Karl Wolfgang Flender – Greenwash, Inc.

Eigentlich ist das ja ein klassisches Sachbuchthema. Jeder weiß oder vermutet ja schon lange, dass mit dem Klimawandel, den CO2-Emissionsrechten, den gutverdienenden LOHAS-People und mit Bio-Lebensmitteln nicht immer nur saubere Geschäfte gemacht werden. Wo viel Geld verdient werden kann, ist immer auch Lug und Trug mit im Spiel. So weit, so bekannt. Doch würde ich so ein Sachbuch lesen? Nein.

Einen Roman, der sich mit diesem Thema beschäftigt, es etwas überspitzt darstellt, in ein interessantes Setting einbaut und ihm zeitgemäße Protagonisten zur Seite stellt – so einen Roman würde ich allerdings sehr gerne lesen. Karl Wolfgang Flender hat mit Greenwash Inc. genau so einen Roman geschrieben und damit ein in meinen Augen sehr beachtenswertes Debüt hingelegt.

In einigen Blogs wird kritisiert, dass Flender nur Klischees bedient und zu oberflächlich, zu sensationslüstern und zu leichtfertig mit diesem heiklen Thema umgeht. Beim Sachbuch mag das stimmen. Ein Roman darf dagegen all das sein. Ganz besonders, wenn es dabei gar nicht um das miese Geschäft mit der Nachhaltigkeit geht, sondern um das miese Geschäft mit der Oberflächlichkeit. Denn sensationslüstern, leichtgläubig und klischeebehaftet ist nicht der Autor, sondern sind wir Verbraucher.

Seien wir doch mal ehrlich. Damit wir uns für irgendein Thema interessieren, muss eine gute Story her. Das gilt für Romanprosa genauso wie für tagesaktuelle Nachrichten. Daten und Fakten alleine haben keinen impact, wie es im Werbesprech so schön heißt. Flender zeigt, dass der Einsturz einer Textilfabrik irgendwo in Indien erst interessant wird, wenn wir Bilder sehen, wie ein Vater sein blutüberströmtes Kind aus den Trümmern zieht. Wir brauchen Schicksale, wir brauchen Personen zur Identifikation oder Abgrenzung. Nur so finden wir uns in dieser zunehmend komplexer werdenden Welt zurecht, nur so sind wir bereit, uns mit einem Thema zu beschäftigen.

Für genau diesen impact, diese Geschichten, sorgt das Team von Mars & Jung, der fiktiven PR-Agentur in Flenders Roman. Als alter PR-Profi, der sein ganzes bisherigen Berufsleben in verschiedenen PR-Agenturen gearbeitet hat, habe ich natürlich besonders kritisch hingelesen – wie man das so macht, wenn der eigene Berufsstand zum Thema wird. Und natürlich übertreibt Flender gnadenlos. Er bedient das Klischee des oberflächlichen PR-Tricksers, der mit Nobeluhr und Maßanzug, koksend und Cocktails saufend in der Weltgeschichte herumreist, auf Partys sogenannte Influencer trifft und mit Kollegen in der Muckibude am perfekten Six-Pack arbeitet. Wer da nicht mithalten kann, verliert Titel, Ehre, Privilegien und wird als namenloses Ding vor die Tür gesetzt. Das ganze Setting, der Markenkult, die psychisch-physischen Abstürze des Protagonisten – die ganze Lesestimmung erinnert einen stark an Bret Easton Ellis und seine kaputten Körperkult-Erfolgs-Typen aus American Psycho und Glamorama.

Mit dem Arbeitsalltag der meisten deutschen PR-Agenturen hat das alles wenig zu tun. Da macht man morgens seinen Rechner an, schreibt und telefoniert, fährt ab und zu mal raus zum Außentermin und das war’s. Aber das ist natürlich viel zu langweilig für einen Roman. Und daher ist es vollkommen in Ordnung, wenn der Autor ein wenig Schwung in den Arbeitsalltag bringt. Denn, um es noch einmal zu betonen, das hier ist kein Sachbuch, sondern ein lebendiger, gesellschaftskritischer und mit feinen satirischen Übertreibungen gespickter Gegenwartsroman. Es ist Fiktion, könnte aber jederzeit genau so stattfinden. Denn die Ansätze sind da, und genau das macht den Reiz einer Satire aus.

Bei den Vornamen würde man das nicht vermuten, aber Karl Wolfgang Flender ist noch nicht einmal dreißig Jahre alt. Er ist einer dieser Hildesheimer Schreibtalente, die in der Ausbildung gelernt haben, wie man Handlung und Anspruch optimal verknüpft, so dass es sich spannend und unterhaltsam liest, beim Leser etwas zum Klingen bringt, das Kopfkino bedient, ihn zum Nachdenken anregt. Bei mir war das der Fall und deswegen habe ich diesen Roman von Karl Wolfgang Dings auch mit viel Vergnügen gelesen und kann ihn nachhaltig weiterempfehlen.

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Titelfoto: Gabriele Luger

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Verlag: DuMont Buchverlag
393 Seiten, 19,99 €

9 Kommentare

  1. Hi Tobias,

    das klingt für mich sehr stark nach 39,90 von Beigbeder – aber das muss nichts schlechtes sein, dessen Werbersatire hat mir damals recht gut gefallen. Apropos: „Kill your friends“ von John Niven ist da sehr ähnlich in Sachen zynischer Protagonist, spielt allerdings im Managementumfeld der britischen (Indie-)Musikszene der 90iger – thematisch könnte dich das jedenfalls interessieren.

    Beste Grüße aus Andalusien
    Frank

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    1. Bist Du immer noch im Urlaub? Dein Leben möchte ich haben. 😉 Stimmt 39,90 ist auch nah dran – aber dann auch wieder meilenweit entfernt. Denn Werber sind keine PRler! Das ist der ewige Konflikt zwischen Form und Inhalt.

      Niven kenne ich noch gar nicht. Danke für den Tip!

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      1. Naja, tatsächlich arbeite ich hier weitaus mehr als ich mir vorgenommen habe – aber zugegeben, es gibt durchaus tristere Arbeitsplätze… 😉 Bin angesichts der kommenden Wochen ohnehin zu aufgeregt, um so richtig abzuschalten. Darf gerne bald endlich losgehen.

        Werde auf jeden Fall mal bei Flender reinlesen, ich habe schon lange keine gute Satire mehr gelesen. Das von Niven ist zwar kein Meisterwerk, aber ich habe mich zumindest gut amüsiert; ist halt auch einer von denen, die „American Psycho“ sehr genau studiert haben.

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  2. Lieber Tobias,
    ich gestehe: mir war es alles viel zu viel in Flenders „Greenwash“. Der Protagonist schön zynisch, ja, aber insgesamt für einen Roman zu flach, da halfen auch die traumatischen Kindheitserlebnisse in einer medizinkritschen Arztfamilie nicht, auch die Weigerungen des Vaters nicht, der am Glas des Wintergartens keine Klebevögel anbriengen wollte und so ein Massensterben von Vögeln auslöste, die sich bei dem vielen Glas nicht zurechtfanden. Die Handlung, viel versprechend nach dem ersten Kommunikationseinsatz im Gebiet des gentechnisch agierenden Maisherstellers, dann aber komplett abgedreht, als die erste Leiche im indischen Farbbottich schwamm. Und ganz ehrlich: hat der sonst doch so beschlagene Protagonist Thomas Hessel etwa keinen Überblick über das Kundenportfolio seiner Agentur? Recht unwahrscheinlich. Danach wird es nur noch schlimmer mit der Handlung, vielleicht den vielen Drogen geschuldet, die sich alle ständig einwerfen. Und zur Satire gehört für mich auch ein gewisser Sprachwitz. Den aber habe ich gar nicht gefunden, viel mehr nur den großen Vierkant des ökonomischen Phrasendreschschweins. Da lese ich dann lieber ein Streiflicht, das hat mehr Witz und Satire, oder einen Freitags-Axel-Hacke.
    Aber ich konnte auch schon mit Beigbeider nichts anfangen. Vielleicht ist diese Art von Roman einfach nichts für mich.
    Es grüßt mit großem Ernst und ganz ohne Humor, Claudia

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    1. Hallo Claudia,
      ja, was soll ich dazu sagen? Da scheint der Funke wohl nicht übergesprungen zu sein. Ich kenne das auch bei mir: ein paar krumme, nicht ganz schlüssige Details gleich am Anfang und schon rolle ich den Rest des Buches nur noch mit den Augen.

      Aber ich fand den Protagonisten überhaupt nicht zynisch und für einen Roman auch nicht zu flach. Er ist in meinen Augen eher ein Zerrissener, nicht im Einklang mit seiner Rolle auf der anderen Seite des Schreibtisches.

      Stellenweise waren mir auch zu viele Allgemeinplätze und Öko-Phrasen aufgeführt, was ich aber darauf zurückführe, dass Flender die Branche ja bewusst überspitzt oberflächlich darstellt.

      LG Tobias

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