To cut a long story short

Sie sagen, dass ein Kulturgut wie das Buch niemals sterben wird. Dass sie immer noch ganz viele Leute kennen, die leidenschaftlich gerne lesen und man nur an die Kraft der Literatur glauben muss. Ein kleines Leistungstief sollte man nicht überbewerten, sagen sie. Nach jedem Tief folgt immer auch das nächste Hoch. Und überhaupt, heißt es nicht: Totgesagte leben länger? Also was soll die Panikmache? Nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird. Die sechs Millionen verlorenen Leser gleichen wir schon irgendwie wieder aus.

Sie, das sind die deutschen Verlage und dieses „Irgendwie“ sieht momentan so aus: interne und externe Kosten einsparen, Marketingausgaben kürzen und noch ein paar mehr Titel raushauen. In der Hoffnung, dass einer davon zündet und zwar so richtig, mit sechsstelliger Auflage sowie Film- und Auslandslizenzen. Dann hätte man wieder etwas Luft, könnte die Löcher stopfen und mit ein wenig Glück noch ein paar Jahre so weiter machen.

Mehr als eine Das-Wird-Schon-Wieder-Strategie hat die Buchbranche den desaströsen Marktzahlen, die die GfK im Auftrag des Börsenvereins erhoben hat, scheinbar nicht entgegenzusetzen. Gelegentlich wird der Ruf nach staatlicher Unterstützung laut. Ist ja schließlich Kultur, was da produziert wird. Und deswegen: Finger weg von der Buchpreisbindung.

Als bibliophiler Mensch beklage ich natürlich diese Entwicklung zutiefst und kann auch nicht glauben, dass das Buch tatsächlich von so profanen Dingen wir dem Smartphone und Netflix verdrängt werden soll. Aber ich befürchte, wenn außer diesem Weiter-So nichts passiert, wird genau das eintreten.

Wenn das Gros der Leser sich nicht mehr auf längere Texte einlassen kann und will, weil sie alle 18 Minuten aufs Handy schauen müssen; wenn sie lieber Serien als Filme gucken, lieber Instagram-Posts  als Zeitschriftenartikel und Blogbeiträge lesen; wenn sie all das in der Befragung als Gründe angeben, warum sie sich keine Bücher mehr kaufen – warum zieht dann die Verlagsbranche nicht den einzigen plausiblen Rückschluss aus dieser Markterhebung und setzt nach wie vor auf lange Texte? Warum besteht das Gros der literarischen Neuerscheinungen immer noch aus Romanen, 300 Seiten dick und mehr?

Ich frage mich, mit wieviel Zaunpfählen der Konsument noch wedeln soll, damit die Verlagsbranche endlich kapiert, wo die Reise hingeht. Aber nein, sagen sie – wir glauben an den Roman, wir sind schließlich nicht in den USA, haben da jahrelange Erfahrungswerte, Kurzgeschichten laufen in Deutschland einfach nicht, sagen sie.

Und warum laufen sie nicht? Weil es kaum welche gibt. Weil talentierte Debütautoren mit ihren Kurzgeschichten, und wenn sie noch so gut sind, bei den etablierten Verlagen keine Chance auf Veröffentlichung haben. Sprechen sie uns wieder an, wenn sie einen Roman haben, sagen sie und merken noch nicht mal, dass sie da gerade das eigene Grab einen Spatenstich tiefer graben.

Natürlich gibt es hier und da immer mal wieder Bände mit Kurzgeschichten. Und natürlich laufen sie nicht so gut. Und warum? Weil nichts für sie getan wird. Weil Verlage immer noch romanfixiert sind, weil kein Band mit Kurzgeschichten es jemals schaffen würde, Verlags-Spitzentitel zu werden, mit einem fetten Marketing-Budget und all der Vertriebsunterstützung, die ein entsprechender Roman bekommen würde.

Aber der Markt ist im Wandel. Und wenn immer mehr ehemalige Leser angeben, dass sie keine Zeit und Muße mehr für lange Texte haben, warum bieten Verlage dann nicht einfach mehr Literatur in Kurzform? Warum lässt die Buchbranche sechs Millionen Leser achselzuckend einfach zu Facebook, Twitter, Instagram und Netflix abwandern, anstatt mit einer konzertierten Aktion den Markt für Kurztexte aller Art nach vorne zu bringen? Warum gibt es den Deutschen Buchpreis nur für Romane? Warum wird immer noch an einer literarischen Form festgehalten, die aus der Zeit zu fallen droht?

Und warum weiß ich jetzt schon, was sie dazu sagen werden?

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Foto: Gabriele Luger

 

 

 

15 Kommentare

  1. Einerseits: Sicher. Grade die Fetischisierung der Länge frustriert als Autor sehr. Ich bekam jetzt schon zweimal Interessensbekundungen von Verlagen für eine knapp 100-S-Novelle, vorausgesetzt, ich baute sie auf 300 S aus. Solch ein geradezu kunstfeindliches Angebot ist schon ziemlich dreist.
    Andererseits: Ist es nicht verrückt, dass überhaupt noch so viele (neue) Bücher verkauf werden? Es gibt doch schon so viele. Allein die wenigen guten kann man nicht alle lesen. Das + Neue Medien + ganz viel Selfpublishing könnte den Markt auch beim besten Willen der Verlage in Bedrängnis bringen.

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    1. Ja, das Elend hat viele Väter. Das Überangebot, das von der Branche als außerordentliche Vielfalt gepriesen wird, die zwar im internationalen Vergleich einzigartig ist, defcto aber den Verbraucher einfach nur überfordert. Das Festhalten an veralteten Formen, der Dünkel, das fehlende Budget, der Negativ-Trend, das Undynamische – all das kommt noch hinzu und verstärkt die Misere
      noch.

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      1. Aber das Überangebot hat ja auch seine historische Komponente. Und Bücher altern im Mittel halt besser als Filme oder PC Games… es gibt Probleme, die haben womöglich keine Lösung, oder: Zumindest keine, von der es sich ökonomisch überleben lässt.

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  2. Lieber Tobias,
    in allem würde ich Dir jetzt nicht zustimmen, aber ja, Kurzgeschichten, Lyrik, das sind in meiner subjektiven Wahrnehmung im Moment die Textformen, die einen Aufwärtstrend zeigen, würden sie verlegt werden. Dennoch sollte die Qualität eines Textes nicht an seiner Länge messen – und ich denke, so hast Du das auch nicht gemeint. Was man aber wirklich vermeiden sollte, ist, über noch mehr Titel versuchen, Gewinn zu machen. Profile schärfen, erkennbar bleiben, auf Qualität setzen, das wäre wichtig. Klar braucht man auch ein paar Pageturner zwischendurch, die eventuell nicht als literarisch durchgehen. Interessant finde ich aber auch, dass gerade kleine Verlage, die nun wirklich nicht reich werden mit ihren teilweise aber großartigen Programmen, sich an die Veröffentlichung wichtiger Texte wagen. Auch die Backlist zu stärken, diese wieder mehr zu bewerben kann etwas bringen. Es gibt viele Möglichkeiten. Aber immer mehr von dem auf den Markt zu werfen, was überflüssig wäre … hmm. Die schiere Masse ist, die ein Problem darstellt, wie soerenheim oben ja auch schon schrieb … LG, Bri

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    1. Wie ich gehört habe, schrillen in den Verlagen und im Handel bereits die Alarmglocken, so dass die Hoffnung besteht, dass einige der von dir geäußerten Ideen auch mal ausprobiert und umgesetzt werden. Das Schlimme ist, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, denn erfahrungsgemäß vollziehen sich solche Einbrüche in rasender Geschwindigkeit. #taskforcebücherrettung

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      1. Schon interessant, wie schnell da reagiert wird 😉 Kleiner Scherz. Dazu kommt natürlich, dass man Jahre lang hingenommen hat, dass es im Buchhandel eine große Verdrängung gab. Auch dort wurde über versucht, über Verkaufsfläche mehr Gewinn bzw. Umsatz zu machen. Wir werden sehen und hoffen das Beste. LG

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  3. Um Gotteswillen, nein, denn ich mag keine Kurzgeschichten und kann mich noch genau in die Gefühle erinnern, wo ich einmal in spannenden Geschichten, ich glaubte, es wäre ein Roman, von Camillieri und Pearl S. Buch las und klatsch war die Geschichte aus und ich sollte mich auf das nächste Event, die nächste Welt konzentrieren.
    Aber natürlich, um mich allein, die letzte oder vorletzte Leserin mit ihren Bücherbergen geht es ja nicht und als Pschologin habe ich die geringe Konzentrationsspanne erst zu nehmen, wie auch die Tatsache, daß jeder vierte oder fünfte Schüler aus der Schule kommt und nicht sinnerfassend lesen kann, dann wird er nicht zum neuen tollen neunhundert Seiten Roman von Daniel Kehlmann und Jonathan Franzen greifen.
    Da muß man dagegen etwas machen und da gibt es die „Leichter Lesen- Initiativen“, aber wenn die jetzt den „Ullysses“ oder den „Mann ohne Eigenschaften“ auf leichte Sprachen übersetzen ist das auch nicht gut und was die vielen Bücher betrifft, die ja auch mehr werden, weil doch sehr viele Leute schreiben wollen, auch wenn die vielleicht gar nichts lesen, finde ich trotzdem, daß es sich durchgesetzt hat, denn sonst würde es ja inzwischen nur E-Bücher geben, was ja nicht passiert ist und wir beide gehören wahrscheinlich auch nicht zu den Leute, die sich die Bücher, um zwanzig Euro pro Stück kaufen und kommen trotzdem mit unseren Bücherstapeln nicht durch.
    Ich denke mir wenn ich solche Verlagsberichte lese auch immer, das geht an meiner Realität vorbei und was die Situation in Österreich betrifft, so denke ich, daß es die staatliche Verlagsförderung ohnehin schon gibt und, daß es ohne sie den Verlagen gar nicht möglich wäre, Neues zu produzieren.
    Eine spannende Sache das Büchersterben, da ja nicht wirklich eingetroffen ist, es gibt zu viele Bücher, die wir gar nicht alle lesen können und der Jugend beizubringen, daß man man sich länger als zehn Minuten auf eine Sache konzentrieren soll, ist vielleicht auch nicht so schlecht, sondern sogar notwendig!

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    1. Ich glaube wirklich, dass eine staatliche Förderung von Literatur-Verlagen über Abgaben ähnlich den deutschen Rundfunkgebühren die einzige Lösung wäre. Fürchte nur, dass sich das nicht durchsetzen lässt.

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      1. Ja, das glaube ich auch, dass sich das nicht durchsetzen ließe. Letztendlich ist der Buchmarkt halt auch gewissen Marktregeln und das hat man lange vergessen. Vielleilcht nicht so sehr im Verlagsbereich, aber im Buchhandelsbereich. Buchhändler – ich liebe Buchhandlungen!, vor allem Eigentürmer geführte – sind recht eigene Persönlichkeiten und neigen an manchen Stellen zu Unbeweglichkeit – auch hier müsste etwas passieren.

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    2. Kurzgeschichten sind großartig ;))) Für mich die schwierigste Textform. Aber wie Du schreibst, man kann sie nicht nacheinander weg lesen. Aber so sind eben die Geschmäcker verschieden, ich freue mich auf mehr Kurzgeschichten.

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  4. Das ist alles ziemlich zwiespältig, wie ich finde… Ich meine ja klar, in jedem Fall sollten sich Verlage nicht so extrem darauf versteifen, Kurzgeschichtensammlungen und Gedichtbände anders zu vermarkten, als einen klassischen Roman… Doch ich verstehe das eigentlich sogar ziemlich gut… Denn ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass Leute, die nicht lesen, weil es ihnen zu langatmig ist, anfangen zu lesen, nur weil die Geschichten kürzer werden. Ich glaube, da macht man es sich zu enfach. Wer lesen möchte, aber auf Kurzgeschichtenbände steht, ja der sucht nach welchen und findet diese. Wer aber nicht liest, weil er kein Interesse daran hat, aber sagt, es dauert ihm zu lang, der wird sich auch keine Kurzgeschichten kaufen, weil die plötzlich so toll beworben werden. Ich glaube, nicht die Länge ist das abschreckende, sondern die Tätigkeit. Weil Lesen mit einer Ruhe und Konzentration zu tun hat, die im Handy und Web vielerorts nicht verlangt wird. Dann stellt sich das nicht plötzlich wieder ein…
    Ich weiß nicht, ob es eine Lösung gibt, ob man wieder Leser generieren kann. Ich könnte mir tatsächlich vorstellen, dass im Zuge der Gegenbewegung Lesen irgendwann wieder hip wird. Dann sind gedruckte Bücher ein livestyle oder so und es gibt Ratgeber, wie man am besten liest, was weiß ich… Die Welt ist verrückt. War sie schon immer und bleibt sie auch, lediglich die Form unterscheidet sich von Mal zu Mal…
    Liebe Grüße

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    1. Ja, ich weiß auch nicht. Die Welt ist verrückt – das trifft es vielleicht am ehesten. Vielleicht hilft die kürzere Form mit einem entsprechenden Marketing, vielleicht aber auch nicht und das Buch verschwindet eine Zeitlang von der Bildfläche. Wer weiß. Verrückte Welt.

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  5. Kurzprosa! Ja, bitte! Ich bedauere das auch immer wieder sehr, dass es Kurzprosa auf dem Literaturmarkt so schwer hat – Literaturzeitschriften mal ausgenommen. Eine gute Kurzgeschichte kann ja mitunter genauso zum Nachdenken bringen /genauso zufrieden machen und inspirieren wie ein guter Roman. Ein erster Schritt vielleicht auch – mehr Erzählbände auf Literaturblogs besprechen? Lieben Gruß!

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  6. Hallo,

    im Moment habe ich auch das Gefühl, dass immer schneller immer mehr Bücher rausgehauen werden – viele davon, vor allem in Genres wie Krimi/Thriller oder Fantasy, nach Schema F. Ich lese gerne Genreliteratur (auch, nicht nur), verspüre da aber allmählich einen gewissen Überdruss.

    Sogar ehemalige Vielleser in meinem Bekanntenkreis wandern mehr und mehr ab zu Netflix und Co. Da werden an einem Wochenende 10 Folgen einer Serie im Marathon gesehen, aber für Bücher fehlt die Lust und die Energie.

    Da ich Bücher mit weniger als 300 Seiten selber nur selten und eher ungern lese, ist mir noch gar nicht in den Sinn gekommen, dass es von den Verlagen eine gute Strategie sein könnte, auf Kurzgeschichten und Novellen zu setzen. Aber es macht Sinn!

    Im Genre Jugendbuch und YA gibt es inzwischen einige ‚Serials‘: jeden Monat erscheint ein kurzes eBook für €0,99 bis €3,99. Die scheinen ganz gut zu laufen, aber in der Erwachsenenliteratur habe ich so etwas noch kaum gesehen. Allerhöchstens fallen mir da noch die Heftchenromane ein, aber die sind ja wieder ein ganz anderes Ding und sicher kein Modell für die Gegenwartsliteratur?

    LG,
    Mikka

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