Literarische Helden (4) – Jack Kerouac

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„Ich hab Dir etwas mitgebracht,“ sagte mein alter Deutschlehrer und reichte mir ein pink-rotes Taschenbuch. Ich war siebzehn und lag mit Verbrennungen an den Oberschenkeln im Krankenhaus. Fünf Tage im Acht-Mann-Zimmer auf der Chirurgischen.

Dieser Mann an meinem Krankenbett war etwas ganz Besonderes für mich. Lehrer, Mentor und so etwas wie mein Vorbild – auch wenn ich das damals nie zugegeben hätte. Er hat meine Leidenschaft für die Literatur geweckt. Gelesen hatte ich schon immer viel, alles Mögliche, querbeet. Aber erst er hat mir gezeigt, dass Lesen mehr sein kann als nur spannende Unterhaltung. „Du musst Bücher lesen, die Dich als Persönlichkeit weiter bringen, die Dich inspirieren, abstoßen, anziehen, etwas in Dir zum Klingen bringen. Denn Du bist, was Du liest.“

Ich betrachtete das mitgebrachte Buch. Jack Kerouac – Unterwegs. „Nie von gehört.“ „Dann wird es Zeit. Generell solltest Du den Hesse mal beiseite legen und langsam etwas Cooles lesen. Es ist mein Exemplar, aber Du kannst es behalten. “

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Ich bin ihm bis heute dafür dankbar. Wenn er mich nicht auf eine neue Spur gebracht hätte, wäre ich vielleicht ein schrulliger Esoteriker geworden. Neben der Hesse-Lektüre fing ich damals an, mich mit Lao Tse und dem I-Ging Orakel zu beschäftigen. Kein Wunder, dass ich noch keine Freundin hatte.

Doch dann trat der wilde Jack in mein Leben. Keine feinfühlig, blumige und zarte Sprache mehr, sondern coole Sprüche, Sex, Drogen und Rebellion. Eine völlig neue Welt tat sich für mich auf. Mit offenem Mund las ich mich durch die Seiten. Und als ich den Roman durch hatte, war ich ein anderer Mensch.

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Auf dem Klapper der vergilbten Taschenbuch-Ausgabe aus dem Jahr 1979 wird „Unterwegs“ wie folgt beschrieben: „Das literarische Manifest einer Jugend, die inmitten der schlechtesten der Welten ein dröhnendes Bekenntnis zum glückseligen Leben ablegt.“

Jack Kerouac hat mir die Augen geöffnet, mich verändert. Er hat leider nicht lange gelebt, aber das wenige, was er geschrieben hat, hab ich auch gelesen. Und obwohl es schon ziemlich lange her ist, weiß ich noch wie heute was seine Bücher in mir ausgelöst haben. Hesse war von da an für mich abgemeldet, seine Sichtweise verkehrt, zu schwach, dem Untergang geweiht. Kerouac war anders. So gut aussehend, so stark, so lebendig. Er hat sich vor dem Leben nicht verkrochen. Er und seine Buddys Ginsberg und Burroughs haben sich allem entgegengestellt, den Konventionen, den gesellschaftlichen Zwängen. Sie haben den reaktionären Dreck bekämpft. Auch den Dreck in sich selbst. Nichts auslassen, alles denken, alles spüren, sich nicht anpassen, den eigenen Weg finden und am Ende vielleicht glücklich werden. Das war die Beat-Generation.

Kerouac hat das gelebt. Trotzdem hat er es nicht geschafft, am Ende glücklich zu werden.

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William Burroughs und Jack Kerouac (fotografiert von Alan Ginsberg).

Ich weiß nicht, ob ich Kerouacs Werke heute noch gut finden würde. Ganz bestimmt nicht, denn ich bin schon lange kein zorniger, junger Mann mehr. Das Establishment, gegen das er und ich damals aufbegehrt haben, verkörpere ich in Teilen heute selber. Aber es ist schön zu wissen, dass da mal eine wilde Flamme in mir loderte.

Du bist was Du liest – hat mein Deutschlehrer gesagt. Und das stimmt. Als ich damals Kerouac gelesen habe, war ich Rebell. Ich war cool und unangepasst, ein kleiner Beatnik in der niedersächsischen Provinz. Und plötzlich hatte ich auch eine Freundin.

Ich weiß nicht, ob Kerouac heute bei der Jugend noch so angesagt ist. Jede Generation hat ja ihre eigenen Helden. Gibt es einen modernen Kerouac? Vielleicht Christian Kracht oder Clemens Meyer? Oder heißen die literarischen Helden heute nicht vielmehr Tollkien, Rowling und Stefanie Meyer?

Du bist, was Du liest. Heutzutage wohl eher kein Rebell, sondern ein Hobbit, ein Zauberer oder Vampir.

21 Kommentare

    1. Jugendliche schauen Youtube und daddeln auf der Playstation. Wenn überhaupt, dann lesen noch die Mädchen. Auch ich bin daran gescheitert, meine beiden Söhne für Bücher zu begeistern. 😦

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      1. Nicht aufgeben! Ich glaube, die Vorliebe für Bücher kommt später, mit 25, 30 und aufwärts. Wenn die Playstation auf dem Dachboden verstaubt.

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  1. Danke für diesen wunderbaren Beitrag – ich habe Kerouac versucht mit 16 zu lesen, damals aber keinen Zug gefunden. Ich war auf ihn gestoßen, als ich mich durch die heimische Bibliothek las. Vielleicht sollte ich ihm nun noch einmal eine zweite Chance geben!

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  2. Oh, man! Kerouacs „On the Road“ war für mich mit ca. 20 Jahren ebenfalls eine Art von Offenbarung. Rebellion, so schrie es beim Lesen auch in mir. Nie vergesse ich seinen Satz, wer für ihn die wahren Menschen sind … es sind die Verrückten, die verrückt danach sind zu leben, zu lieben … (so in etwa)
    Bei uns in der Buchhandlung wird wirklich oft nach diesem Buch gefragt. Das ist wie mit Salingers „Fänger im Roggen“. Solche Romane sterben nie.

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      1. Ja, genau. Fantasy lassen wir einfach mal raus, das ist eine eigene Welt.
        Ich könnte mir T.C.Boyle vorstellen. Er ist ja auch so herrlich unangepasst und übrigens einer meiner literarischen Helden. Ich denke, auch an Herrndorfs „Tschick“.

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      2. Boyle hab ich noch nichts von gelesen. Den lehne ich irgenwie von Anfang an ab. Sehe aber dass auch unter den anspruchsvollen Bloggern einige grosse Stücke auf Ihn halten, so wie Du. Vielleicht sollte ich ihn mal antesten. Und Tschik war mir klar. Ich habe das Buch auf Amazon als nettes aber belangloses Jugendbuch bezeichnet und wurde daraufhin beschimpft und runterbewertet. Christian Kracht?

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      3. Hab mal was probiert von Christian Kracht. War nicht mein Fall. Ich glaube, man liest ihn aus anderen Gründen, ich würde ihn nicht mit Kerouac vergleichen. Magst du Kracht?

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      4. Ist Fantasy das? „eine eigene Welt“? Nur weil die Geschichten in eigenen, scheinbar anderen Welten spielen? (Und etliches grausig geschrieben, aber das gilt nicht nur für F.) – Ja, zum Teil. Der andere Teil ist das Hier & Jetzt in abstrahierter Form. Und vielleicht auch der drängende Wunsch, mehr zu sein als nur ein verzichtbares Rädchen im Amok laufenden Weltgetriebe.
        Nur so als Nebengedanke. Auch zu Kerouac. Und zu „Held“.

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  3. Ich fand Kerouac toll und irgendwie finde ich ihn immer noch toll. Er hat mir eigentlich Amerika eröffnet, dass in meinen zwanzigern wegen Reagan eigentlich eine No go Area war 😉 Mein tollstes Erlebnis war ein Solo Trip Cross Country und ich saß an einem rauschenden Gewässer im Yellowstone park, mutterseelenallein und las der Natur laut Jack Kerouac vor. Ich fühlte mich damals so derart großartig! Mit diesem Lebensgefühl wird er für mich für immer verbunden sein! Freiheit, man selbst sein, Weite, sich was trauen und aus der Norm raus gehen. Und ich denke, dieses Lebensgefühl würde er auch heute noch für Leserinnen und Leser ausstrahlen, die das suchen. Ich glaube, das gerät nie wirklich aus der Mode. Ist aber sicher eine Typsache.

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  4. Mit Kerouac geht’s mir ähnlich, ganz wichtiger Autor für mich. Mir hatte es vor allem „Gammler, Zen und hohe Berge“ angetan. Ich glaube auch nicht, dass man die Bücher heute nicht mehr gut finden würde. Vielmehr sollte man die Bücher gelegentich zur Hand nehmen und sich daran erinnern, dass diese „wilde Flamme“ auch immernoch irgendwo sein könnte. Und da die Originalfassung ja auch erst vor ein paar Jahren veröffentlicht wurde, lohnt sich eine erneute Lektüre sicher zusätzlich.
    Kerouac und die Beschäftigung mit der Beat Generation haben mir ungefähr in dem gleichen Alter einige literarische Türen geöffnet – sowohl innerhalb als auch davon ausgehen. Dostojewski und Baudelaire wurden ja ständig erwähnt und natürlich schaut man auch, welche Impulse dann von diesen Autoren ausgingen.

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    1. P.S.: Gilt Chuck Palahniuk inzwischen noch als zeitgenössisch? Hm, Strobo von Airen ist auch so ein Fall, bei dem ich gemerkt habe, dass es auf ein paar zukünftige Abiturienten durchaus den Kerouac-Effekt entfaltet. (Aber auch Kerouac bewirkt noch immer den Kerouac-Effekt!)

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  5. Chuck Palahniuk kenne ich nur in der Verfilmung. Aber so erreicht man die Jugend ja heutzutage: erst der Film und dann das Buch. Bret Easton Ellis wäre noch ein Kandidat für mich. Hier bei uns in Deutschland hat ja Wolfgang Herrndorf einen leichten Kerouac-Effekt entfaltet, nicht zuletzt durch seinen frühen Tod. Ich persönlich kann das allerdings nicht nachvollziehen.

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  6. Ich habe ebenfalls alles von Kerouac gelesen, ich glaube, mit 17 oder 18. Auch von seinen Weggefährten, Ginsberg, Bill Burroughs, Gary Snyder, Herbert Huncke, Neal Cassady. Ich habe erst gestern wieder in die ersten Seiten von „on the road“ reingelesen – für mich hat es nichts von seiner Magie verloren.

    Ich glaube nicht, dass es ein deutsche Äquivalent zu Kerouac gibt. Man kann diesen Stil nicht reproduzieren, glaube ich, ohne zu kopieren und epigonal zu klingen.

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  7. Kerouac – Mit 20 das erste Mal gelesen und alles drumherum begeistert mich, fast 10 Jahre später, noch immer. Kürzlich las ich ein Buch einer seiner Exfreundinnen und demnächst möchte ich mir zu meinem persönlichen Kerouac-Jubiläum die engl. Version von „Unterwegs“ schenken.

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    1. Meine Ausgabe von „Unterwegs“ ist übrigens die gleiche, wie oben auf dem Bild. Eine Second Hand-Version aus dem Internet. Meiner Meinung nach noch immer die schönste auf dem deutschen Markt.

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