Benjamin von Stuckrad-Barre – Panikherz

 

Nachdem ich dieses Buch ausgelesen hatte, musste ich mir auf YouTube unbedingt noch mal die Sendung des Literarischen Quartetts vom 26.02.2016 mit Maxim Billers fatalem Fehlurteil ansehen. Biller hat mich ja anfangs amüsiert, nach seinem Bov Berg Plädoyer konnte ich ihn schon nicht mehr ernst nehmen, doch seine dummen Kommentare zu Panikherz haben ihn in meinen Augen endgültig erledigt. Man mag ihm zugute halten, dass er eine Meinung hat und diese mit Leidenschaft und Nachdruck zum Ausdruck bringt. Aber wer nicht erkennt — bei Ihm würde ich sagen: erkennen will — dass die Lebenserinnerungen von Benjamin von Stuckrad-Barre ein literarisches Meisterstück sind, der hat einfach keine Ahnung. Ich meine, wer liest eigentlich die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung? Bestimmt niemand, der auch Stuckrad-Barre lesen würde. Billers Aussage, dass es sich hier um ein ekelhaftes, unerträglich moralisierendes Buch handelt, macht mich wütend. Das ist einfach nur ignorant, da möchte ich nichts mehr weiter zu sagen als: Biller, sie sind raus!

Aber dieses Urteil zu Panikherz ist ein schönes Beispiel dafür, dass selbst professionelle Kritiker nicht in der Lage sind, Werke bestimmter Schriftsteller unvoreingenommen zu bewerten. Es wird immer auch die Person des Autors und seine mediale Präsenz und Inszenierung mit bewertet. Auch bei Ronja von Rönne ist dies mehr als offensichtlich. Wenn man den Schreibenden nicht mag, wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit auch sein Buch nicht mögen. Man wird nach Stellen suchen, die einen in der ablehnenden Haltung bestätigen und diese mit Sicherheit auch finden. Und wenn nicht, dann biegt man sich, wie Biller, seine Wahrheiten eben zurecht.

Aber das sind Probleme, die ein normaler Leser gar nicht hat. Denn wer liest schon freiwillig Bücher von Autoren, die man gar nicht mag. Warum sollte man sich das antun? Warum über 500 Seiten einem Menschen wie Benjamin von Stuckrad-Barre durchs Leben begleiten, wenn man sich nicht für ihn interessiert, ihn unsympathisch findet? Gerade „Stucki“ hat sich Zeit seines Lebens nicht nur Freunde gemacht. Sein respektloser Witz, seine aufgedrehte Art, diese intellektuelle Hybris — das ist nicht jedermanns Sache. Kann ich gut verstehen. Doch dieses Buch ist anders. Es ist schonungslos offen, vollkommen uneitel, bewegend und anrührend, menschlich und zu 100 Prozent authentisch. Und noch dazu ist es sprachlich phänomenal, hat Drive, Witz und Tiefe. BSB gelingt es, seinen Aufstieg zum It-Boy der deutschen Populärkultur sowie den Absturz in den Drogensumpf und die anschließende Rekonvaleszenz in den USA immer mit den richtigen Worten zu begleiten. Während zu Beginn der Karriere in jedem Satz Hoffnung, Übermut und Leichtigkeit mitschwingt, wird es bei der Beschreibung der Drogenjahre angemessen wirr, hektisch, lethargisch und unstrukturiert, um dann am Ende ruhig und nachdenklich auszuklingen.

Das Zitat auf dem Backcover des Buches bringt es auf den Punkt: „Stuckrad-Barre ist einer der begabtesten Schriftssteller seiner Generation, und endlich hat er das Buch geschrieben, dass er schreiben musste“, sagt Ferdinand von Schirach. Und genau das habe ich auch gedacht.

Vielleicht musste es so weit mit ihm kommen, damit er genau dieses eine Buch schreiben konnte. Das deswegen so gut ist, weil es nicht ausgedacht, nicht konstruiert ist. Weil er den Absturz aus dem Popolymp ins Hamburger Bahnhofsviertel wirklich praktiziert hat, weil er auf seine eigene Person keine Rücksicht genommen hat, nichts beschönigt und jede einzelne Schwäche offenbart hat. Und es ist ganz besonders gut, weil BSB einfach schon immer ein großes Schreibtalent war und sich diese Fähigkeit nicht nur bewahrt, sondern verfeinert hat. Wie ein alter Wein, hat er jetzt noch mehr Ausdrucksstärke und Charakter. Es macht einfach Spaß, seinen Sätzen zu folgen, dieses Wechselspiel aus distanzierter Überheblichkeit und dem schonungslosen Alle-Karten-Offenlegen.

Ich könnte mir vorstellen, dass Panikherz ein Buch sein wird, das bleibt, mit dem BSB Zeit seines Lebens verknüpft wird, sozusagen seine Blechtrommel. Stuckrad Barre, Autor des Kultbuches Panikherz. Ja, es hat durchaus Potenzial zum Kultbuch. Die Schilderung eines wildes Lebens zwischen Genie und Wahnsinn, anziehend und abschreckend zugleich und gleichzeitig ein Stück bundesdeutsche Zeitgeschichte. Es erinnert von der Lesestimmung ein wenig an Naked Lunch von William S. Burroughs oder Glamorama von Bret Easton Ellis.

Womit wir auch schon beim Thema Helden wären. Ellis ist einer von diesen Helden. Genau wie Helmut Dietl, Harald Schmidt und natürlich Udo Lindenberg. Heldenverehrung ist ja ganz ok. Bis auf Maxim Biller haben wir ja alle unsere Helden und Vorbilder. Und das ist auch gut so. Aber Benjamin von Stuckrad-Barre geht in diesem Punkt für meinen Geschmack zu weit, ist wie ein Boxenluder der Unterhaltungsindustrie, schmeißt sich wahllos jedem x-beliebigen VIP an den Hals, sei es Thomas Gottschalk, Westbam oder Heinz Rudolf Kunze. Das hat mich genervt, dadurch büßt das Buch an Coolness ein. Denn Helmut Dietl ist nicht cool, und Udo Lindenberg finde ich ganz fürchterlich. Wenn Panikherz kein Kultbuch wird, dann liegt das wohl daran.

Aber die Promis einfach weglassen geht auch nicht. Denn wie Udo Lindenberg sagen würde, ist das nunmal die Crew von Käpt’n Stuckiman auf seinem Panikdampfer namens Leben.

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Verlag: Kiepenheuer & Witsch
565 Seiten, 22,90 €

 

 

 

8 Kommentare

  1. So mein Lieber nun hast Du es geschafft. Hatte ja schon mal überlegt etwas von Herrn Stuckrad zu lesen, weil bei mir das eine Riesenlücke klafft, aber hmm es gibt ja so vieles was man noch lesen möchte und fast wäre mein Vorsatz in Vergessenheit geraten. Aber jetzt hast Du mich so derart neugierig gemacht auf Panikherz, nun werde ich es auf jeden Fall lesen.

    Macht es Sinn, ohne den Mann oder irgendeines seiner Bücher zu kennen, oder braucht man irgendeinen Einstieg?

    Schöne Ostern noch 🙂

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  2. Kultbuch: In der Regel ein Buch, das sich schlecht verkauft, aber für viele Menschen einen hohen Stellenwert hat. Niemand nennt Grass Kult, aber Brautigan schon.
    BSB kann aufgrund des kommerziellen Erfolges schon nicht Kult werden.

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  3. Guten Morgen,
    ich habe zufällig einmal eine Fernsehsendung mit dem Mann gesehen und fand ihn unerträglich. Ansonsten weiß ich nur, was jetzt an Promotionmaterial ausgegossen wird. Auch das hat mein Interesse nicht geweckt, seine Lebensgeschichte zu lesen.
    Für mich klingt das nach einem einzigen Hype, und der wird auch ohne mich prächtig laufen.
    Gruß Norman

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  4. Ich gebe Dir Recht, Objektivität ist immer schwierig. Auch bei Autoren, die man mag … Ich gebe zu, ich bin kein Fan von BSB, möchte aber genau wissen, ob sich zu damals etwas verändert hat. Und versuche deshalb Panikherz ganz objektiv zu lesen, weil ich glaube, dass das jemand, der sich so offen seinen Dämonen stellt, einfach verdient hat. Und zu Maxim Biller: wer einen Autor mit den Worten „Kabarettist, eigentlich so ein typischer, von den, igitt – Lach- und Schießgesellschaft Kabarettisten …“ der ist für mich einfach nur indiskutabel … egal, ob er ein Buch gut findet oder nicht. Danke für Deine ehrliche Meinung.

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  5. Ich bin gerade mittendrin, und ich finde, dass Du das Buch sehr gut einfängst, ich empfinde es sehr ähnlich. Dieses ständige Hin und Her von arroganter Überheblichkeit zu dann doch wieder Unsicherheit, Nicht-Genügenkönnen, was sich ja in den diversen Süchten und Krankheiten offenbart, das ist alles sehr authentisch meiner Meinung nach. Ich habe damals auch fast alles von ihm gelesen, kann mich kaum erinnern, aber vielleicht liest man ihn wirklich anders (nicht besser oder schlechter), wenn man nicht mit Panikherz beginnt.

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