José Eduardo Agualusa – Eine allgemeine Theorie des Vergessens

Ich schreibe hier den Namen des Autors hin, der gar nicht mal so schwer zu merken ist, und vergesse ihn innerhalb von zwei Minuten wieder. Schon seit einigen Jahren beobachte ich dieses Phänomen an mir und kann es nicht erklären. Da ist scheinbar ein ganz großes schwarzes Loch in meinem Gehirn, wo alles hineinfällt und verschwindet, was irgendwie mit Literatur aus Spanien, Portugal oder Lateinamerika zu tun hat.

Vielleicht ändert sich das ja irgendwann mal – so meine Hoffnung – wenn ich endlich mal ein wirklich gutes Buch aus einem dieser Länder gelesen habe. Eines, das sich nicht wie ein Märchen für Erwachsene anhört. Eine Geschichte, die keine Allegorie für irgendetwas sein will, nicht gefühlsüberladen oder kitschig-sentimental. Und so versuche ich es immer wieder, greife zu diesen für mich namenlosen Autoren, um immer wieder neu enttäuscht zu werden. Im besten Falle lege ich das Buch mit einem Schulterzucken zur Seite und vergesse es noch im selben Moment. Oder aber ich pfeffere es nach ein paar Seiten angeekelt in die Ecke und schwöre mir, nie wieder auch nur den Versuch zu wagen.

Leider war auch dieser Roman keine Ausnahme, obwohl der Titel „Eine allgemeine Theorie des Vergessens“ und die Story eigentlich ganz vielversprechend klangen. Da mauert sich eine Frau am Vorabend der angolanischen Revolution im Penthouse eines Hochhauses ein und lebt dort dreißig Jahre unentdeckt. Mich hat interessiert zu erfahren, wie man das überlebt, so ohne Lebensmittel, Wasser und Strom, warum man das überhaupt macht und was einem in dieser Zeit so alles durch den Kopf geht. Von einer angolanischen Revolution hatte ich vorher auch noch nie gehört und auch noch nie einen Roman gelesen, der in diesem Land spielt. Also die Bereitschaft, mich auf diese Geschichte einzulassen, war durchaus da, zumal der Zeitbedarf für die Lektüre sich angesichts der gerade mal 190 Seiten in Grenzen hält. Aber es war auch dieses Mal wieder nichts Anderes als eine schnöde Märchenstunde.

Dieser portugiesische Autor, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe, kann sich natürlich nicht darauf beschränken, nur die Geschichte seiner Hauptfigur Ludovica zu erzählen. Nein, er lässt noch eine ganze Reihe holzschnittartig gezeichneter Figuren auftauchen, die alle entweder gut oder böse, bettelarm oder steinreich sind. Da wird ein skrupelloser Auftragskiller in den Wirren der Revolution an die Wand gestellt und exekutiert. Doch er stirbt nicht, wird von einer guten Fee namens Magdalena aufgenommen, gesund gepflegt und in einem angolanischen Stammesdorf versteckt, wo aus dem Saulus ein Paulus wird. Dann ist da noch ein tanzendes Flußpferd, ein Affe, eine Taube mit Diamanten im Bauch, ein kleiner Straßenjunge sowie eine verloren geglaubte Tochter. Und natürlich darf in der kitschig-schwülstigen Märchenwelt auch eine große Bibliothek mit mehreren tausend Büchern nicht fehlen. Am Ende kommt es zum großen Showdown, vor der Tür der Alten, Gut trifft auf Böse und oh Wunder – das Gute gewinnt.

Das ist jetzt natürlich etwas zynisch zusammengefasst und meinem gestörten Verhältnis zu ibero-literarischen Erzeugnissen geschuldet. Aber es kann doch wohl nicht sein, dass ich immer wieder meine Vorurteile bestätigt bekomme. Gibt es eigentlich keine coolen spanisch- oder portugiesisch-sprachigen Gegenwartsautoren? Natürlich muss es die irgendwo geben, ich kenne sie nur nicht. Mein Verdacht ist ja, dass die nicht-kitschigen Spanier und Portugiesen einfach nicht ins Deutsche übersetzt werden und daher hierzulande gar nicht stattfinden. Und der Verlagsbranche ist das auch nur recht, denn Märchen für Erwachsene verkaufen sich gut. Wo Xavier, José oder Paolo draufsteht, ist immer ganz viel Gefühl mit drin – zum Schwelgen, zum Träumen und Sich-Verlieren. Und immer gibt es eine Botschaft, eine Lebensweisheit, mit der man am Ende der Lektüre belohnt wird. Warum sollte man sich diese Marke kaputt machen, indem man junge, außergewöhnliche Autoren/innen mit schrägen oder gar verstörenden Texten publiziert?

Die Botschaft nach der Lektüre dieses Romans lautet für mich: Nicht aufgeben und weiter auf der Suche nach einem/r guten Spanisch oder Portugiesisch schreibenden Autor/in bleiben. Ich melde mich, wenn ich endlich fündig geworden bin.

 

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Verlag: C.H. Beck
übersetzt von: Michael Kegler
197 Seiten, 19.95 €

5 Kommentare

  1. Ich kann dir nur erneut „Flut“ vom Brasilianer Daniel Galera ans Herz legen; ein ganz und gar hervorragender Roman, der alles andere als märchenhaft daherkommt. Der Protagonist hat mich beinahe an eine Murakami-Figur erinnert.

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  2. Flut wurde schon genannt. Ich bin gerade aktuell an „Das Geräusch der Dinge beim Fallen“ von Juan Gabriel Vásquez dran und finde diesen Stil auch sehr realistisch geschrieben. Außerdem kann ich noch Patricia Melo mit „Leichendieb“ empfehlen.

    Was das vorliegende Buch betrifft, so kann ich deine Kritik vollauf verstehen.

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  3. Ich hätte da sogar drei Empfehlungen parat:

    „Der Angestellte“ von Guillermo Saccomanno (Argentinien)
    „Die Vögel kommen zurück“ von António Lobo Antunes (Portugal)
    „Die Informanten“ von Juan Gabriel Vásquez (Kolumbien)

    Von Antunes habe ich noch folgendes Buch in meinem SUB: „Natürliche Ordnung der Dinge“
    und dieses noch auf meiner Wunschliste: „Mitternacht zu sein ist nicht jedem gegeben“

    Von Vásquez habe ich diese Bücher auf meiner Wunschliste: „Das Geräusch der Dinge beim Fallen“ und
    „Die Reputation“

    Die oben, von mir genannten Bücher gefielen mir persönlich sehr gut, ich würde sie also weiterempfehlen.

    Liebe Grüße
    Sella

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