Keine Ahnung, aber La Paloma pfeifen

Manchmal wache ich morgens auf und habe das Gefühl, im Schlaf mein ganzes Selbstbewusstsein verloren zu haben. Irgendein Traumungeheuer muss mich in der Nacht komplett demoralisiert haben. Nach dem ersten Kaffee kommt es dann so langsam wieder zurück. Aber bis dahin frage ich mich, ob das alles so richtig ist. Zum Beispiel die Sache hier mit dem Blog. Eigentlich habe ich doch von Literatur gar keine Ahnung. Da gibt es Leute, die haben das studiert, sich das Handwerkszeug draufgeschafft. Die haben im Schweiße ihres Angesichts alle relevanten Autoren gelesen, angefangen bei Walter von der Vogelweide bis zu Thomas Bernhard, nur um irgendwann zu wissen, was gut und was schlecht ist, was man empfehlen kann und was nicht.

Ich dagegen habe nur viel gelesen, querbeet und nach eigenem Gusto, sonst nichts. Wie man eine ordentliche Rezension schreibt, habe ich nie gelernt. Es wäre natürlich ein Leichtes, sich die goldenen Regeln mal herauszusuchen und es zu probieren. Aber da fehlt mir nicht nur der Ehrgeiz, es interessiert mich auch nicht. Ich glaube, es würde mich langweilen, so eine richtige Rezension nach Lehrbuch zu schreiben. Genauso wie es mich auch oft langweilt, so eine Lehrbuch-Rezension zu lesen. In den meisten Fällen ist mir das alles zu neutral, zu wenig wertend, zu unpersönlich. Ich überfliege nur den Einstieg, lasse den Inhaltsangaben-Mittelteil einfach aus, scrolle sofort bis zum Fazit und hoffe auf eine ehrliche und klare persönliche Meinung. Ich will keinen literaturwissenschaftlichen Vergleich und keine politische Interpretation. Ich will eine Emotion, einen persönlichen Eindruck, will wissen wohin einen das Buch gedanklich führt, ob es eine zweite Ebene hinter dem Plot gibt und ob es irgendwas beim Rezensenten zum Klingen gebracht hat. Das interessiert mich, das will ich wissen und genau das fehlt mir bei den meisten Feuilleton-Rezensionen.

Und während ich noch den ersten Kaffee trinke, denke ich, dass das ja nicht gerade von großer Intellektualität zeugt. Es ist schon eine ziemlich einfache Sichtweise, wenn es einem beim Lesen eigentlich nicht um das Buch, sondern immer wieder nur um einen selber geht. Um mein Lesevergnügen, um meine Gedanken, Assoziationen und meinen Spaß. Dass ich mich mit einem Thema nur auseinandersetze, wenn ich es irgendwie mit mir in Verbindung bringen kann, wenn ich mich mit einer Figur identifizieren, in einen Plot hineinversetzen kann. Wenn mir das nicht gelingt – oder anders gesagt: der Autor das nicht schafft – dann erreicht mich ein Buch nicht und ich steige aus. Und hier frage ich mich, wenn man so Ich-bezogen liest und sein ganz persönliches Urteil fällt, kann man dann noch guten Gewissens anderen Personen Bücher empfehlen?

So ein Buch kann einen ja auch mal auf dem falschen Fuß erwischen. Wenn ich gestresst bin, Probleme auf der Arbeit habe, mich müde und ausgelaugt fühle, dann hat es jedes Buch schwer. Wenn es sich dann noch zieht, über mehrere Seiten frei assoziiert wird und ich anfange, den Überblick bei den Protagonisten zu verlieren, passiert es schnell, dass ich einfach keine Lust mehr habe weiterzulesen. Dann klappe ich es zu, fälle mein Negativ-Urteil und das steht dann hier für immer auf dem Blog und wird mehr oder weniger häufig angeklickt. Das gleiche Buch im Urlaub gelesen, in entspannter Stimmung und mit voller Konzentration, würde ich vielleicht ganz anders bewerten. Das ist doch nicht professionell. Was können denn der Autor und sein Buch dafür, dass ich mich gerade nicht richtig auf sein Werk konzentrieren konnte, dass es für mich das falsche Buch zur falschen Zeit war? Deswegen muss es doch nicht schlecht sein.

Und überhaupt: Ich, Ich, Ich – meine Texte sind voll davon. In manchen Rezensionen stehen vielleicht ein oder zwei Sätze zu dem eigentlichen Werk, der Rest beschäftigt sich mit mir. Was ICH beim Lesen so gedacht habe, womit ICH meine Schwierigkeiten hatte, wie ICH die Sprache empfinde. Was hat das für einen Wert? Wie häufig habe ich schon einen Roman schlecht bewertet oder sogar verrissen, der an anderer Stelle hochgelobt oder sogar mit Preisen bedacht wurde. Das erhärtet den Verdacht, dass ich von Literatur überhaupt keine Ahnung habe.

Irgendwann ab der zweiten Tasse Kaffee ist mein Selbstbewusstsein aber wieder komplett hergestellt, und ich bin wieder mit mir im Reinen. Natürlich habe ich Ahnung. Und wenn es nicht die reine Lehre ist, so ist es doch zumindest mein Verständnis von guter oder weniger guter Literatur, dass ich hier zum Besten gebe. Das kann man teilen und gut finden oder aber kritisieren und ignorieren. Niemand ist gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Und daher bleibe ich dabei. Ich werde nichts anders machen. Ich kenne die Defizite aber auch die Stärken meiner Texte. Vielleicht sollte ich sie auch gar nicht Rezension nennen, sondern einfach nur Blogbeiträge. Denn Buchrevier ist mein digitales Lesetagebuch, in dem ich nach Herzenslust Ich-bezogen lesen, schreiben und Literatur überaus subjektiv bewerten kann. Ich kann das so machen, Journalisten können und dürfen das nicht so machen. Vielleicht würden sie ja gerne und beneiden uns Blogger insgeheim wegen dieser ungehemmten Subjektivität und Meinungsfreiheit.

Auch wenn es sich jetzt blöd anhört, ich lese meine Blogbeiträge selber gerne. Ich bin generell der Meinung, dass man nur das schreiben sollte, was man auch selber gerne lesen möchte. Und wenn man über Bücher schreibt, gilt das erst recht. Denn wie ermüdend muss die Lektüre eines Buches sein, wenn einen die Rezension dazu schon langweilt?

Ich lese, um mich selbst zu finden und aus dem gleichen Grund schreibe ich über das, was ich gelesen habe. Ich bin der, der bei einem Gruppenfoto immer zuerst guckt, ob er selber gut getroffen ist, der sein Spiegelbild in den Fenstern parkender Autos betrachtet und der in jedem Buch, das er aufschlägt, auf der Suche ist nach sich selbst. Vielleicht werde ich irgendwann fündig und höre dann auf zu lesen. Oder ich fange dann erst richtig an zu lesen. Nicht mehr auf der Suche nach mir selbst, sondern nur noch auf der Suche nach guter Literatur. Obwohl – ich könnte mir das sehr langweilig vorstellen.

Foto: Gabriele Luger

8 Kommentare

  1. Geht mir genau so. Aber ich habe mir noch nie die Mühe gemacht, es so klar zu durchdenken und zu formulieren, wie du es gemacht hast.

    Noch zu dem Buch am falschen Tag erwischt: Also, da habe ich die Erfahrung gemacht, dass es objektive Gründe dafür gibt, wenn man so richtig hängen bleibt, also nicht nur weil man gerade müde ist. Ist mir passiert bei Umberto Ecos „Die Insel des letzten Tages“. Und das, obwohl ich „Der Name der Rose“ und „Das Foucaultsche Pendel“ verschlungen und mindestens zweimal gelesen haben. Aber bei der Insel war irgendwann ziemlich schnell Schluß. Also dachte ich gerade vor ein paar Monaten, das könnte damals so ein Moment für falsches Buch zur falschen Zeit gewesen sein.

    Ich habe dann „die Insel“ wieder rausgenommen aus dem Regal und wieder neu angefangen zu lesen. Aber es war der gleiche Hänger an etwa der gleichen Stelle,wo es Eco nicht lassen kann, seitenlang aus schwülstig formulierten Briefen an „die Senorita“ zu zitieren. Das zu schreiben hat ihm bestimmt Spaß gemacht, weil er kriecht ja in diese Floskeln der Renaissance förmlich hinein. Aber ich bin nicht eingeweiht genug in dieses Thema und deshalb: Sorry, kann ich nichts mit anfangen.

    Und es geht ihr außerdem gewohnheitsmäßig gegen den Strich, Bücher NICHT von Anfang bis Ende zu lesen. Bei Lehrbüchern ist es ok, da lese ich auch selektiv, aber nicht bei Belletristik oder Sachbüchern.

    Aus diesem Grund werde ich es mit der „Insel“ wohl nicht noch einmal versuchen. Aber sie bleibt bei mir im Bücherregal.

    Vielleicht kommt ja eines Tages jemand und erklärt mir, was an dem Buch so toll ist und sie oder er freut sich dann, es mitnehmen zu dürfen. Dann wüßte ich es in guten Händen.

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  2. Ich lese auch um mich selbst zu finden. Immer wieder woanders, immer wieder neu. Blogs die das ähnlich handhaben lese ich sehr gerne, weil mich immer der Mensch dahinter interessiert. Das Feuilleton ist neben dem Bereich Wissen noch immer mein Lieblingsteil der Zeitung, aber Blogger schaffen es deutlich häufiger als Feuilletonisten mich zum Lesen eines Buches zu bewegen. Vielleicht gerade weil sie viel bemüht neutraler sind ?

    Die eigenen Blogbeiträge gerne lesen ist für mich das erste Ziel eines Blogs und auch meines Blogs. Wenn noch andere Leute lesen oder kommentieren, man ins „Gespräch“ kommt über Literatur ist das wunderbar, ich schreibe aber in der Tat in erster Linie einmal für mich selbst.

    Liebe Grüße, Bingereader

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  3. Und genau da liegt der Hund begraben. Das Feuilleton kreidet und Bloggern so oft an, dass wir nur Hobbyschreiber wären, die bejubeln und nicht neutral genug sind. Meine Meinung dazu: Recht haben sie. Nach meinem Selbstverständnis bin ich genau das und ich will auch gar nicht in Konkurrenz mit den studierten Fachrezensenten treten. Ich würde auch nie etwas anderes behaupten. Aber ist es nicht genau das, was die Leser meines Blogs auch erwarten? Meine Meinung, die im Zweifelsfall mit ihrem Geschmack konform geht und deshalb für sie eine Empfehlung (oder eben das Gegenteil) ist.

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  4. Dito.
    Das mit den Büchern, die in dem Moment nicht funktionieren, kenne ich gut. Aber das ist nun einmal so, meistens klappt es, wenn ich sie an einem anderen Punkt nochmal in die Hand nehme, gut. Sie bleiben ja da, im Regal, und warten auf mich 🙂

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  5. Wozu braucht man eigentlich eine Negativkritik und Verrisse?
    Um sein literarisches Wissen und seine Literaturkenntnisse zu beweisen? Ich tue mir da, natürlich aus ganz persönlichen Gründen, weil ich das ja auch nicht über meine Bücher hören will, schwer und verreiße nicht und habe das bei den etwa tausend Rezensionen oder Buchbesprechungen, denn Rezensionen sind es ja keine, eher literarische Portraits, wo ich versuche, das Buch mit mir und meinen Erfahrungen in Beziehung zu setzen, auch noch nicht wirklich gebraucht.
    Natürlich, wenn mir ein Buch nicht gefällt oder wenn etwas nicht stimmt, politisch unkorrekt, etcetera ist, dann schreibe ich es natürlich, aber ich brauche kein Buch verreißen und ich spoilere viel, gehe damit sicher manchen Leuten auf die Nerven, aber ich denke meine Buchbesprechungen sind auch mein Gedächtnis, mein Training gegen Alzheimer und Demenz, beschreibe also den Inhalt, schreibe was ich vom Autor weiß und wie es mir beim Lesen geht.
    Dann brauche ich kein Buch wegschmeißen, einmal, ein einziges Mal, habe ich einen Krimi persönlich nicht ausgehalten und er ist mir zu aggressiv gewesen.
    Beim „Kameramörder“, den ich noch lesen muß, könnte es mir vielleicht ähnlich gehen.
    Ich lobe aber auch nicht so besonders viel, bin eigentlich kein Fan, sondern versuche für mich selbst mit dem Buch zurande zu kommen und meine Eindrücke zu beschreiben.
    Besser, wie der Autor, weiß ich es nie, wie könnte ich das auch? Höchstens, daß ich den Unterschied zwischen einen Psychiater und einen Schulpsychologen kenne und das auch schreibe und ich mahne ihn auch nie, daß er sich jetzt verkürzen, schwieriger oder einfacher, etcetera, schreiben soll.
    Ich lese und staune oder lasse auf mich wirken und schreibe dann meine Eindrücke als Erinnerungshilfen auf.
    Soll eine Rezension so sein? Wahrscheinlich nicht, habe ich mir von Fachleuten schon sagen lassen. Ich habe aber schon an die tausend geschrieben und auch einige interessante Erlebnisse und Reaktionen darauf und damit gehabt.
    Ich lese und schreibe also weiter, liebe Grüße aus Wien!

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  6. Guten Morgen!

    Ich habe deinen Beitrag gerade bei Yvonnes Lesewelt entdeckt, sie hat dich in der Stöberrunde verlinkt 😉

    Ich finde deine Gedanken super, denn so ähnlich denkt wohl jeder mal über seine Gedanken und sein Geschreibe auf dem Blog. Aber gerade wenn ich jemandem schon länger folge, dann kann ich seine Gedanken immer besser nachvollziehen. Wenn ich die Rezensionen lese, weiß ich, ob er auf meiner Wellenlänge liegt, ob er Bücher bevorzugt, die auch mir gefallen, kann diskutieren oder einfach nur die Meinung bestätigen, weil es mir beim Lesen genauso ging.

    Genau deshalb hab ich selber einen Blog und genau deshalb besuche ich auch gerne andere Blogs und lese auch sehr gerne Rezensionen! Am liebsten, wenn sie persönlich und ich-bezogen sind xD

    Liebste Grüße, Aleshanee

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