Elena Ferrante – Die Neapolitanische Saga Band 1-4 (Hörbuch)

Gestern Abend hieß es Abschied nehmen. Zum letzten Mal bin ich den Stradone entlanggegangen, vorbei an der ehemaligen Salumeria, der geschlossenen Bar der Solaras bis zum Tunnel, wo einst Carmen und ihr Mann die Tankstelle betrieben. Ich weiß, wenn ich weitergehen würde, käme ich zur Piazza dei Martiri, mit dem alten Schuhgeschäft und noch weiter dann zur Via Tasso. Mit einem wehmütigen Blick verabschiede ich mich von all diesen Orten. 

Noch einmal erklingen im Kopfhörer die vertrauten Namen: Gigliola, Enzo, Pinuccia, Genaro, Dede, Imma, Nino, Elena und natürlich Lila. Menschen, die mir in den letzten Wochen ans Herz gewachsen sind, die ich von klein auf kannte und durchs Leben begleitet habe, die ich habe lachen und weinen sehen. Menschen, die auch mich begleitet haben, jeden Morgen zur Arbeit und Abends wieder zurück, im Flugzeug zu irgendwelchen Terminen, beim Rasenmähen im Garten. 

Als ich zum unwiederbringlich letzten Mal die schöne, warme Stimme von Eva Mattes hörte, danach den Abspann und mir klar wurde, es gibt keinen fünften Band, das ist jetzt wirklich das Ende, ging mir ein Stich durchs Herz. Es ist doch nur eine Geschichte, sagte ich mir, den Schmerz bekämpfend, aber es half alles nichts. Ich bin immer noch in Trauer, vermisse den Rione, dieses  pralle neapolitanische Leben, das Geschrei und Geschimpfe auf den Straßen, die ganzen italienischen Hitzköpfe, ihre Kämpfe und Leidenschaften. 

Wann hatte ich das zuletzt? Ich kann mich nicht erinnern. Seit meiner Kindheit, seit „Rasmus und der Landstreicher“ und „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ habe ich mich nicht mehr so in eine Geschichte hineinfallen lassen, meine Gegenwart verlassen, um für ein paar Stunden am Tag  

in einer anderen Welt zu versinken. Ich habe diese Augenblicke so genossen, meine italienischen Momente. Ein paar Kapitel Elena Ferrante und der Tag war gerettet. Und so habe ich es möglichst lange hinausgezögert, habe mir die ingesamt 67 Stunden der vier Hörbücher so eingeteilt, dass ich möglichst lange was davon hatte. 

Dabei war ich am Anfang noch skeptisch bis ablehnend. Als der Suhrkamp-Verlag vor zwei Jahren ein paar Blogger nach Berlin eingeladen hat, um uns für die neapolitanische Saga zu begeistern und mit dem #ferrantefever zu infizieren, habe ich mich noch standhaft geweigert, vor diesen Marketing-Karren gespannt zu werden. Was da an Superlativen geäußert wurde, die angeblich kollektive Begeisterung des kompletten Verlages, der ganze weltweite Hype, das mysteriöse Versteckspiel der Autorin — all das missfiel mir aufs Äußerste. Ich dachte, dass das doch eigentlich ein Frauenroman sei, dachte, dass die Cover ziemlich kitschig sind, dachte, dass die Anonymität der Autorin ein billiger PR-Gag sei, dachte, dass mich Neapel eigentlich noch nie interessiert hatte, dachte, dass mir Romane mit so vielen handelnden Personen immer schon missfallen haben, dachte, dass ich das niemals lesen werden. 

In der Tat habe ich nicht eine Seite der vier Ferrante-Bände gelesen. Aber warum hätte ich das auch tun sollen, wenn ich mir das alles auch von der grandiosen Eva Mattes vorlesen lassen kann? Und ganz ehrlich — mir die vier Hörbücher zu besorgen, war eine der besten Entscheidungen seit langem. Eva Mattes als Sprecherin ist die Idealbesetzung gewesen. Nicht eine Sekunde hat mich ihre Stimme genervt, zu keinem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas nicht passt, ein Ausdruck, eine Betonung, ein Gefühl. Wie sie mit klitzekleinen Veränderungen in der Stimme in andere Personen schlüpft, Männer, Frauen, Kinder, alt, jung, gebildet, ungebildet — das ist schon eine ganz große Kunst. 

Was soll ich noch sagen? Zum Phänomen Ferrante, zu der Sogkraft dieser vier Romane, ihrer literarischen und gesellschaftlichen Bedeutung ist schon viel gesagt worden. Und so weit ich das überblicken kann, ist alles wahr. Ja, das ist ein Jahrhundertroman, ja das ist Weltliteratur, ja, der weltweite Erfolg ist berechtigt, ja, das ist der perfekte Mix aus Anspruch und Unterhaltung. Und nein, das ist kein Frauenroman. Und ja, ich war ein Idiot, dass ich das alles nicht sofort erkannt habe. 

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Foto: Gabriele Luger

Aus dem Italienischen: Karin Krieger
Verlag Print: Suhrkamp
Verlag Hörbuch: Der Hörverlag
Band 1: 17:02 h, Band 2: 18:11 h, Band 3: 15:08 h, Band 4: 17:02 h

9 Kommentare

  1. Es stellt sich mir die Frage, was an einem Frauenroman schlecht sein soll? Dass es kein Männerroman ist, in dem wieder einmal ein alter (häufig tendenziell widerlicher) Typ seiner Potenz hinterherjammert und sich und der Leserschaft vorgaukelt, junge Frauen stünden auf ihn? Dass ein solcher Mann nicht die Gelegenheit erhält, sich seitenlang über die provozierende Körperlichkeit all der Frauen um ihn herum auszulassen und sich hernach zu beklagen, wie sie ihm diese Körper vorenthalten? Problem dabei ist nur: Es steht nie „Männerroman“ auf dem Cover, nein, das ist dann immer Literatur, hochgeistiger Erguss und unendliche Wahrheit, die vom Autor mutig in die Welt geschickt wird. Daran liest sich nett ab: Die Welt ist weit entfernt von gleicher Wertigkeit der Geschlechter.

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      1. Unter anderem, wobei ich bei anderen Vertretern schon nach Leseprobe und Klappentext genug hatte und auch Walser nicht bis zum Ende durchhalten konnte, weil mein permanentes Bedürfnis nach Wasser und Seife dem entgegenstand:-D
        Es gibt einfach Männer, bei denen frau sich sofort schmuddelig und angegrabbelt fühlt (und ich behaupte, das ist ein kleiner Teil nur unter den Männern der Erde. Vom Großteil möchte ich weiterhin gerne glauben, sie seien empatisch, lustig und schlau 🙂 ) Walser lesen war für mich in etwa so wie Weinstein anschauen (und ernsthaft, gibt es jemanden, der sich wunderte, welche Vorstellung dieser … von Beziehung und Flirt und Verführung hat) – es weckte Fluchtgedanken.
        Und fairerweise will ich sagen: Es sollte nicht einfach Männerroman darauf stehen – so wie seichte Kitschgeschichten eben auch keine Frauenromane sind. Es sind Bücher für Menschen, die (herrje, wie drücke ich mich da aus), die eine sehr eigene und kleine Welt ganz für sich gebaut haben. Er sieht sich als begehrenswerter Apollo, die Leserin eines Kitschromans sehnt sich vielleicht nach einem goldenen Käfig, wer kann das sagen.
        Was mich viel mehr stört, dass offenbar auch kluge und sensible Männer (unterstelle ich dir mal, korrigiere mich, falls in die Conan, der Barbar schlummern sollte) in diese Frauenromanfalle tappen – eine Frau schreibt aus weiblicher Sicht über das Leben anderer Frauen. Was also ist es? Ein Frauenroman, ein giftiges Gewächs, das man nicht anfassen kann. Männliche Autorinnen hingegen sind empört – meist mit Recht – ,wenn ihnen unterstellt wird, Figuren zu schaffen, die kaum über das Klischee hinausgehen, dass es ihnen an Gefühl und Verständnis fehle, dass es mehr um Krawall als um menschliche Entwicklung ginge. Und um wie viel empörter wären sie, würden Leserinnen so reagierten, wie es eben viele männliche Leser in Bezug auf Autorinnen tun. „Das ist halt so ein Männerroman, fasse ich nicht, kann man eh nicht lesen. Geht ja nur um Männer und von Frauen haben die keine Ahnung. Ist eh nur Ballerlei oder seitenlanges Egogeschwätz.“ Das hören wir eher selten. Dächten Leserinnen so, dann hätte Walser vermutlich nie sein Geld mit Schreiben verdient. Wie wäre es also mit Fairness gleichermaßen?
        Und ich sage das, obwohl es mich kaum betrifft. Ich schreibe durchaus mit Frauen im Sinn, nutze die Sprache, die Erfahrung, die Frauen wiedererkennen, achte da mehr auf Schwesternschaft als das Ansprechen aller. Freue mich aber dennoch (weil ich eben auch nicht frei von alten Rollen bin), dass zunehmend die Gatten dieser Leserinnen sich melden und erzählen, hey, was hatte ich einen Spaß beim Lesen. Wobei – das hier schreibe ich als Leserin und nicht als Schreiberin. Wenn man denn lesend schreiben kann 😀 Jetzt wird es albern und eh viel zu lang. Sorry for that.
        Und Eva Mattes ist natürlich immer grandios, da sind wir uns eins. 🙂

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  2. Ich vertraue deinen Rezensionen, aber diese unsägliche Familiensaga … – no, nein , zero, niente… langweilig, langweilig, zum Einschlafen…als Hörbuch UNERTRÄGLICH – Eva Mattes, die ich sehr schätze, hat einfach nur heruntergelesen, vielleicht war es auch nicht ihr Buch… ansonsten Klischee, Klischee Klischee….egal ob Frauenroman oder Männerroman, ich habe fast bis zum Ende durchgehalten, habe nicht den Wunsch es aufzufrischen oder gar noch mehr davon zu lesen… langweilige Protagonisten, fade Geschichte…

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    1. WAAAAS? Ich glaube das jetzt nicht. Man kann ja viel dazu sagen, aber weder die Protagonisten noch die Geschichte an sich sind langweilig und Eva Mattes hat sich mit dieser Leistung ein Denkmal gesetzt. Also nein, da kommen wir nicht zusammen.

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