder zur Hand nimmt, dann wird es noch schwieriger. Ich merkte, wie ich so langsam aber sicher die Geduld mit diesem Werk verlor. Als Uhly dann auch noch anfing, statt ein wenig Ordnung in die Geschichte zu bringen, surreale Kapitel mit assoziativen Gedankenströmen einzubauen, wusste ich, dass ich dieses Buch nicht zu Ende lesen werde.

Auf Seite 400 bin ich dann ausgestiegen. Und während ich das hier schreibe, bin ich auch immer noch ziemlich sauer auf den Autor. Denn ich hätte die Geschichte gerne weiterverfolgt, hätte gerne erfahren, was aus Anna und Lisa geworden ist. Es hätte nicht viel bedurft, dem Roman ein wenig Ordnung und Struktur zu geben. Stattdessen wurde daraus ein literarisches Katz-und-Maus-Spiel gemacht. Schade.

Titelfoto: Gabriele Luger

Rezensionen von anderen Bloggern.

Die von mir sehr geschätzte Masuko13 hat eine etwas andere Meinung zu diesem Werk: https://masuko13.wordpress.com/2014/09/15/steven-uhly-konigreich-der-dammerung/

Auch die Klappentexterin ist voll des Lobes. Dabei würde mich interessieren, ob sie das letzte Drittel noch geschafft hat.  https://klappentexterin.wordpress.com/2014/12/14/2014-bucher-die-mich-glucklich-gemacht-haben/

Spannend wie einen Krimi, findet Ruth Justen den Roman:
http://ruthjusten.de/steven-uhly-koenigreich-der-daemmerung#more-2793

6 Kommentare

  1. Ja, du sprichst mir aus der Seele. Das heißt – nicht ganz. Denn mein Problem mit dem Roman waren nicht die vielen Figuren und Fäden, genau genommen kann ich mein Problem noch gar nicht richtig benennen. Ich werde in den nächsten Tagen auf jeden Fall noch mal meine Gedanken dazu sortieren, dem ominösen Problem auf den Grund gehen und eine eigene Besprechung verfassen… Fakt ist aber, dass ich wie du irgendwann die Lust verloren habe (auch wenn ich bis zum Ende durchgehalten habe), die Erwartungen wurden leider nicht erfüllt, auch wenn viel Gutes in dem Buch steckt.

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    1. Hallo Caterina,

      bei mir kamen natürlich auch mehrere Faktoren zusammen, die die Lesestimmung getrübt haben. Die Fülle an Figuren hätte ich mit ein wenig mehr Konzentration und Zurückblättern leicht ordnen können, wenn ich denn Lust dazu gehabt hätte. Aber die Leselust ist mir im Verlauf der Geschichte abhanden gekommen. Und wenn ich genau nachdenke, dann exakt zu dem Zeitpunkt als der Krieg vorbei war und die Palästina-Thematik in den Vordergrund trat. Ein echtes, bewegendes Highlights war noch der Brief aus der Gefangenschaft vom Bauer Kramer. Danach gab es in meinen Augen einen Bruch in der Lesestimmung.

      Bin gespannt auf Deine Gedanken dazu.
      LG Tobias

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      1. Den Brief fand auch ich sehr beeindruckend – eine der Passagen im Buch, die am meisten unter die Haut gehen. Das war der Punkt, an dem ich dachte: Wow, jetzt haut es mich vielleicht doch noch um. Aber es geschah dann genau das, was du beschreibst …

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  2. Wirklich schade, dass der Funke bei dir nicht übergesprungen ist.
    Dennoch finde ich es gut, eine kritische Stimme zu hören. Da hinterfrage ich dann auch gern mal die eigene Begeisterung.
    Doch die ist ungebrochen – ich mochte den Roman einfach zu sehr.

    Einen schönen Rest-Sonntag!

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    1. Ja, ein Buch, das jedem gefällt, ist auch schon wieder verdächtig. Und wenn wir hier alle einer Meinung wären, könnten wir das Bloggen auch gleich lassen.
      Insofern alles gut.

      Liebe Grüße nach Berlin.

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