Ronja von Rönne – Wir kommen

Ich werde jetzt nicht die bekannten Kritikpunkte bringen. Ich werde nicht sagen, dass Ronja von Rönne jung und hübsch ist, nicht sagen, dass sie überschätzt, protegiert und gehypt wird. Nein, ich finde sie einfach nur talentiert, schreibtalentiert. Punkt.

Ihr Debütroman ist gerade mal drei Wochen auf dem Markt, da scheint der Stab bereits darüber gebrochen zu sein. Unspektakulär, beliebig, nicht schlecht, aber auch nicht gut – so lautet das häufig zu lesende Urteil. Und obwohl sie selber Bloggerin ist, hat sie auch in den Blogs keinen großen Rückhalt. Ganz im Gegenteil – besonders Frauen verweigern ihr die Gefolgschaft und lehnen aus den unterschiedlichsten Gründen die Lektüre von „Wir kommen“ kategorisch ab.

Höchste Zeit also für einen Online-Ritter, der die Ehre der talentierten Bloggerin rettet. Einen, der sich mutig und selbstbewusst vor die Kritiker stellt und den Blick weg von der Autorin hin auf das Werk lenkt. Der eine objektive Auseinandersetzung mit der Literatur einfordert, weg von persönlichen Ressentiments und Vorurteilen. Ich habe ihren Roman mit Spannung erwartet und war bereit, diese Rolle zu übernehmen. Doch nach der Lektüre muss ich sagen, Ronja von Rönnes Debüt ist leider wirklich unspektakulär, beliebig, nicht schlecht aber auch nicht gut.

„Wir Kommen“ macht auch auf mich den Eindruck, mal eben schnell zusammengeschustert zu sein. ‚Hey Ronja, Du bist grad mega angesagt, lass mal einen Roman rausbringen. Hast Du nicht eine Idee oder ein paar Texte, um die man eine kleine Geschichte drumherum ranken kann?’ Ganz ehrlich, so kommt es mir vor.

Ich weiß gar nicht mehr, wie viele 200-Seiten Romane junger Autorinnen ich in den letzten zwei Jahren gelesen habe, in denen die Protagonistin eine Angststörung hat. Und auch in diesem Roman sind die nächtlichen Panikattacken der weiblichen Hauptfigur Nora das zentrale dramaturgische Element, aus der sich die gesamte Geschichte speist. Noras Ängste sind es, die sie nicht von Ihrem Ex-Freund Karl loskommen lassen. Auch nicht, als er ihr eines Tages Leonie vorstellt, seine neue Freundin. Man wäre ja modern und aufgeklärt und könnte doch auch zu dritt zusammen sein. Und da Nora das nicht so richtig gut zu gefallen scheint, kommt Jonas noch mit dazu. Und in dieser ‚ménage à quatre‘ leben sie eine Weile dahin, fahren zusammen in ein Haus ans Meer, schlafen im gemischten Doppel miteinander und reden sich in langen Abenden in Rage. Französisches Erzählkino.

Und damit es nicht allzu langweilig wird, baut Ronja von Rönne noch eine zweite Ebene ein. Alle zehn, zwanzig Seiten wird zurückgeblendet auf Noras Kindheit. Dort lernen wir ihre dominante Busenfreundin Maja kennen, die seit einigen Wochen verschwunden, vielleicht sogar tot ist, aber trotzdem allgegenwärtig durch die Vierer-Szenerie geistert. Und in dieses Setting passen natürlich nächtliche Panikattacken und eine vorerst ausgesetzte Psychotherapie ganz hervorragend, um hier und da ein paar Seiten assoziative Selbstzweifelprosa à la Sudelheft einzustreuen. Fertig ist der Debütroman.

Ich kritisiere jetzt natürlich in erster Linie den Plot, der mir doch ein wenig zu sehr aus dem Debütantinnen-Lehrbuch abgeschrieben vorkommt. Dabei ist mir Handlung normalerweise gar nicht so wichtig. Wenn ein Roman sprachlich überzeugt, kann das alles andere aufwiegen. Und die ersten fünfzig Seiten war ich der Meinung, dass das auch hier passieren könnte. Ronja von Rönne legt einen sehr gelungenen Start hin. Ganz so, wie ich es von der hochtalentierten Bloggerin und Jungredakteurin, deren Texte ich so gerne lese, auch erwartet hätte. Sätze voller Lässigkeit, gekonnt konstruiert, mit Drive, mit Gefühl, mit der Lizenz zum Vorlesen. Doch irgendwann scheint ihr der Atem ausgegangen zu sein, sie konnte das Level nicht halten, musste ja die Geschichte weitererzählen, den Plot nach vorne peitschen. Und da fehlte dann auf einmal alles. Da war dann nichts mehr lässig, da wurde plötzlich alles nur noch beliebig. Die Romanfiguren bleiben schwach und konturlos, die Nebenhandlung hängt irgendwie in den Seilen und macht nicht wirklich Sinn. Alles wirkt nur angescribbelt, nicht richtig ausgearbeitet. Letztlich hätten dem Buch ein wenig mehr Zeit und vielleicht zweihundert Seiten mehr ganz gut getan.

Trotzdem bleibt Ronja von Rönne für mich weiterhin ein großes Talent. „Wir kommen“ ist jetzt auch nicht grottenschlecht, sondern ein Roman, der durchaus seine Berechtigung hat. Ich würde ihn irgendwo zwischen Sarah Kuttner und Judith Hermann einordnen. Nicht ganz so witzig und unterhaltsam wie die Kuttner und wie Hermann ist die Autorin eher auf der literarischen Kurzstrecke zu Hause. Ich warte einfach auf ihren nächsten Roman und vertreibe mir bis dahin die Zeit mit kurzweiliger Selbstfindungsprosa im Sudelheft.

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Foto: Gabriele Luger

Aufbau Verlag
202 Seiten, 18,95 €

Hier liest die Autorin zehn Seiten aus Ihrem Roman:

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6 Kommentare

  1. Auf dem Feinen Buchstoff ist soeben auch eine Rezension erschienen, die sehr begeistert ist – einfach mal gucken, wenn Lust und Zeit dazu da ist. Im Vorfeld haben wir – wir sind ja ein Gemeinschaftsblog – auch heiß darüber diskutiert, obwohl nur der Rezensent – ja, ein Mann – das Buch tatsächlich gelesen hat. Wir anderen – ja, Frauen – sind tatsächlich nicht so unvoreingenommen, was den Roman angeht. Da werden aber nicht die üblichen Ressentiments erwähnt, wie zu jung, zu hübsch, zu protegiert – darüber stehen wir – sondern eher: zu abgehoben, anderen weiblichen nicht so gut gestellten Lebenswelten gegenüber, zu snobistisch, was die Sicht auf die Errungenschaften der Emanzipation angeht, zu ignorant den Tatsachen, denen Frauen sich noch vor 50 Jahren in der BRD gegenüber sahen. Das alles hat sicher nichts mit ihrem Roman zu tun, doch beeinflusst es, macht eine Schublade auf, in die Ronja von Rönne als Schriftstellerin wohl nicht hingehört – zumindest, was ihre Schreibe angeht, denn schreiben kann sie, das ist unbestritten. Es lässt aber auch Rückschlüsse auf ihre Themen zu. Langer Rede kurzer Sinn, ich habe mir vorgenommen, das Buch selbst zu lesen und bin nun noch mehr auf meinen eigenen Eindruck gespannt. Danke für die fundierte Rezension!

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  2. Das mit dem „Hingeschludert“, kann vielleicht ein wenig zu stimmen, hat die Autorin ja auf dem „Blauen Sofa“ in Leipzig wissen lassen, daß wenig Zeit für den Roman war und, daß deshalb die Tagebuchform gewählt werden mußte. Das mit dem Talent (und der großen Schnauze) stimmt auch, denn manche Formulierungen, ich habe einige in meiner Besprechung https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/03/17/wir-kommen/ ausgewählt, finde ich unheimlich stark, allerdings in der sehr negativen Art, so daß mir die Autorin leid täte, wenn sie wirklich immer so denkt und sich gehetzt von der einen zu der anderen Anforderung treiben läßt.
    Da wäre schon einmal der erste Satz mit „Maja ist nicht tot, denn das haben wir nicht so ausgemacht!“, finde ich in seiner schnoddrigen Verzweiflung, als einen der besten Satzanfänge, an den ich mich erinnern kann.
    Und dann liebe Leute, die Autorin ist vierundzwanzig, hat sich allerdings wahrscheinlich selber in diesen Hype hineinmanövriert, wenn sie sich aber auf den blauen Sofa, dafür entschuldigt, daß alle jetzt enttäuscht sein werden, wenn sie eine Provokation erwarten und durch ihren Verlag ausrichten läßt, daß sie leider zu dieser Feminismusansage nicht Stellung nehmen kann, dann denke ich mir, vielleicht ist sie schon auch ein wenig verunsichert und der „Zauberlehrling“ hat uns ja, glaube ich, bewiesen, daß man die Geister, die man vielleicht übermutig oder unbedarft herausgefordert hat, auch aushalten muß!
    Mir hat das Buch gefallen, weil ich mir von einer Vierundzwanzigjährigen keine Sensation erwartet habe, was soll sie denn schreiben, wenn nicht einen Debutroman und das mehr Zeit, damit etwas Großes daraus wird, müssen ihr wohl die Verlage, die Leser und natürlich auch sie selbst sich geben!
    Lebe Grüße, hat mich gefreut, daß wir uns in Leipzig kennenlernen konnten und jetzt geht es weiter mit Gertrud Klemm und dann irgendwann, wenn ich mich nicht zu sehr von den Neuerscheinungen abhalten lasse, mit Vicki Baum!

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    1. Echt, es war wenig Zeit für den Roman? Hmm, da sieht man mal wieder wie der „Markt“ alles bestimmt. Schade, dass man sich davon drängen lässt …

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