Fünf Gründe, den neuen Houellebecq zu lesen — fünf Gründe dagegen

Du musst ihn lesen:

1. Aus Respekt vor dem Hype.

Früher gab es das häufiger — eine riesige mediale Welle, wenn einer der ganz Großen einen neuen Roman herausgebracht hat. Ein neuer Irving, ein neuer Walser oder Hornby. Das war schon was. Alle sprachen darüber. Im Fernsehen, in den Zeitungen, am Arbeitsplatz. Das ist aber mehr als zehn Jahre her. Heute gelingt das nur noch einem einzigen Schriftsteller. Fragt euch mal, warum.

2. Weil er sich treu bleibt.

Ein häufig gelesener Kritikpunkt an Serotonin ist, dass es mal wieder ein typischer Houellebecq ist. Altbekannte Grundstimmung, ewig gleiches Gejammer. Wie langweilig, wie einfallslos. Kennst du einen, kennst du alle. Warum erfindet er sich nicht einfach mal neu? So wie Madonna es seit Jahren macht: aktuell mit Kim-Kardashian-Implantat. Oder Juli Zeh — mit immer wieder neuen Romanideen, die dann alle enttäuschen (außer mich). Nein, das macht er nicht. Houellebecq bleibt sich treu. Ich lese seine Bücher, weil ich sie gut finde. Und zwar genau so wie sie sind. Die Grundstimmung, das Gejammer. Nicht einfallslos und niemals langweilig.

3. Weil ihm alles egal ist.

Im literaturaffinen Netz und in den Buchläden herrscht ein gesellschaftspolitischer Konformismus. Houellebecqs Helden scheren sich dagegen einen Scheißdreck darum. Sie sind sexististisch, rassistisch und rechtskonservativ. Und das weder unabsichtlich noch verschämt, sondern grad so, wie es ihnen in den Sinn kommt und ohne Reue. Und der vornehmlich linksalternative Literaturbetrieb hat absolut kein Problem damit. Kein Aufschrei, keine Distanzierung, keine Ignoranz oder Verunglimpfung, sondern lebhafte Auseinandersetzung, ernsthafter Austausch und Diskussion. Das schafft nur Houellebecq.

4. Weil die Grenzen verschwimmen.

Es gilt als im höchsten Maße unprofessionell, einen Autor mit den fiktiven Charakteren seiner Romane gleichzusetzen. Doch bei Houellebecq machen das alle. Er entspricht auf so ideale Weise dem Bild, was man sich beim Lesen seiner Romane von den Protagonisten macht, dass es schier unmöglich scheint zu denken, dass der Autor in irgendeinem Punkt anderer Ansicht ist, als seine kettenrauchenden Helden. Das ist natürlich Kalkül und sorgt für eine angenehme Verwirrung beim Leser. Aus kopfschüttelndem Unverständnis sowie Ekel und Ablehnung beim Lesen entsteht so etwas wie Mitleid, Sorge und Sympathie für den Autor. Total strange.

5. Weil Serotonin ein richtig guter Roman ist.

Der Hype kommt nicht von ungefähr. Houellebecq ist und bleibt einer der weltweit besten Gegenwartsautoren. Er beherrscht sein Handwerk wie kein Zweiter. Idee, Plot-Aufbau, Charaktere, Umsetzung – alles ist immer stimmig und tadellos. Ich habe noch keinen Roman von ihm gelesen, der mich diesbezüglich enttäuscht hat. Und Serotonin ist einer seiner besten. Ein echtes Meisterwerk, ein Pageturner, ein Liebesroman der etwas anderen Art. Für mich schon jetzt der beste Roman des Jahres.

 

Du solltest ihn nicht lesen,

1. … wenn dich die obigen 5 Punkte nicht überzeugt haben.

2. … wenn du militanter Nichtraucher bist.

3. … wenn du Spaß daran hast, öffentlich zu bekunden, dass du nicht jeden Hype mitmachst.

4. …wenn du meinst, die spinnen sowieso alle, die Franzosen

5. … wenn du die 24 Euro für das Buch sparen willst, um dir stattdessen den neuen Roman von Takis Würger zu kaufen.

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Foto: Gabriele Luger

12 Kommentare

  1. Ich habe noch nichts von ihm gelesen, doch eilt ihm meine Verehrung voraus, wenn ich ehrlich bin. Ich kann ihn zwar noch nicht als Schriftsteller beurteilen, doch als Autor, wenn das Sinn ergibt ^^ ich bewundere es, wie er eben genau das ist, was du beschreibst. Dass er sich nicht darum kümmert, ob es passt, was er sagt und denkt, er sagt es einfach. Ich habe ihn vor Jahren zum ersten Mal wahrgenommen, als ich einen Film auf arte sah, in dem er sich selbst spielt. Darin wird dieses ominöse Gerücht einer Entführung begründet oder aufgearbeitet, so ganz weiß ich das nicht mehr ^^ und ich muss sagen, ich war fasziniert von diesem Menschen, denn ich glaube, dieser Film ist seinen Büchern sehr ähnlich ^^

    Ich hadere schon lange, wie ich in sein Werk einsteigen soll… Und da ich nun diese flammende rede lese, stelle ich einfach die Frage an dich:
    Welchen Roman empfiehlst du als Einstieg?

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    1. Fang doch einfach mit Serotonin an und guck dann, was dich sonst noch interessiert. Sinnvoll wäre auch, chronologisch mit seinen ersten Büchern (Kampfzone und Elementarteilchen) zu starten. Unterwerfung war auch spitze. Lediglich ‚Karte und Gebiet’ fand ich weniger überzeugend. It‘s up to you!

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      1. Karte und Gebiet fand ich neben Serotonin bisher am besten. Nicht umsonst hat er dafür den Prix Goncourt bekommen.

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  2. Ich bin dank der „Literarische Helden“-Sektion dieses Blogs, zum Houellebecq-Leser geworden. Das öffentliche Bild des Franzosen hatte mich immer abgestossen, aber da einige der Helden des Bloggers auch meine sind, habe ich mich an Houellebecq gewagt. Schon mit dem ersten Buch („Karte und Gebiet“), bin ich zum begeisterten Leser Houellebecqs geworden, auch wenn ich beim Lesen des Backkatalogs einige Monate Abstand zwischen Buch und Buch brauchte. Die Lektüre von „Die Möglichkeit einer Insel“ liegt jetzt aber bereits einige Monate zurück, weshalb ich mich auf das neue Buch freue. (P.S. War nicht auch John Irving einmal ein „Held“? Den finde ich in der Sektion nicht mehr. Vielleicht täuscht mich da meine Erinnerung …)

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    1. Ach, das freut mich aber sehr. Genau dafür mache ich das alles hier. Vielen Dank für das schöne Feedback. Aber Irving war nie einer meiner Helden. Vielleicht eine kurze Zeit mal in den Achtzigern. Du verwechselst das sicherlich mit einem der Leserbriefe. Nr. 6 war an John Irving adressiert. 😉 Herzlich: Tobias

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  3. Ich hab es nur in der deutschen Übersetzung gelesen. Deren Sprache hat eine Leichtigkeit, die mich an Heinrich Heine erinnert.

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  4. Ich habe das Buch jüngst gelesen, ich glaube in zwei Zügen. Kein Wunder, denn ich bin militanter Raucher. Ich kenne also das Problem des nikotinsüchtigen Protagonisten, immer checken zu müssen, wo man noch rauchen darf und wo nicht. Abgesehen von der stark depressiven Grundstimmung zieht das Buch den Leser in den Strudel des philosophischen Zweifels an allem. Man muss das nicht mitmachen, sofern es den Sinn des Lebens betrifft, aber in der Darstellung von Politik und von wirtschaftlichen Verdrängungsprozessen in der Landwirtschaft schnürt es dem Leser die Kehle zu und macht nachdenklich. Am besten gefällt mir natürlich der Arzt, der während der Behandlung eine raucht. So einen Arzt will ich auch.

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