Frank Rudkoffsky – Dezemberfieber

 

Ich hatte ein wenig Bammel vor diesem Buch. Denn ich kenne den Autor und mag ihn sehr. Schon virtuell auf WordPress, Facebook und Twitter haben wir Gemeinsamkeiten festgestellt. Wir mögen die gleichen Autoren und haben einen ähnlichen Musikgeschmack. Auf seiner ersten Lesung in Essen habe ich ihn dann auch real kennen und noch mehr schätzen gelernt. Und zuletzt sind wir auf der Frankfurter Buchmesse ein paar Stunden gemeinsam durch die Gänge gelaufen. Seinen Roman hatte ich im Messerucksack dabei, bisher aber nur darin geblättert. „Ich will keine Jubel-Perser*)“, sagte er. „Kannst ruhig schreiben, wenn Du es nicht gut findest“. Ich nickte nur und schluckte.

So fing ich nach der Messe also an zu lesen, beinahe ängstlich nach Unzulänglichkeiten Ausschau haltend, nach Ungereimtheiten, sprachlichen Schnitzern, Brüchen im Erzählstil – Anfängerfehlern, die man aber auch bei etablierten Autoren immer wieder findet. Auf gar keinen Fall wollte ich den Jubel-Perser geben. Mach dich frei von allem Persönlichen – sagte ich mir. Sei professionell! Und wenn es Scheiße ist, dann ist es eben so. Hier also mein Urteil:

Dezemberfieber ist ein handliches Paperback des neugegründeten Verlags duotincta aus Berlin. Neben Frank Rudkoffsky hat der Verlag noch zwei weitere Debütanten im Angebot. Oh jeh, dachte ich mir, alles Anfänger – Autoren und Verlag – kann das gut gehen? Aber das Cover von Dezemberfieber ist schon mal super – professionelle Gestaltung, niveau- und geschmackvolle Aufmachung. Auch der Klappentext, der eine Geschichte voller Melancholie und trotzigem Humor verspricht, macht prinzipiell Lust auf mehr. Generell scheinen bei duotincta keine Anfänger am Werk zu sein. Das Startprogramm zeugt von einem guten Händchen. Anspruchsvolle und zugleich unterhaltsame Belletristik wollen sie anbieten und sowohl Frank Rudkoffsky als auch die anderen beiden Autoren des Verlags passen da augenscheinlich gut ins Bild.

Aber können diese Newcomer auch schreiben? Nach den ersten Seiten von Dezemberfieber atmete ich befreit durch. Ja, zumindest Frank Rudkoffsky kann es. Sehr gut sogar. Eigentlich wusste ich es ja schon vorher. Ich hatte schon Texte auf seinem Blog gelesen und wusste, dass er einen hohen Anspruch hat. „Ich habe versucht einen Roman zu schreiben, den ich auch selber gerne lesen würde“, sagte er bei seiner Premierenlesung. Das sind schon mal die besten Voraussetzungen. Sprachlich also alles gut. Ich habe eigentlich nur eine einzige Stelle gefunden, die ein wenig knirscht. Alles andere ist von hoher sprachlicher Qualität.

Kommen wir zum Plot. Ich bin ja kein großer Freund von Inhaltsangaben. Kürzen wir es daher ab: Dezemberfieber ist ein klassischer Familienroman. Mit einer stimmungsvollen Rahmenhandlung – der Protagonist Bastian mit seiner Freundin Nina auf Thailand-Reise – und zeitlichen Rückblenden in die nahe Vergangenheit, die Kindheit, Pubertät in Nordenham und die Studentenjahre in Tübingen. Das Problem der Familie ist die psychisch kranke Mutter, die von Jahr zu Jahr immer tiefer in ihrer Depression versinkt und nach zehn Jahren daran stirbt. Wieder zehn Jahre später stirbt auch der Vater und Bastian kehrt ins leere Elternhaus zurück, um es auszuräumen. Dabei findet er ein Notizbuch, in das Mutter und Vater, weil sie nicht miteinander reden konnten, über viele Jahre Nachrichten und Briefe geschrieben haben. Und die Lektüre dieser Korrespondenz haut nicht nur Bastian aus den Socken, sondern auch mich als Leser.

Lieber Frank,
ich habe mehrmals einen dicken Kloß im Hals herunterschlucken müssen, so sehr sind mir die Briefe von Anke und Gert nahe gegangen. Was da geschildert wird, kann einen nicht kalt lassen. So viel Liebe und gleichzeitig so viel Verzweiflung zwischen den Zeilen. Da stellt sich sofort die Frage, was ist Liebe wert? Kann sie einen retten, kann sie einen durchs Leben führen, wenn alles andere verloren ist? Wenn Krankheit, Verfall, Abhängigkeit und Hoffnungslosigkeit ins Leben treten? Anke und Gert haben es nicht geschafft. Trotz ihrer Liebe. Sie haben sich in ihren Briefen verloren. Haben ihr Glück, haben ihren Sohn, haben alles verloren. Geht es uns nicht allen irgendwann so? Ich habe beim Lesen immer wieder auch über mein Leben nachgedacht. An Menschen, die ich mal geliebt und verloren habe. An früher, meine jungen Jahre und an meine Eltern, meine Kinder, meine Frau und das was bleibt, wenn ich mal nicht mehr bin. Und der Kloß im Hals wurde dabei immer größer.
Dein T.

Im jedem der zehn Kapitel dieses Romans garniert Frank Rudkoffsky die in Thailand spielende Rahmenhandlung mit der bedrückenden Korrespondenz aus dem elterlichen Notizbuch. Nach dem Tod der Mutter schreibt der Vater alleine weiter ins Buch, spricht mit seiner Frau als wäre sie noch da und berichtet ihr von seinen Sorgen um Bastian. Das ist unglaublich anrührend und zerreißt einem beim Lesen fast das Herz. Nach dem Tod des Vaters schreibt auch Bastian ins elterliche Buch. Über seine Odyssee durch Thailand auf der Suche nach Ablenkung, Hoffnung, Liebe und irgendetwas Sinnvollem. Er weiß selber nicht, was er eigentlich sucht. Eigentlich ist alles in der Person seiner Freundin Nina vorhanden. Doch er kann es nicht sehen. Ihre Liebe kann ihn nicht retten. Und so schließt sich der Kreis. Eine hoffnungslose Familie ist eine hoffnungslose Familie. Das Scheitern am Leben im Erbgut verankert. Da kannst du nichts machen. Das musst du so hinnehmen. Dein Leben, dein Schicksal.

Bisher dachte ich, Rolf Lapperts Roman „Über den Winter“ wäre das traurigste Buch, was ich in diesem Jahr gelesen habe. Ein Mittfünfziger resigniert und kann die drückende Last der Vergangenheit und die Anforderungen der Gegenwart nicht mehr stemmen. Aber Frank O. Rudkoffsky, Mitte Dreißig, hat das getoppt und einen noch traurigeren Roman geschrieben. Ich habe das Buch am Ende tief bewegt aus der Hand gelegt und gedacht. Mist, das wird jetzt leider doch eine typische Jubel-Perser-Rezension.

*) https://de.wikipedia.org/wiki/Jubelperser

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Auf der Webseite des Verlages Leseprobe anschauen und Buch direkt bestellen.
Hier geht es zum Blog des Autors: http://rudkoffsky.com

3 Kommentare

  1. Lieber Tobias,

    ich danke dir für diese schöne und feinfühlige Rezension – du glaubst gar nicht, wie viel mir das bedeutet! Hab den „Fehler“ gemacht und irgendwann nachts meine Mails abgerufen, allzu schnell konnte ich jedenfalls nicht wieder einschlafen… 😉 Ich bin ernsthaft gerührt und stolz, dich mit meinem Buch erreicht zu haben, besonders, weil ich deinen Geschmack und nicht zuletzt dich als Menschen sehr zu schätzen weiß! Danke!

    Liebe Grüße
    Frank

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  2. Von all meinen Groupies bist du mir das liebste! 😉 Ich danke dir für die guten Wünsche – falls das Buch ein Erfolg wird, hast du jedenfalls gerade einen guten Grundstein dafür gelegt!

    PS: Die Stelle, an der es knirscht, musst du mir bei Gelegenheit mal zeigen – vielleicht kann ich ja da noch mal drüberbügeln, sollte es zu einer zweiten Auflage kommen.

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