Arthur Miller – Fokus

Mich würde ja echt mal interessieren, wer überhaupt noch Arthur Miller kennt. Ich schätze, das werden nicht so viele sein. Nur wenige werden etwas von ihm gelesen haben. Wenn, dann hat man eher etwas von ihm gesehen, denn er war in erster Linie Dramatiker. Sein Theaterstück „Tod eines Handlungsreisenden“ kennt man zumindest vom Namen her oder aber als Verfilmung mit Dustin Hoffmann in der Hauptrolle. Die meisten werden ihn aber aufgrund eines ganz anderen Lebensumstandes kennen. Er war mit Marilyn Monroe verheiratet.

Ach der, werden jetzt viele sagen. Und dieses „Ach, der“ wird Arthur Miller wohl sein halbes Leben bis zu seinem Tod im Jahre 2005 zu hören bekommen haben. Wie muss ihn das gekränkt und belastet haben. Man stelle sich nur mal vor, einerseits einer der profiliertesten und erfolgreichsten Schriftsteller der USA zu sein, ausgezeichnet unter anderem mit dem Pulitzer-Preis, andererseits aber ganz genau zu wissen, dass man nur als der Pfeife rauchender Schriftsteller in Erinnerung bleiben wird, der mal fünf Jahre mit der Monroe verheiratet war. Nun ja, es ist gibt schlimmere Schicksale, aber trotzdem irgendwie tragisch.

Zu seinem bereits stark verblassten literarischen Ruhm hat wohl auch beigetragen, dass er in seinem langen Schriftstellerleben nur einen einzigen Roman geschrieben hat. ‚Fokus’ ist 1945 in den USA und fünf Jahre später unter dem Titel „Brennpunkt“ auch in Deutschland erschienen und jetzt von der Edition Büchergilde wieder neu aufgelegt worden. Ich habe es zugeschickt bekommen und dachte zuerst „Ach, der!“. Dann entfernte ich die Schutzfolie und pfiff unwillkürlich durch die Zähne. Denn was ich da in den Händen hielt, war von ausgesuchter Anmut und Schönheit. Und damit meine ich nicht den Inhalt, sondern das Druckerzeugnis an sich.

 

Es kommt langbeinig daher, in einem besonderen Format, höher und breiter als die meisten Hardcover und damit problematisch für niedrige Regalböden. Aber dieses Buch ist auch nicht dafür geschaffen, in Reih und Glied zu stehen. Es ragt heraus, zieht die Blicke an, kokettiert mit seinen Traummaßen. Der matt und dezent strukturierte Schutzumschlag lädt geradezu ein, ihn abzustreifen, den Titelklapper herauszuziehen und die bibliophile Pracht freizulegen. Ganz vorsichtig, nur mit den Fingerspitzen streichle ich über den in einem gedeckten Hellblau gehaltenen Leineneinband mit dem schwarz geprägten Key-Visual in der Mitte. Das Seitenpapier ist besonders glatt und feinporig, und auch hier kann ich mich nicht zurückhalten, es immer wieder zärtlich zu liebkosen. Aber das ist bei weitem noch nicht alles. Der Roman ist mit 20 vierfarbigen Holzschnitten der Leipziger Künstlerin Franziska Neubert illustriert, die schlicht und unaufdringlich die bedrückende Atmosphäre der Geschichte widerspiegeln.

Bei diesem Buch war es mir fast schon egal, wovon es handelt und wer es geschrieben hat. Ich wollte es lesen, um es in den Händen zu halten, um über die Seiten zu streichen, es auf meinem Nachttisch abzulegen, es morgens wieder hochzunehmen, es anzuschauen und immer wieder aufs Neue seine Schönheit zu bewundern. Es wäre tragisch gewesen, wenn der Inhalt hier nicht hätte mithalten können. Doch alles gut. Das Buch ist nicht nur schön, sondern auch klug. Es ist aufwühlend und leider immer noch brandaktuell.

Und wer bis hierhin mein Geschreibsel durchgehalten hat, sollte jetzt auch endlich erfahren, worum es in diesem Roman eigentlich geht. Es geht um Antisemitismus. Und halt, nein, bitte nicht mit den Augen rollen. Nicht DER Antisemitismus, nicht so, wie man das Thema kennt und schon hundertmal gelesen hat. Nicht hier in Deutschland, sondern in den USA, mitten im zweiten Weltkrieg. Denn was viele nicht wissen: Die Nation, die Europa aus den Fängen des Nationalsozialismus befreit hat, hatte damals selber ein handfestes Problem mit rassistischen Ausschreitungen gegen Juden. Und nicht nur damals, auch heute ist es nicht anders – in den USA, den arabischen Ländern sowieso und leider auch wieder in Deutschland.

Und so wie Arthur Miller die Geschichte von Lawrence Newman, Personalchef einer angesehenen New Yorker Firma erzählt, kann sie im Jahr 1945, 2018 oder in irgendwann in der Zukunft spielen, in den USA, in Deutschland oder jedem anderen Land. Es ist auch nicht unbedingt der Hass gegen Juden, es ist der Hass gegen alles, was anders ist. Es ist schlicht und einfach Rassismus. Und in ‚Fokus’ lässt uns Miller miterleben, wie schnell es gehen kann, selber davon betroffen zu sein. Lawrence Newmans Augen lassen nach, er bekommt eine Brille und sieht damit in den Augen seines Umfeldes plötzlich irgendwie jüdisch aus.

Und obwohl er so wenig jüdisch wie seine Nachbarn und Arbeitskollegen ist, ja, sogar selber die Juden für raffgierig, betrügerisch und nicht amerikanisch hält, wird er angefeindet und angegriffen. Es macht für ihn keinen Sinn, er kann es nicht verstehen, versucht zu argumentieren. Seht her, ich bin wie ihr, es ist nur die Brille. Aber das bleibt erfolglos, denn Rassismus macht nun einmal keinen Sinn. Und es macht auch keinen Sinn, mit Rechten zu reden, genauso wenig wie mit Islamisten, Terroristen und Radikalen jeglicher Couleur.

Und das ist es, was an dieser Geschichte über Antisemitismus so anders ist. Auch wenn du kein Jude bist, schützt dich das nicht vor Judenhass. Es reicht, wenn du so aussiehst. Rassismus kann jeden von uns treffen. Nicht nur in der Fremde, auch in der Heimat. Und so ist ‚Fokus’ ein bewegendes und hochaktuelles Lehrstück, das einem die Augen öffnet und aufzeigt, dass es nur ein schmaler Grat ist, der die Täter von den Opfern trennt.

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Edition Büchergilde
271 Seiten, 24,00 Euro
Mit Illustrationen von Franziska Neubert
In der Original-Übersetzung von Doris Brehm

9 Kommentare

  1. Danke für den aussagekräftigen Beitrag. Ich werde mir dieses Buch sofort bei der Büchergilde bestellen!
    Schon Ende des Jahres hat mich ein ähnlich gestalteter Klassiker der Büchergilde, „Der Dritte Mann“ von Graham Greene, begeistert.
    Ein herrliches Buch!
    Im Vertrauen auf deinen erlesenen Geschmack wir mir „Fokus“ gewiss auch gefallen.

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  2. Ich habe bislang nur das Theaterstück „All my Sons“ von ihm gesehen, das war richtig gut. Mit dieser Büchergilden-Ausgabe liebäugelte ich vorher schon, jetzt hast Du mich überzeugt. Liebe Grüße 🙂

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  3. Mir ging es ein wenig wie dir. Ich habe dieses Buch auch wegen seiner herausstechenden äußeren Schönheiten gekauft. Auch wenn ich neben dem wunderbaren „Handlungsreisenden“ auch noch die „Zeitkurven“, Millers Erinnerungsbuch kenne, war ich auch überrascht, einen Roman kannte ich von ihm auch nicht. Schön zu hören, dass er auch noch gelungen ist. Dann werde ich mir den bald mal vornehmen. Schöne Grüße!

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  4. Ich kenne Arthur Miller daher, dass wir in der Oberstufe in Englisch „The Crucible“ (dt. „Hexenjagd) diskutiert und interpretiert haben. Ein sehr interessantes Stück!

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  5. Also, mir hat sehr gut gefallen (und zum Schmunzeln gebracht), wie Du das haptische Erlebnis beim Auspacken und Öffnen dieses Buches beschreibst. Ich mag selbst auch gerne schöne Bücher, die mit Liebe gestaltet sind. Der Inhalt sollte dann natürlich auch stimmen.
    Arthur Miller kenne ich eher durch seine Theaterstücke und habe kürzlich „Alle meine Söhne“ gesehen. Das Stück hat mir gut gefallen, es ist ein Drama über familiäre Beziehungen.
    Da ich ihn noch nicht als Autor kenne, hat mich Deine Inhaltsbeschreibung von „Fokus“ -neben der Optik- neugierig gemacht, vielleicht werde ich es mir bestellen.

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  6. Ich habe „Brennpunkt“ vor ein, zwei Jahren gelesen und mir hat dieses Buch auch sehr gut gefallen; das Thema ist (leider) noch immer aktuell. Gelesen habe ich noch: „Unscheinbares Mädchen“, „Tod eines Handlungsreisenden“ und das Buch: „Zeitkurven: Ein Leben“ auch schon angelesen. Mir gefällt, wie er schreibt; ich lese seine Bücher sehr gerne und empfehle sie auch, wenn mich jemand nach einem Buchtipp fragt.

    LG Sella

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