Ach du dickes Buch.

 

Fünf literarische Eintausender-Empfehlungen. 

Schon den ganzen Februar läuft auf der Social-Reading-Plattform LovelyBooks die Aktion „Buchblogger empfehlen“. Jeden Tag stellt dort ein ausgewählter Literaturblogger eine Themenliste mit fünf Büchern vor. Heute ist Buchrevier an der Reihe, und ich habe mich für das Thema „Dicke Dinger“ entschieden – sprich: Bücher mit bis zu 1.000 Seiten und mehr.

Dicke Bücher spalten ja die Gemüter. Für einige fängt das Lesevergnügen erst ab 500 Seiten an, andere empfinden derart ausufernde Lektüre als Zumutung. Ich persönlich kann beide Standpunkte nachvollziehen. Nicht jede Geschichte wird besser, wenn man sie zu einem dicken Schinken auswalzt. Manchmal hat man sogar das Gefühl, dass Marketing-Kalkül dahinter steckt. Denn wer als Autor einen Tausendseiter veröffentlicht, macht allein deswegen schon auf sich aufmerksam. Dünne Literatur können viele, dicke Literatur nur wenige. Hinzu kommt: Wenn ein Buch dick ist, ist es oftmals nicht literarisch, sondern eher unterhaltend. Also gilt die Gleichung: dick + literarisch = wertvoll.

Wie dem auch sei, für die LovelyBooks-Rubrik habe ich mein Bücherregal durchforstet und fünf dicke Schinken herausgesucht, die ich gerne und mit Gewinn gelesen habe und bei denen ich zu keiner Zeit das Gefühl hatte, da will ein Autor nur Seiten schinden. Hier also meine fünf Eintausender-Empfehlungen: 


1280 Seiten: Nino Haratischwili – Das achte Leben (für Brilka)

Ich glaube jeder, der ein wenig Sinn für gute Geschichten und eine gute Schreibe hat, wird merken, was er hier in den Händen hält. Nicht irgendeinen Schmöker, keine x-beliebige Familiensaga, kein Buch für eine Saison. Nein, was Nino Haratischwili hier abgeliefert hat, wird bleiben und die Zeit überdauern. Ich scheue mich ein wenig vor dem großen Wort, frage mich, ob das, was mir auf der Zunge liegt, nicht zu hochgegriffen ist. Ob ich das überhaupt beurteilen kann. Aber warum eigentlich nicht? Ich habe schon viel gelesen, darunter auch vergleichbar dicke Familien-Epen wie Tolstois „Krieg & Frieden“, die Buddenbrooks oder Jonathan Franzens „Korrekturen“. Und genau in diese Reihe möchte ich auch „Das achte Leben“ stellen. In meinen Augen ist dieser Roman Weltliteratur, nicht mehr und nicht weniger.

923 Seiten: Jan Brandt – Gegen die Welt

Das, was Jan Brandt da im Jahr 2013 als Erstlingswerk abgeliefert hat, ist wirklich mehr als erstaunlich und verdient höchsten Respekt. Nicht umsonst ist er damit prompt auf der Shortlist des deutschen Buchpreises gelandet. Dabei kann ich gar nicht genau sagen, was er da abgeliefert hat. Einen Entwicklungsroman? Eine Familiensaga? Ein mit ein wenig Science-Fiction aufgepepptes Epos über die jüngste deutsche Vergangenheit? Ich würde sagen, von allem etwas und das auch noch sehr unterhaltsam. Es erinnert mich ein wenig an Murakami. Klare einfache Sätze, lange Beschreibungen, einsame Helden und zum Auflockern ein wenig Surreales. Klar hätte man das Buch auch halb so dick machen können, die Geschichte hat einige Längen, aber die Lektüre lohnt sich trotzdem.

1.024 Seiten: Haruki Murakami – 1Q84

Wie macht er das nur? Mit diesen einfachen Sätzen. Subjekt, Prädikat, Objekt. Keine Verschachtelungen, keine kunstvollen Allegorien. So, wie es eigentlich jeder könnte. Und doch kommt schon auf der ersten Seite diese einzigartige Lesestimmung auf. So eine verträumte Spannung, leicht und unbeschwert. 1024 Seiten – ein dicker Wälzer. Und doch ist die Lektüre so entspannend wie ein Nachmittags-Spaziergang an einem sonnigen Herbsttag. Typisch Murakami.

So einfach und reduziert wie der Schreibstil ist auch der Inhalt des Romans. Viel passiert nicht auf den edlen Dünndruck-Seiten. Zwei Protagonisten, zwei Biografien voller Einsamkeit, zwei Morde und zwei Monde. Man könnte die Geschichte auch auf maximal zehn Seiten erzählen. Und trotzdem kommt nicht eine Sekunde Ungeduld auf. Als Lektor würde ich nicht einen Satz streichen. Denn jeder Satz ist Gefühl. Und alle zusammen kreieren diese Lesestimmung, geben dem Buch eine Seele.

1024 Seiten: Donna Tartt – Der Distelfink

Ich glaube, den Distelfink von Donna Tartt haben vor drei Jahren wirklich fast alle gelesen. Und wer es nicht getan hat, weil er oder sie entweder dicke Bücher oder extrem gehypte Bücher meidet (in diesem Fall kommt beides zusammen), sollte es jetzt unbedingt nachholen. Denn hier bekommt man alles, was man für einen erfüllenden Lesemarathon braucht. Eine spannende Geschichte, glaubwürdige Protagonisten, interessante Erzählperspektiven und eine sprachlich saubere Umsetzung. Da stört nichts, da ist alles stimmig und wohldurchdacht, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Kein Wunder, denn Donna Tart überlässt bei Ihren Büchern nichts dem Zufall, lässt sich Zeit, sehr viel Zeit. Immerhin hat sie bis zu 10 Jahre an diesem Roman geschrieben, korrigiert, verbessert und gefeilt – bis alles perfekt war. Und das merkt man.

1392 Seiten: Jonathan Littell – Die Wohlgesinnten

Als ich mich für das Thema „Ach du dickes Buch“ entschieden habe, war ich gerade mittendrin in Hanya Yanagiharas dickem Wälzer “Ein wenig Leben“. Ich wollte es hier als fünften Titel empfehlen, war aber am Ende so enttäuscht, dass ich von der Lektüre mittlerweile abrate. Stattdessen möchte ich auf ein echtes Schwergewicht verweisen, das sich alles andere als leicht und locker liest. Jonathan Littel hat mit seinem knapp 1.400 Seiten dicken Werk „Die Wohlgesinnten“ im Jahre 2008 für einen riesigen Medienwirbel gesorgt. Alle Welt hat von dem Buch gesprochen, nur wenige haben es tatsächlich ganz gelesen. Denn die Lektüre tut weh, schockiert und ist kaum zu ertragen. Litell schildert auf schonungslose Weise die Gräueltaten der SS und der deutschen Wehrmacht an den Juden in Osteuropa. Es ist schrecklich, bedrückend und nichts für zartbesaitete Gemüter. Ich habe mehrere Monate für die Lektüre gebraucht, das Buch immer wieder unterbrechen müssen. Aber es ist auch eine Lektüre, die man nie vergisst.

6 Kommentare

  1. Ich bin in dieses Jahr mir lauter „dicken Dingern“ gestartet, wenn man die Messlatte mal ein wenig niedriger legt. Yangihara, Hills „Geister“, Foers „Hier bin ich“ und jetzt 4 3 2 1 von Auster. Auch wenn alle absolut lesenswert waren (und besonders Auster noch ist), ich giere nach schmalen Büchern und werde demnächst einen Umweg um „Schinken“ machen. Aber deine Auswahl ist sehr gut und anregend! Viele Grüße, Petra

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  2. Mir hat Murakamis dicker Wälzer sehr gut gefallen. „Der Distelfink“ konnte mich nicht sehr überzeugen. Litell und Haratischwili stehen noch auf der Leseliste. Ich hatte vor einiger Zeit, Litell angefangen und wieder zur Seite gelegt, weil mir die Perspektive zu beklemmend war. Aber ich denke, der Roman ist es wert, er erhält noch eine Chance. Viele Grüße

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  3. Litell hatte ich damals versucht zu lesen. Wirklich versucht. Aber Litell und ich, das wurde nichts. So gut und verstörend und thematisch genial das Buch vielleicht auch ist, ich konnte nicht bei der Sache bleiben. Schade eigentlich.
    Murakami ist großartig!
    Der Distelfink liegt noch neben meinem Bett und wartet darauf, gelesen zu werden, denn mein aktueller Wälzer ist 4 3 2 1 von Paul Auster. 🙂

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  4. Bin total einverstanden mit der Einschätzung zu Yanagihara: erst ist es inhaltlich und dann literarisch quälend… Genauso einverstanden bin ich mit dem uneingeschränkten Lob für 1Q87 und das achte Leben, ich warte ungeduldig auf das Nächste Buch von Nino Haratischwili…

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