Sarah Kuttner – 180°Meer

 

Seit ein paar Jahren begleitet sie mich schon durch meinen Netzalltag. Wenn sie Gassi geht, Butterbrote schmiert, Gärten umgräbt oder einen neuen Roman schreibt – auf Facebook und Twitter bin ich immer mit dabei. Ich bekenne: Ich bin ein Fan dieser quirligen Indie-Diva. Ich mag ihren Humor, ihren Musikgeschmack und ihre spontane, ungekünstelte Art. Sie ist mir einfach zu 120 Prozent sympathisch. Schon zu Viva-Zeiten habe ich Ihre Sendung geschaut, später dann die Kolumnen im Musikexpress gelesen und natürlich auch ihre Romane Mängelexemplar und Wachstumsschmerz.

Der Fischer-Verlag hat es ja nicht so mit Bloggern, daher hab ich gar nicht erst nach einem Leseexemplar gefragt und bin kurz vor Silvester noch mal los, um mir einen Tag vor dem offiziellen Erscheinungstag den neuen Kuttner-Roman zu besorgen. In meinem zugegeben etwas elitären Lieblingsbuchladen schaute der Inhaber nur irritiert, konsultierte seinen Computer und meinte, dass das Buch angeblich erst am 14.01. erscheint. „Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen das aber bestellen“. Ja, ich weiß – das kann ich auch. Danke. Auf Wiedersehen.

Auch beim zweiten Buchladen am Platze die gleiche Reaktion. So musste ich entgegen meiner Überzeugung in einen dieser großen Geschenkartikelläden, wo es ganz vorne und ganz hinten auch Bücher gibt, und siehe da: Ein Stapel von ca. 20 Exemplaren 180°Meer stand direkt neben dem Regal mit den Spiegel-Bestsellern. Zufrieden zahlte ich die 19,00 Euro, freute mich, dass ein Kuttner-Roman erstmals nicht als Paperback, sondern gebunden angeboten wird, nahm mir vor, über die großen Geschenkartikel-Ketten nicht immer so negativ zu sprechen und freute mich auf den Jahreswechsel.

Wie es sich gerade so traf, hatte ich just ein Buch ausgelesen und konnte sofort einsteigen. Gleich die erste Seite habe ich beim Abendessen meiner Frau vorgelesen. Guck mal hier, die Sarah wieder, steigt gleich gut ein: Ihre „Aura ist zahnfarben“… „wie ein Kuss von jemandem mit schlechtem Atem, der sich gerade die Zähne geputzt hat: eine irritierende Nuance unter neutral“.

Das ist genau die Art Humor, die Kuttner-Fans so lieben und die den anderen – ich nenn sie mal Kuttner-Verweigerern – so auf den Zeiger geht. Und da haben wir auch schon das Grundproblem bei Büchern von Sarah Kuttner. Das Problem ist Sarah Kuttner. Entweder mag man sie, oder eben nicht. Wenn man sie mag, ist alles in Ordnung. Dann gibt es kein Problem. Dann ist das Lesen ihrer Romane ein wahres Vergnügen, der Fan ist glücklich und darf schwelgen. Wer sie nicht mag, wird auch ihre Romane nicht mögen. Und das liegt vor allem daran, dass sie so schreibt, wie sie spricht. Locker, flockig, unterhaltsam.

Auch mir gelingt es nicht, die Protagonistin Jule von der Autorin zu trennen. Das ist mir schon bei den beiden Vorgängerromanen nicht geglückt. Obwohl Jule groß und schlaksig und mit einem wirren Lockenkopf ausgestattet sein soll, ist sie vor meinem inneren Augen niemand anderes als die Autorin herself. Auch der Hund Bruno ist nur die Romanversion von Sarahs wohlbekanntem Jack-Russel, namens Ihmchen oder Töle. Ja, das ist das übliche Problem, wenn ein Prominenter einen Roman schreibt. Man kennt den Autor/die Autorin, man mag ihn/sie, man liest den Roman genau aus diesem Grunde und man kann das nicht trennen.

So ist eine Auseinandersetzung mit diesem Roman auch immer eine Auseinandersetzung mit dem Medienphänomen Sarah Kuttner. Und natürlich steht das Feuilleton und die Hochkultur – genauso wie mein Buchhändler – einem schreibenden Fernsehmenschen erst einmal skeptisch gegenüber. Ist das überhaupt Literatur oder einfach nur billige Unterhaltung? Die ersten Feuilleton-Rezensionen (zum Beispiel in der österreichischen Tageszeitung Der Standard) tun „180°Meer“ bereits als langweiliges Geplapper über das bereits hinlänglich bekannte Thema der defizitären Persönlichkeit ab.

Aber jetzt mal Tacheles: Ist nicht die gesamte Weltliteratur voller Geschichten über defizitäre Persönlichkeiten? Hätte der österreichische Feuilletonrezensent auch einem Franz Kafka oder einem Dostojewski vorgeworfen, immer nur das verworrene Seelenleben seiner Protagonisten zu thematisieren? Natürlich nicht, und natürlich ist Sarah Kuttners Roman ernstzunehmende Literatur. Mich hat die Protagonistin auf „180° Meer“ an Nathalie, die Protagonistin aus „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ von Clemens Setz erinnert. Jule ist genauso skurril, genauso defizitär und verworren, nur um einiges unterhaltsamer, humorvoller und schneller auf den Punkt als die Protagonistin des allseits geschätzten, ernsthaften Literaten aus Österreich.

Jetzt habe ich wieder so viel geschrieben, nur nicht einen einzigen Satz zu der Geschichte von 180° Meer. Aber nun muss ich auch nicht mehr damit anfangen. Wer wissen will, worum es geht, findet anderswo bestimmt jede Menge gute Inhaltsangaben. Aber soviel sei gesagt: Ich habe den neuen Roman von Sarah Kuttner mit großem Vergnügen in einem Rutsch innerhalb von zwei Tagen durchgelesen – und ihr könnt das auch!

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Titelfoto: Gabriele Luger

Verlag: S. Fischer
272 S. , 18,99 €
Hier bestellen bei Buchhandel.de

 

 

11 Kommentare

  1. Ich habe auch zufällig bei 1live an Silvester ein Interview mit ihr gehört und mich wie blöd gefreut, dass sie endlich endlich einen neuen Roman 📖 geschrieben hat 🙂

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  2. zu Tacheles: Natürlich sind defizitäre Persönlichkeiten mit verworrenen Seelenleben immer schon Thema der Weltliteratur. Sonst gäbe es vielleicht gar keine. Aber es kommt schon ein wenig mehr dazu. Nämlich Sprachkunst. Und eben damit aus rein biografischem Schreiben Literatur zu machen.
    Ich habe Kuttners „Mängelexemplar“ gelesen, weil mich das Thema interessierte. Aber sprachlich begeistert mich so was nicht…

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    1. Wem sagst Du das? Mir ist das immer super wichtig. Dieser Roman ist sprachlich absolut ok und kann mit Werken von so hochgelobten Autoren wie Bov Bjerg und Kai Weyand absolut mithalten.

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  3. Ach Tobias, Du machst es mr aber auch im neuen Jahr nicht leicht! Sarah Kuttner ist ein Plappermaul, das war sie schon bei Viva (unerträglich) und ihre Kolumnen im Musikexpress waren u.a. der Gründ für meine Abo-Kündigung. Nein, ich habe noch keine Bücher von Frau Kuttner gelesen und ich werde es auch nicht tun. Laut der Fischer-Vorschau ist dieses Buch erst ab dem 14.01. auf dem Markt und wieso es bei dem einen Buchhändler schon ausliegt und dem anderen nicht, kann ich Dir als Ex-Buchhändler demnächst mal erklären. Vielleicht finden wir beim nächsten Buch zusammen. Viele Grüße aus Hamburg, Gérard

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  4. Sorry Tobias, ich muss mich hier Marina und Gérard anschließen. Ich halte Kuttners literarische Potenz für eher mangelhaft. Das Diktum »überflüssiges Geplapper« trifft durchaus zu. Da gibt es besseres zu lesen. Aber, wie sagt der Lateiner: De gustibus non disputantum esse.
    lg_jochen

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  5. Das ist wahrscheinlich eine Frage des Literaturbegriff,s wenn man nur das sprachlich verrauschte a la Valerie Fritsch oder das Experimentelle, als Literatur zuläßt ,wird einem oder einer Sarah Kuttner zu wenig abgehoben erscheinen.
    Ich habe sowohl „Mängelexemplar“https://literaturgefluester.wordpress.com/2013/07/19/mangelexemplar/?preview=trueals auch „Wachstumsschmerz“https://literaturgefluester.wordpress.com/2014/06/09/wachstumsschwerz/ gelesen und die Schilderung einer Depression hat mich sehr beeindruckt, wenn ich auch Anfangs schwer in den Text hineingekommen bin

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