Michel Houellebecq – Unterwerfung

Was soll man über ein Buch noch schreiben, zu dem sich schon die gesamte intellektuelle Elite des Landes geäußert hat? Was kann ich noch beisteuern, das nicht schon gesagt, gedacht, gemutmaßt wurde? Wer will das noch lesen? Ich weiß es nicht und schreibe einfach mal drauflos. Vielleicht entsteht ja auf den kommenden Zeilen noch irgend etwas Neues. Ein neuer Gedanke, eine neue Interpretation, eine etwas andere Sicht auf das Enfant terrible der europäischen Gegenwartsliteratur.

Ich bin Houellebecq-Fan seit der ersten Stunde. Er war als Autor zwar nie ein Geheimtipp, aber wer sich nicht mit Literatur beschäftigte, kannte ihn auch nicht. Das hat sich innerhalb der ersten beiden Monate des Jahres 2015 schlagartig geändert. Houellebecq hat mittlerweile den Bekanntheitsgrad eines Brad Pit erreicht. Jeder kennt ihn, jeder hat eine Meinung zu ihm, beinahe jeder geht wegen ihm in eine Buchhandlung und kauft das Buch, über das derzeit alle reden.

Gäbe es einen Grammy für Bücher, Unterwerfung würde ihn, müsste ihn bekommen. Und den Oscar und den Bambi noch dazu. Kaum ein Roman hat sich in den letzten Jahren besser verkauft. Kaum ein Autor hat allein durch sein Erscheinungsbild so polarisiert und kaum ein Thema so in die Zeit gepasst.

Ich gönne ihm den Erfolg, aber ich bin auch ein klein wenig traurig. So wie damals Anfang der Achtziger, als meine neu entdeckte Lieblingsgruppe „The Police“ auf einmal kein Geheimtipp mehr war, sondern ganze Stadien füllte. So wie später auch „The Cure“, „U2“ und „Coldplay“. Wie viele ambitionierte Musik- und Literaturfans teile ich meine Lieblinge nicht gerne mit der großen Masse. Mainstream sucks! Nicht selten geht mit steigender Popularität auch das künstlerische Profil flöten. Ecken und Kanten werden rund gefeilt, die Oberflächen glattgebügelt und der Auftritt gefällig gestaltet. Denn wer die Massen im Visier hat, muss zwangsläufig Kompromisse machen.

Aber gilt das auch für Houellebecq? Sein Buch führt seit dem Erscheinen die Bestseller-Listen an, er ist überall das Top-Thema. Aber trotzdem ist Houellebecq alles andere als Mainstream. Man muss ihn sich nur mal anschauen. Wer ihn kennt, weiß auch, dass er die Islamisierung der westlichen Welt nicht aus unternehmerischem Kalkül zum Thema seines Romans gemacht hat. Das war und ist schon immer ein Thema von ihm. Im Roman „Plattform“ zerstören Islamisten eine Sextourismus-Utopie. In Unterwerfung zerstören die Muslimbrüder die Hoffnung auf einen friedlichen europäischen Lebensabend.

Nein, Unterwerfung ist kein glattgebügelter Mainstream-Roman. Houellebecq ist sich treu geblieben und hat mit dem Literaturprofessor Francois wieder einen seiner typischen kettenrauchenden, sexuell frustrierten Bildungsbürger-Protagonisten geschaffen. Und wie alle seine Romane, hat auch Unterwerfung seine Längen und liest sich nicht wie ein Polit-Thriller. Wer Pegida-taugliche Parolen sucht, wird enttäuscht sein. Und die langen Passagen seiner Literatur-theoretischen Ausführungen rund um den Dandy-Schriftsteller Joris Karl Huysmans dürften die meisten seiner neuen Leser langweilen und frühzeitig zum Aufgeben zwingen.

Doch als Houellebecq-Fan der ersten Stunde bin ich von Unterwerfung begeistert. Ich habe das Buch in einem Rutsch gelesen und dabei so etwas wie mein Grundvertrauen verloren. Die Hoffnung nämlich, dass die Sintflut erst nach mir kommt. Die große Klima-Katastrophe, der dritte Weltkrieg, das Ende der Welt. Jetzt stell auch ich mir vor: Was ist, wenn ich dann noch da bin?

Foto: Gabriele Luger

7 Kommentare

  1. Ein neuer Gedanke, eine neue Interpretation? – fragst du dich und schreibst los.
    Ich finde, es ist dir gelungen! Mich hat dein Beitrag inspiriert und … auch beruhigt. Dir hat „Unterwerfung“ also gefallen. Schön!

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  2. Schön, dass du es dennoch gewagt hast. Ich selbst werde das Buch nicht jetzt, aber sicher irgendwann lesen. Momentan denke ich dasselbe wie du: Alle haben es gelesen, alle haben was dazu gesagt. So viel, dass ich das Gefühl habe, es schon längst gelesen zu haben. Darum lasse ich Zeit verstreichen, und wer weiß, vielleicht fällt mir mit etwas Abstand noch etwas ein. Zum Beispiel auf die Frage, ob das Buch wegen der aktuellen Ereignisse nur brisant war oder tatsächlich auch gut ist. Wobei ich dir (und den anderen Lesern, die meinen Geschmack teilen) vertraue, dass Letzteres der Fall ist.

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    1. Aber warte mit der Lektüre nicht zu lange, sonst könnte es passieren, dass die Muslimbrüder irgendwann tatsächlich den Staatspräsidenten in Frankreich stellen. Obwohl eine Besprechung aus dieser Sicht, sicherlich noch einmal interessante Aspekte aufzeigen und Vergleiche ermöglichen könnte. 😉

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    2. Caterina, Du schreibst mir aus der Seele. Ich habe das Buch natürlich auch im Regal stehen, aber momentan keine große Lust, es zu lesen, da es mir genau wie Dir geht: Man hat das Gefühl, es schon zu kennen. Aber irgendwann…

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  3. Ich habe momentan, wie Caterina auch, überhaupt keine Lust das Buch anzurühren. Der Hype ist einfach zu groß und daher werde ich stattdessen „Elementarteilchen“ lesen. Das war ja damals ähnlich. Jetzt mit genügend Abstand kann ich mich dem Titel eher nähern. Sind ja eh alle im „Unterwerfungsrausch“ 😉

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    1. Elementarteilchen habe ich ebenfalls mit einigem Abstand gelesen, Houellebecq ist lange Zeit an mir vorbeigegangen – was das Lektürevergnügen aber natürlich überhaupt nicht getrübt hat, im Gegenteil. Viel Freude also, soweit man bei dem Buch Freude empfinden kann! 😉

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