Juli Zeh – Leere Herzen

Es gibt so Standards in der Kulturkritik, von denen man weiß, dass sie funktionieren, die man bringen kann, wenn einem nichts Gescheites einfällt. Wenn zum Beispiel Madonna ein neues Album herausbringt, findet sich immer einer, der in bewährter Bullshit-Bingo-Manier diesen einen Kommentar ablässt: „Sie erfindet sich immer wieder neu.“ Damit ist alles oder nichts gesagt. Das kann Wertschätzung oder Befremden ausdrücken und ist perfekt, wenn man sich nicht festlegen will. Irgendeiner findet sich immer, der zustimmend nickt.

Was die sehnige Pop-Diva für das Musikbusiness, ist Juli Zeh für den deutschen Literaturbetrieb. Und jetzt ist es wahrscheinlich keine große Überraschung mehr, welcher Satz als nächstes folgen wird. Genau: Auch Juli Zeh erfindet sich mit jedem Buch immer wieder neu.

Erfolgreiche Künstler wissen: Nichts ist langweiliger, als immer nur spannend, inspirierend, aufwühlend oder was auch immer zu sein – sprich: all das, was vorhersehbar und berechenbar ist. Mal ein Move in die eine und ein Ausfallschritt in die andere Richtung hält die Kritiker bei der Stange – lässt die, die alles irgendwo schon mal gesehen, gehört oder eben gelesen haben, aufhorchen und interessiert nachfragen. Ach, diesmal nur 350 Seiten und keine Gegenwartsliteratur, sondern ein Politthriller, der in der nahen Zukunft spielt?

Aber was Kritikern gefällt, ist nicht automatisch auch das, was die Fans lesen wollen. So eine Fanbase mag ja in erster Linie Beständigkeit. Das, was einem gut gefällt, möglichst in Endlosschleife. Ein Leibgericht, auf das ich immer Appetit habe, Reproduktionen des ewig Gleichen. Und so wird ein Fan von Juli Zehs Bestseller „Unterleuten“ beim Lesen von „Leere Herzen“ zunächst vielleicht enttäuscht sein. Denn in ihrem neuen Roman ist nichts so wie im Vorgängerbuch. Keine Brandenburg-Idylle, sondern niedersächsische Kreisstadt-Tristesse, kein sich Einfinden in Bekanntes, sondern ein sich Abfinden, Hereindenken in ein mögliches Morgen ohne echte Sympathieträger, kalt und erschreckend.

Deutschland im Jahr 2025, Angela Merkel ist zurückgetreten, und die Partei der Besorgten Bürger stellt die Regierung. Auch Trump und Putin sind immer noch am Ruder und haben die Welt in ihrem Sinne verändert. Die Islamisierung des Abendlandes ist vorerst abgewendet, ebenso wie neoliberale oder linksalternative Tendenzen, auf deutschen Straßen herrschen wieder „Recht und Ordnung“. Aber natürlich sind nicht alle auf Spur und verfolgen ihre Ziele im Untergrund weiter. Umweltaktivisten, Tierschützer, Islamisten, Ultra-Linke, Veganer, was auch immer. Hier und da gibt es noch Terror-Anschläge, aber die sind bei weitem nicht mehr so verheerend wie früher. Denn in Juli Zehs Zukunftsszenario gibt es zertifizierte Attentäter.

Vorbei die Zeiten, wo sich Kreti und Pleti einen Sprengstoffgürtel umschnallen konnten und ohne Sinn und Verstand einfach irgendetwas mit sich in die Luft sprengten. Nein, seit es „Die Brücke“ gibt, eine Art Beratungsagentur für den verantwortungsvollen Terroranschlag, hat sich der Schrecken gelegt. Das StartUp garantiert nachhaltige Terroreffekte, bei minimalen Kollateralschäden. Dafür identifizieren und casten Britta Söldner und ihr Geschäftspartner Babak Hamwi mögliche Terror-Talente und führen sie nach einem mehrstufigen Qualifizierungsprozess ausgewählten Auftraggebern zu. Klingt verrückt? Ist es auch. Aber gut.

Leere Herzen ist ein radikales, aufwühlendes und nachdenklich stimmendes Buch. Nicht jeder wird es mögen. Die Protagonisten sind zynisch und eignen sich nicht zur Identifkation. Und überhaupt ­– man fühlt sich als Leser nicht wohl in dieser Geschichte und ist froh, wenn man es durch hat und endlich aus der Hand legen kann. Ganz anders als „Unterleuten“, das man am liebsten wieder von vorne beginnen möchte. Aber das heißt nicht, dass dieser Juli-Zeh-Roman kein besonderes Leseerlebnis darstellt. Ganz im Gegenteil. Leere Herzen ist ein echter Pageturner, der niemanden kalt lassen wird. Gar nicht mal so abwegig, was Juli Zeh da im Jahr 2025 antizipiert, zu nah ist das Zukunfts-Szenario, als dass man es einfach als krude Science Fiction abtun könnte.

Mich hat das sehr stark an Houellebecqs düsteres Zukunftsszenario „Unterwerfung“ erinnert. Die islamische Republik Frankreich – auch etwas, das gar nicht mal so abwegig ist und deswegen so angsteinflößend. Genau wie zertifizierte Terroristen und eine Gesellschaft kalter, leerer Herzen, angeführt von Politikern, die sich immer wieder neu erfinden.

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Luchterhand
352 Seiten, 20,00 Euro

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