Michael Kumpfmüller – Tage mit Ora

Ich kann mir schon vorstellen, was einige meiner jüngeren Bloggerkollegen zu Michael Kumpfmüllers neuem Werk sagen würden, wenn sie es denn jemals lesen sollten. Sowas ähnliches wie: alter weißer Mann schreibt ein Buch über einen alten weißen Mann, der mit einer deutlich jüngeren Frau auf Reisen geht, seinen zweiten Frühling erlebt und gedanklich sein Leben noch mal Revue passieren lässt. Solche Geschichten, höre ich sie sagen, kennen wir von anderen alten weißen Männern wie Bodo Kirchhoff oder noch älter: Martin Walser. Das ist so gewöhnlich, so ausgelutscht, so wenig zeitgemäß. Kein debattentaugliches Thema, kein politisches Statement, kein LGBTQ, ja noch nicht mal irgendwas mit Georgien. Wer soll sowas lesen? Wo ist die Botschaft? Wem kann man heutzutage noch so ein langweiliges Buch verkaufen?

Mir zum Beispiel. Mittelalten Männern, die vorzugsweise unaufgeregte, leise Geschichten präferieren. Mit Protagonisten, die einem ähneln, die weniger Leben vor als hinter sich haben, die zwar enttäuscht und frustriert sind, aber ihren Lebensmut trotzdem nicht verloren haben. Oldschool-Typen, die Frauen noch als entzückende Wesen bezeichnen, sich Hotelzimmer für 200 Dollar mieten und junge Musik hören, um nur so alt zu erscheinen, wie sie sich fühlen. Solch gesettelten Kunden kann man auch ein Buch mit weniger als 180 großzügig formatierten Seiten für stolze 19 Euro verkaufen. Menschen, für die das Lesen von Büchern eine Art Trost ist; Ablenkung von, und ein Sich-Arrangieren mit Dingen, die nun mal so passiert sind.

Auch wenn die Twentysomething-Generation das in ihrer juvenilen Hybris nicht glauben mag, die meisten von uns mittelalten Knackern sind ganz zufrieden mit sich, wollen gar nicht mehr jung sein, sondern denken vielmehr mit Schrecken an die Irrungen und Wirrungen ihrer jungen Jahre zurück; all die verpassten Chancen, unausgegorenen Ansichten und Peinlichkeiten. Kein verkrampftes „ich will, ich muss, ich brauche unbedingt“ mehr, stattdessen lieber: „ich weiß, hab ich schon gehabt und schaun mer mal, was noch kommt“.

Genauso unaufgeregt und entspannt, wenn auch mit Unterstützung entsprechender Psychopharmaka, kommt der mittelalte Protagonist dieses kleinen sympathischen Romans daher. Mitten in einer Lebenskrise lernt der namenlose Erzähler die zehn Jahre jüngere Ora kennen. Und anstatt in seinem Lebensüberdruss vom Balkon zu springen, stürzt sich der über 50-jährige in eine Beziehung mit der für ihn so entzückenden Person. Auch Ora hat bereits ein vielfältiges Beziehungsleben hinter sich, hat ihre Blessuren davongetragen und ebenfalls Trost in kleinen bunten Pillen gefunden. Sie nähern sich zaghaft an und beschließen irgendwann, zu verreisen. Denn – so beider gemeinsame Lebenserfahrung – bei keiner Gelegenheit lernt man sein Gegenüber besser kennen,als beim gemeinsamen Reisen. Und so geht es noch vor dem ersten Sex auf einen Roadtrip durch die USA, den Spuren eines Songs der Band Bright Eyes folgend. Auf dieser Reise kann der erzählende Protagonist dann seinen größten Trumpf ausspielen: absolute Entspanntheit, sich selbst zurücknehmen, alles mitmachen und immer gute Laune haben. Eigenschaften, die auf Reisen mehr zählen als jede Bikini-Figur, die man aber erst im Alter richtig zu schätzen weiß.

Es war mir eine wahre Freude, diese beiden turtelnden BestAger auf ihrem Urlaubstrip zu begleiten, die zaghafte Annäherung und das respektvolle, wertschätzende Miteinander zu verfolgen, bei der die sexuelle Komponente zwar nicht ausgeschlossen ist, aber nicht im Vordergrund steht. Denn beide haben diesbezüglich schon genug erlebt, es an den ungewöhnlichsten Orten getrieben, alles ausprobiert – im Auto, im Wald und im Maisfeld – und letztlich festgestellt, dass es in einem bequemen Bett und mit einem liebevollen Menschen immer noch am schönsten ist.

Und das ist es auch schon, was als Erkenntnis nach dem Lesen dieses mit außerordentlicher Leichtigkeit geschriebenen Buches übrig bleibt. Dass man sich im Leben zwar viel vornehmen und erreichen kann, es aber alles nur halb so viel wert ist, wenn man es nicht teilen kann. Entweder auf Facebook oder Instagram oder eben auf althergebrachte Art: mit dem richtigen Partner an seiner Seite.

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Foto: Gabriele Luger

 

Verlag: Kiepenheuer & Witsch
179 Seiten, 19,00 Euro

 

7 Kommentare

  1. hihi…in “ altbewährter “ Weise mal wieder auf den Punkt gebracht, lieber Tobias! Und FB fehlt mir Nullkommanull! Übrigens. Liebe Grüße aus deiner alten heimatlichen Gegend, Hameln usw.

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