Liebe Ms. Rakoff

IMG_4973 Joanna Rakoff – Lieber Mr. Salinger.

Liebe Ms. Rakoff,

gerade habe ich Ihr Buch ausgelesen und spontan beschlossen, Ihnen einen Brief zu schreiben. Einerseits, weil das so schön zum Roman passt, andererseits, weil es mal eine etwas andere Form der Buchbesprechung ist. Wann schreibt man denn noch einen Brief? Ich meine, einen richtigen Brief, kein Anschreiben und keine Stellungnahme. Etwas Persönliches von Mensch zu Mensch. Gedanken, die man dem Adressaten unbedingt mitteilen möchte. Weil man meint, dass nur er das verstehen wird. Weil er genau diese Gedanken in einem ausgelöst hat. Wie die Fanpost an J.D. Salinger. So einen Brief schreibe ich Ihnen jetzt.

Ich habe schon viel gelesen, aber noch nie etwas von Salinger. Der Kelch ist an mir vorbei gegangen. Genau wie auch an der Hauptfigur Ihres Romans, Joanna. Sind Sie das eigentlich selber? Ich meine, warum haben Sie Ihre Protagonistin sonst so wie Sie genannt? Selbst mit Nachnamen. Habe ich recht? Das sind Sie doch! Aber egal. Auch mir hat kein älterer Bruder, keine ältere Schwester je ein Exemplar vom Fänger im Roggen in die vierzehnjährigen Hände gelegt und gesagt: Das musst Du lesen! In der Schule haben wir von englischsprachigen Autoren nur Goldings „Herr der Fliegen“ durchgenommen. Ansonsten Brecht, Frisch und Dürrenmatt. Und irgendwann war ich wie Sie auch zu alt dafür. Mein Salinger-Zeitfenster – zwischen zwölf und zwanzig – war verstrichen.

Aber das wollte ich Ihnen gar nicht sagen. Nur ganz schnell eins noch dazu: Man kann Ihren Roman lesen und verstehen, auch wenn man Salingers Werk nicht kennt. Es ist vielleicht von Vorteil, aber nicht unbedingt notwendig. Wenn ich so darüber nachdenke, ist die Lektüre ohne Salinger-Vorkenntnisse vielleicht sogar noch etwas interessanter. Denn so konnte ich ihrem Salinger-Bild vorurteilsfrei folgen, wusste nichts besser, hatte keine andere Meinung. Und am Ende habe ich mir vorgenommen, auch so ein Salinger-Lese-Wochenende einzulegen, wie Ihre Joanna das auch gemacht hat. Jetzt seien Sie doch mal ehrlich – das sind Sie doch, nicht wahr?

Doch eigentlich wollte ich Sie, liebe Ms. Rakoff, noch etwas anderes fragen. Etwas, das ich nicht verstehen kann. Etwas, wo ich beim Lesen laut „Ooch nein, warum das denn?“ gerufen habe. Warum nur haben Sie den Job in der Literaturagentur gekündigt? Wo Sie doch so kurz davor waren, andere Aufgaben übertragen zu bekommen. Manuskripte zu verkaufen, mit Autoren zu verhandeln, selber Literaturagentin zu werden. Ich meine, was gibt es Schöneres als in einem Büro voller Bücher zu arbeiten? Warum schmeißt man das einfach so hin? Ihre Chefin war zwar vom alten Schlag, aber doch ganz ok. Und nicht mehr lange, dann hätten Sie auch einen PC bekommen. Aber ich weiß, als junger Mensch ist man so. Da hat man wenig Geduld, will alles jetzt und sofort, ist niemals richtig zufrieden, schaut ständig nach etwas Neuem. Ich war auch so und wünschte heute, ich hätte den Dingen damals etwas mehr Zeit gegeben. Aber so ist das Leben.

Ich freue mich aber, dass Sie sich von diesem Don getrennt haben. Das war doch ein Arschloch, der hat sie gar nicht verdient. Ich bin mir sicher, dass er noch immer sein mittelmäßiges Romanmanuskript überarbeitet. Während Sie diesen wunderbaren Roman geschrieben haben, der nicht nur mein Herz, sondern das jeden Bücherfreundes erfreut. Denn alle, die gerne lesen, lesen gerne Geschichten über Menschen, die gerne lesen. Wenn es denn nicht, wie so oft, hoffnungslos verkitscht ist. Wie diese unzähligen Werke über geheime Bibliotheken und mysteriös verschwundene Bücher der Träume. Sie wissen, was ich meine, nicht wahr?

Nein, keine Angst – Ihr Roman ist anders. Überhaupt nicht kitschig und so gar nicht anbiedernd. Nur der Schutzumschlag, erlauben Sie mir diese Kritik, ist für meinen Geschmack – nun, wie soll ich es sagen, verzeihen Sie den Ausdruck – etwas zu mädchenhaft gestaltet. Der Titel verstärkt den Effekt noch und so hätte ich in der Buchhandlung nie danach gegriffen. Dass ich es doch gemacht habe, verdanken Sie einer gewissen Mara, die ihr Buch im Internet in den höchsten Tönen gelobt hat. Ich hab den Schutzumschlag beim Lesen einfach abgemacht und dabei ist mir aufgefallen, dass ihr Name vertikal auf den Buchrücken gedruckt wurde. Bei Salinger hätte es das nicht gegeben, habe ich gelernt. Und daher hoffe ich, dass ihr nächster Roman ein paar Seiten mehr hat, so dass Ihr Name horizontal draufpasst und man nicht den Kopf verdrehen muss, um es im Bücherregal zu finden.

So, dann will ich jetzt mal enden. Ich weiß, dass dieser Brief Sie nie erreichen wird. So wie ja auch Salingers Fanpost niemals angekommen ist. Aber das stört mich nicht. Ich habe gesagt, was ich zu Ihrem Roman zu sagen hatte. Jetzt ist es raus und das hat gut getan.

Herzlichst: Ihr T.

P.S.: Gerade eben habe ich noch mal in das Buch hineingeblättert und Ihr Vorwort gefunden, was ich am Anfang irgendwie übersehen hatte. Also doch – alles wahr und echt und Joanna das sind Sie. Ich wusste es!

4 Kommentare

  1. Lieber Mr. T.,

    ich habe diese Buchbesprechung in Briefform sehr gerne gelesen, auch wenn meine Begeisterung für den Roman nicht ganz so groß war. Mir erschien die Geschichte ganz schön, aber irgendwie nicht so von Belang. Vielleicht war ich aber auch nur nicht in der richtigen Stimmung.
    Ich finde es spannend, dass bei Salingers Büchern so oft über die richtige Lesezeit gesprochen wird. Von anderen Jugendbüchern kenne ich das kaum, bei ‚Fänger im Roggen‘ und Co. begegnet mir diese Aussage immer wieder. Und auch ich hatte das Gefühl, dass ich den ‚Fänger‘ irgendwie früher hätte lesen müssen. Bei anderen Jugendbüchern hat sich mir diese Frage nie gestellt… Was hat es nur auf sich mit diesem Zeitfensterphänomen?

    Beste Grüße, Malu

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  2. Na ja, so ungewöhnlich ist das in meinen Augen mit dem Zeitfenster gar nicht. Ich käme heute auch nicht mehr auf die Idee, meine alten Enid Blyton-Bücher noch einmal zu lesen. Das Zeitfenster ist bei mir für immer geschlossen. Anders ist das bei Autoren, die nicht für eine bestimmte Altersgruppe schreiben, dessen Themen aber Menschen in einer bestimmten Lebensphase ansprechen. Ich habe in meiner Jugend zum Beispiel alles von Hermann Hesse gelesen – und zwar genau im Alter zwischen 15 und 18 Jahren. Danach haben mich seine Themen überhaupt nicht mehr angesprochen. Genau dieses Zeitfenster kommuniziert man dann auch nach draußen und jeder, der sich außerhalb dieses Fensters befindet, lässt sich vielleicht verunsichern.

    Nicht ausgeschlossen, dass einige Themen im Alter aber wieder interessant werden. Wenn man Bilanz zieht und schaut, was denn wirklich wichtig im Leben war. Dann erleben auf einmal Autoren wie Hesse und Salinger wieder eine Renaissance. Ich glaub, bei mir könnte sich dieses Zeitfenster bald schon wieder öffnen.

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  3. Ja, stimmt, es gibt einige Bücher mehr, die ich jetzt auch nicht mehr lesen wollte. Und auf der anderen Seite gibt es einige Jugend- und auch Kinderbücher, die ich als Erwachsene gelesen habe – mit Genuss. Ein aktuelles Beispiel wäre ‚Anders‘ von Andreas Steinhöfel (dessen ‚Mitte der Welt‘ als Jugendliche jahrelang mein Lieblingsbuch war). Bei Kinderbüchern funktioniert das glaube ich häufig über einen guten Humor und „universelle“ Themen, zum Beispiel Familienbeziehungen oder Tod. Gerade kommt mir ‚Die besten Beerdigungen der Welt‘ in den Sinn, ein Bilderbuch, dass ich sehr gerne als Erwachsene gelesen habe.
    Für andere Bücher scheint diese Universalität aber nicht zu gelten, und das ohne dass es (alles) schlechte Bücher sind. Vielleicht hat es, wie du in Bezug auf Hesse schreibst, mit einer „engeren“ Themenwahl zu tun, die einen nur in einem bestimmten Zeitabschnitt anspricht. Die spätere Wiederkehr des Interesses als eine Art Rückschau finde ich einen spannenden Gedanken.

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