Bastian Asdonk – Mitten im Land

 

Walden 2016.

Davon liest und hört man jetzt immer öfter: von Menschen, die das Hamsterrad verlassen, einen Cut machen und noch einmal ganz von vorne anfangen. Alle Verpflichtungen, Geldsorgen, Zeitfresser und überflüssigen Tand über Bord werfen, um einfach, frei und natürlich zu leben. Wie der namenlose Held dieses kleinen feinen Buches von Bastian Asdonk, einem Debütanten aus – wie kann es anders sein – Berlin.

„Mitten im Land“ ist die Geschichte eines Karriereristen aus der Großstadt, der nach einem Burnout seinen Job an den Nagel hängt und mit der Abfindung ein Haus mit großem Seegrundstück in der ostdeutschen Provinz erwirbt. Eigenes Gemüse anbauen und Schritt für Schritt zum Selbstversorger werden, so lautet der Plan. Ganz so wie Henry David Thoreau es in seinem Aussteiger-Klassiker Walden beschrieben hat. Der Protagonist ist ganz alleine, kein Partner, keine Freunde. Und wie er da so ganz für sich das Bad putzt, Gemüsebeete anlegt und sich ein Risotto zubereitet, da kommt beim Lesen fast so etwas wie Murakami-Stimmung auf. Die ausführliche Beschreibung der kleinen Alltäglichkeiten, Essen zubereiten, Gartenarbeit – all das hat etwas Meditatives; man kommt den Dingen nah, ist fokussiert und gleichzeitig entspannt. Eine Stimmung, die sich auch auf den Leser überträgt.

Aber „Mitten im Land“ ist mehr als nur eine Aussteiger-Idylle. Denn irgendwo auszusteigen heißt auch, woanders neu einzusteigen und in einer Gemeinschaft zunächst erstmal fremd zu sein. Trotz seines unabhängigen und selbstbestimmten Lebens ist Asdonks Held gezwungen zu interagieren, muss einkaufen, braucht ab und zu einen Handwerker und hin und wieder mal jemanden fürs Bett. Er hat dafür die hübsche Verkäuferin aus dem Supermarkt ins Auge gefasst. Doch an ihr sind noch andere interessiert.

Und so rückt der Aussteiger in den Fokus der kleinen branden- oder mecklenburgischen Gemeinde, die genauso zu sein scheint, wie man sich die ostdeutsche Provinz gemeinhin immer vorstellt: landschaftlich schön, aber strukturschwach, bodenständig und notorisch fremdenfeindlich. Die heimelige Selbstversorger-Idylle wird eines nachts nicht nur von gefräßigen Nacktschnecken gestört, sondern auch vom gewaltbereiten und rechts von der Mitte befindlichen Landvolk.

Es spitzt sich zu, wird brutal und bedrohlich. Ein schöner Spannungsbogen baut sich auf und gerade als es vorhersehbar in Richtung klassische Gut-oder-Böse-Geschichte abdriftet – die Rechten vertreiben den Fremden aus dem Dorf – setzt Asdonk den Blinker und nimmt die Ausfahrt. Das Fazit klingt banal, fast wie eine dieser schnöden, auf Tafeln geschriebenen Lebensweisheiten bei Facebook. Die Bösen sind nicht böse, sie haben nur Angst. Das kenne ich von unserem Hund. Der bellt auch erstmal alles Fremde an. Und trotz aller Banalität ist diese Erkenntnis mal erfrischend anders, ja ich würde sogar sagen mutig. Denn wer hat schon Verständnis für Fremdenfeindlichkeit?

Generell bin ich ziemlich begeistert von diesem kleinen Buch, das ich innerhalb weniger Stunden durchgelesen habe. Stellenweise erinnerte mich das Setting, diese eigentümliche Brandenburger Tristesse, stark an Juli Zehs „Unterleuten“ oder Stanisics Uckermark-Epos „Vor dem Fest“. Zwei Romane, die nach dem Lesen noch lange nachhallen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn die eine oder andere Romanfigur aus Unterleuten oder Fürstenfelde auch hier plötzlich aufgetaucht wäre. Diese Assoziationen und das bereits beschriebene Murakami-Flair machen ‚Mitten im Land‘ zum perfekten Buch für ein paar Stunden Ausstieg aus dem Alltag.

________
Foto: Gabriele Luger

Verlag: Kein & Aber
224 Seiten, 20,00 €

 

5 Kommentare

  1. Diesen Trend „Zurück zur Natur“ oder „Raus aus der Beschleunigung“ finde ich als eine Art Gegenbewegung ganz spannend. Weil er nicht nur das Land/die Natur in den Fokus rückt, sondern, wie du es ja beschreibst, auch die Suche nach einem Gegenentwurf, nach einem anderen Leben beinhaltet. Erstaunlich auch, dass dieser Trend nicht nur in Deutschland auszumachen ist. Dieser Titel ist mir bisher gänzlich unbekannt gewesen, deshalb Danke für den wunderbaren Tipp. Viele Grüße

    Like

  2. Murakami löst bei mir eher nix aus. Dafür fand ich Unterleuten sehr unterhaltsam, obwohl ich vorher so gar kein Zeh-Fan war. Ich werde aber auf jeden Fall Walden auf meine ewige Todo-Liste setzen und ebenso dieses Debüt, vielleicht weil es von einem Leben handelt nach dem ich nicht strebe.

    Like

Hinterlasse einen Kommentar