Katharina Winkler – Blauschmuck

 

Ich tue mich schwer mit diesem Buch. Nicht, dass es mir nicht gefallen hätte – denn das hat es. Aber „gefallen“ ist hier irgendwie der falsche Begriff. Das, was da geschrieben steht, das kann keinem gefallen. Niemandem. Hier würde eher eines dieser neuen Facebook-Emojs passen, ein „Oh“ oder ein „Wütend“. Und dann frage ich mich, warum dieses Buch gerade jetzt auf den Markt kommt. Ob das im Moment, so kurz nach den Silvestervorfällen, den Hass nicht noch zusätzlich schüren wird.

Denn das, was Katharina Winkler in ihrem Debütroman nach einer wahren Begebenheit schildert, lässt garantiert niemanden kalt. Es geht um Gewalt in der Ehe, um sexuelle Unterdrückung und Vergewaltigung, um schwersten Missbrauch, um versuchten Totschlag, um Freiheitsberaubung und Sklaverei. So hätte die Anklage lauten müssen, wenn man Yunnus für all das, was er seiner Frau Filiz angetan hat, vor Gericht gestellt hätte. Doch der Übeltäter wird nicht angeklagt, muss sich nicht verantworten, kommt einfach so davon. Und wer jetzt denkt, ja so war das leider damals im Mittelalter, dem sei gesagt: das ist kein historischer Roman. Blauschmuck spielt in der Gegenwart. Das Mittelalter ist hier und jetzt.

Und nicht nur das. Das, was in diesem ergreifenden Roman mit einfachen, klaren Worten, beinahe kindlich naiv geschildert wird, ist beileibe kein Einzelschicksal. Das passiert täglich, stündlich, immer wieder. Findet gerade jetzt hinter verschlossenen Türen statt, nicht nur irgendwo in der Türkei, in Syrien oder anderen arabischen Ländern. Es passiert auch hier bei uns, nebenan, überall auf der Welt. Denn das Verbrechen heißt Respektlosigkeit, Dummheit, Fanatismus und ist in den Köpfen der Täter. Sie haben es von ihren Vätern vorgelebt bekommen, wenn nötig einbläut, und jetzt tragen sie es überall mit hin, wie ein Stück Folklore.

Apropros Einbläuen – Blauschmuck, so bezeichnen Filiz und die gebeutelten Frauen in ihrer türkischen Heimat die Spuren ihrer Misshandlung. Wenigstens ein wenig sprachliche Würde für ein Leben in ständiger Angst, für ein Leben ohne Ausweg, für Schläge mit der Faust ins Gesicht, für ein praktiziertes Sklaventum mitten im 21. Jahrhundert.

Ich will gar nicht mehr so viel dazu sagen. Man merkt vielleicht, dass mich das Thema, dass mich dieser Roman sehr berührt hat. Hier geht es um eine dieser unbequemen Wahrheiten, die im Moment so gar nicht ins Bild zu passen scheinen. Die man aber nicht leugnen darf, sonst macht man sich ebenfalls schuldig. Es ist ein heikles Thema. Ich empfehle einfach jedem, dieses Buch zu lesen. Das ist schnell geschehen, nach zwei Abenden war ich damit durch. Und dann sollte man sich ein eigenes Urteil bilden. Und wie auch immer das ausfällt, eines ist sicher: Dieser Roman zeigt wieder einmal, was Literatur leisten kann. Sie kommt einem nah, sie tut weh, sie gräbt sich ein, sie lässt einen nicht mehr los.

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Suhrkamp Verlag
196 Seiten, 18,95 €
Hier im lokalen Buchhandel bestellen.

 

4 Kommentare

  1. Lieber Tobias,
    Deiner Lese-Empfehlung kann ich mich nur bedingungslos anschließen. Und der Roman ist nicht nur seines Inhaltes wegen so lesenswert, sondern auch der Art und Weise wegen, wie Katharina Winkler es schafft, den Leser zu halten, obwohl wir uns doch gerne schnell dieser Art von Gewalt entziehen würden. So einen guten Roman habe ich schon lange nicht mehr gelesen (vielleicht schließt sich „Nachts ist es leise in Teheran“ an, den Du ja auch schon sehr gelobt hast. Dass wir uns mal einig sind :-)!
    Viele Grüße, Claudia

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    1. Hallo Claudia,
      das funktioniert so nicht. Wir waren uns doch einig, dass Du immer alles, was ich gut finde, blöd findest und umgekehrt. Jetzt bring nicht einfach aus einer Laune heraus alles durcheinander. Dann finde bitte wenigstens meine Besprechung blöd. Ich habe gerade von jemanden gehört, sie wäre etwas dünn geraten. Das findest Du doch bestimmt auch, oder?

      Liebe Grüße
      Tobias

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      1. Lieber Tobias,
        nein, heute habe ich einfach mal Lust, aus einer besonderen Laune heraus (es ist immerhin 1. März und es schneit), alles gut zu finden, was Du machst! Ich mäkel auch nicht an Deiner Besprechung herum, da kannst Du mich provozieren, wie Du möchtest, da wird nichts passieren. Ich werde Dir heute heute in nichts widersprechen. Also: Buch aufschlagen und lesen! Und überlegen, wie wir mit dem Inhalt umgehen, ohne dem rechten Rand Vorschub zu leisten. Und: die unglaubliche Sprache beachten! – So, jetzt haben wir wahrscheinlich so richtig Streit – oder?
        Viele augenzwinkernde Grüße, Claudia

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  2. Einen kleinen Einwand habe ich da schon, ich bin nämlich nicht ganz sicher, ob das wirklich die Sprache der Filiz Sahin ist, beziehungsweise, ob das Buch so erfolgreich und so oft gelesen worden wäre, wenn es in einer realistische beschreibenden Art und Weise erzählt worden wäre und da frage ich mich auch ein bißchen, wie es der betroffenen Frau damit geht?
    Ansonsten hat mich das Buch sehr beeindruckt und bin jetzt gespannt, ob Katharina Winkler, damit den österreichischen Debutpreis bekommt oder nicht vielleicht doch Friederike Gösweiner mit ihren prekären Verhältnissen oder Sacha Bathyany mit seiner Familiengeschichte und denke, daß man diese drei Bücher wirklich nicht miteinander vergleichen kann! https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/09/06/die-oesterreichische-debut-und-buchpreislonglist/
    Und natürlich, wenn wir jetzt achtsamer gegenüber den Leiden unserer türkischen Nachbarinnen sind, hat das Buch seinen Zweck erreicht, ganz egal, wie literarisch hochstilisiert es wurde!

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