Ich konnte diesen Lackaffen ja noch nie leiden. Mit seinen halsabschneidenden Button-Down-Hemden, der randlosen Brille, seinen Krawattennadeln und Manschettenknöpfen. Alles Dinge, die so gar nicht gehen und auch schon in den 90ern nicht gingen. Die Rede ist von Thomas Middelhoff, alias Johann Holtrop, wie der Autor ihn in seinem Schlüsselroman nennt. Ehemaliger CEO der Bertelsmann AG (im Buch Assperg AG genannt) danach Arcandor-Chef (hier: Lanz AG) und zuletzt Untersuchungshäftling in der JVA Essen. An keiner Persönlichkeit der deutschen Wirtschaft kann man den Aufstieg und Fall eines Top-Managers besser skizzieren als an Big T., wie Middelhoff in seinen Glanzzeiten genannt wurde.
Im Gegensatz zum Protagonisten kann ich den Autor Rainald Goetz gut leiden. Wie er erst neulich vor dem versammelten Hochkulturbetrieb bemerkenswert dilettantisch den Wanda-Klassiker „Bologna“ intonierte – das hatte was. Und nicht zu vergessen: seine blutige Klagenfurt Performance – legendär. Doch gelesen habe ich bisher nichts von ihm. Darum war ich auch ganz besonders gespannt auf diesen Roman aus dem Jahr 2012, dessen damalige Nicht-Nominierung zur Shortlist des Deutschen Buchpreises für allerlei böses Blut gesorgt hat. Aber das sind alte Geschichten, wie auch die von Big T.
Ja, in unserer schnelllebigen Zeit ist das alles schon sehr lange her. Man wundert sich, wie schnell man Typen wie Rolf Breuer, Mark Wössner, Josef Ackermann und Leo Kirch schon wieder vergessen hat. Alles Charaktere, die in diesem literarischen Top-Business-Drama unter anderen Namen vorkommen. Genauso wie Hubert Burda, Maria Furtwängeler, Liz Mohn, Friede Springer und Mathias Döpfner. Ich hatte meinen Spaß daran, die Romanfiguren den Real-Life Persönlichkeiten zuzuordnen. Ich freute mich, als ich im stumpenhaft daherkommenden Herrn Schwaake irgendwann Hubert Burda erkannte und dann auch wusste, dass der ihn um zwei Köpfe überragende Messmer, CEO von Gosch, niemand anderes sein kann als Mathias Döpfner, CEO von Springer.
Nicht, dass ich jemals mit einem dieser Top-Managern zu tun hatte. Ich bin da eher zwei Hierarchiestufen darunter unterwegs. Aber dieser Holtropsche Business-Typ hat mich durch mein gesamtes, bisheriges Berufsleben begleitet. Solche gab und gibt es auch im mittleren Management, nicht ganz so grandios und charismatisch wie Holtrop, aber doch vergleichbar. Das sind diese Time-System-Typen, die nichts anders kennen, als für den Erfolg zu funktionieren. Mit Vorzimmerdame und persönlichem Assistenten, mit Terminen in den USA und China und einem gelegentlichen First-Class Upgrade beim Interkontinentalflug. 150 Prozent Effektivität, der ganze Tag mit spitzem Bleistift durchgeplant, perfektes Business Outfit, morgens die Ersten und abends die Letzten im Büro. Das Leben und Denken solcher Leute besteht zu 95 Prozent nur aus Firma und persönlicher Karriereplanung. Da ist kein Platz für Familie, Freizeit oder mal ein gutes Buch.
Das alles beschreibt Götz sehr eindringlich und treffend. Obwohl der Autor keine Konzernerfahrung hat, gibt er die internen Abläufe, die kleinen und großen Intrigen, die quälend langen, ergebnislosen Meetings sehr authentisch wieder. Das gilt auch für die Management-Innensicht, die Geringschätzung der Führungskräfte füreinander. Der tägliche Kampf der Alpha-Männchen, die sich nicht zerfleischen, weil sie sich in ihrer gegenseitigen Verachtung aber auch gegenseitig tolerieren.
Dass sich das alles sogar recht fesselnd und spannend liest, liegt vor allem an der Sprache dieses Romans. Und wenn man Rainald Götz lesen sieht, weiß man auch wie er das macht. Er schreibt nicht, er komponiert Sätze. Eine Hand hält das Buch, die andere dirigiert und gibt den Rhythmus vor. Seine Sätze klingen, haben eine Melodie und transportieren die jeweilige Stimmung der Romanszene. Werden leicht und einfach, wenn auch Holtrop entspannt und in Plauderlaune ist. Dann wieder lang, kompliziert, verdichtet und verschachtelt, wenn es eng und bedrohlich wird.
Ich merke immer ob mir ein Buch gefällt, wenn ich mich auf dem Nachhauseweg schon auf die abendliche Lektüre freue. Und das habe ich bei diesem Roman definitiv getan. Es war ein rauschendes Leseerlebnis und eine bedrückende Charakterstudie. Selbst Tage danach hat mich die Frage nicht losgelassen: Muss man so sein, um Erfolg zu haben?
Über die Antwort denke ich immer noch nach.
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Diese Rezension gibt es auch als Audio-Podcast auf Literaturradio Bayern:
Verlag: Suhrkamp
342 Seiten, Taschenbuch, 10,00 €
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Lieber Tobias,
mir hat der Holtrop ja auch eine Menge Lesespaß bereitet, auch wenn ich immer wieder gedacht habe, dass es doch so klischeehaft einfach nicht sein kann. Aber dann hat Middelhoff ja einige Zeit nach Erscheinen des Holtrops noch mehr Klischees hinzugefügt, ich denke da an seine legendäre Flucht aus dem Gericht in Essen. Und Du hast völlig Recht, wenn Du schreibst, dass diese psychopatischen Typen überall in der Arbeitswelt herumspringen, durchaus auch im bescheideneren Management-Bereich – und natürlich gerne auch im öffentlichen Dienst. Dramatisch an diesen ja auch ordentlich paranoiden Spitzenkräften ist ja, dass sie nie tatsächlich an der Sache, also am Unternehmen und seinen ganz realen Problemen, interessiert sind, sondern nur am eigenen Machtgewinn – und natürlich am Geld. Und diese Typen regieren dann die großen und die kleinen Unternehmen oder treiben im mittleren Mangement ihr manchmal fürs große Ganze geradezu gefährliche Spiel.
Und es gibt seriöse Untersuchungen (ich hab´ gerade keine Quelle zur Hand, habe es aber immerhin in der guten alten SZ gelesen), dass dieser Typ Mensch vorzugsweise an zwei Orten anzutreffen ist: im Knast oder in der Führungsetage eines Unternehmens. Ein Wunder, dass es unserer Wirtschaft immer noch so gut geht – oder anders: es geht unserer Wirtschaft so gut, weil es so viele Menschen gibt, die trotz dieser Psychopathen einen guten Job machen.
Ein schönes Wochenende (gerne auch ganz ohne Advent :-)) wünscht Claudia
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Hallo Claudia,
wieder mal muss ich Dir in einigen Punkten widersprechen. Ich bin der Meinung, dass wir solche durchgeknallten Typen an der Spitze von Unternehmen unbedingt brauchen. Denn nur solche Persönlichkeiten schaffen es, Unternehmen dahin zu führen, dass sie sich abgrenzen, neue Wege beschreiten, mutig und innovativ die Zukunft gestalten. Das geht mal gut, mal weniger gut. Wahnsinn und Genialität liegen ja bekanntlich sehr nah beieinander.
Liebe Grüße
Tobias
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Lieber Tobias,
welche genialen, innovativen Ideen hat Thomas Middelhoff denn gehabt – außer dass er seine Minderwertigkeitskomplexe poliert hat und ein Mal zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen ist und den New-Economy-Hype ausnutzen konnte? Mir sind die Unternehmenslenker wichtig, die an der Sache, nämlich am Unternehmen, interessiert sind und es nicht nötig haben, in einer Trump-mäßigen Personality-Show durch die Medien – oder auch Büros – zu poltern. Und von diesen ernsthaften, nicht ganz so spektakulären Typen lebt unsere Wirtschaft, nicht von den lauten Egomanen. Die stehlen den Kollegen in der Führungscrew nämlich nur Zeit und Energie, weil sie immer wieder eingefangen werden müssen. Sagt eine, die erstens gerne widerspricht 😉 und die zweitens mit solch einem Typen Entscheidungen im Schulmanagement treffen muss.
Viele Grüße, Claudia
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Ja, ja. In Deutschland ist jeder gleich verdächtig, wenn er erfolgreich ist. Aber in der Wirtschaft wird einem nichts geschenkt. Nur wenige werden mit dem goldenen Löffel im Mund geboren. Wenn es ein angestellter Manager zum Chef von 60.000 Mitarbeitern geschafft hat, dann hat er sich das hart erarbeitet, erkämpft, erstritten. Prinzipiell haben solche Leute meinen vollsten Respekt. Sie geben viel, um viel zu bekommen. Middelhoff ist da keine Ausnahme. Sein grandioses Scheitern ist tragisch – aber deswegen eignet er sich ja auch so gut als Romanfigur.
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Wer ist denn Finanzimpresario Mack im Kölner Wallraf-Richartz-Museum (in Kapitel VI des Zweiten Teils)? Josef Esch nicht, oder?
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Ja, Mack ist definitiv Esch. Hier die anderen Schlüsselfiguren: https://twitter.com/buchrevier/status/671087084040552448
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Danke 🙂
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