Norbert Scheuer – Winterbienen (Hörbuch)

Nobert Scheuer – Scheuer, Scheuer… da war doch was. Ganz dunkel meine ich, mich zu erinnern. Hat er sich nicht im Rahmen der Bloggerpatenaktion der Leipziger Buchmesse im Jahr 2015 ziemlich arrogant und abschätzig gegenüber Buchblogs geäußert? Das tue ich zwar hin und wieder auch, aber wenn ich das mache, ist das etwas anderes. Egal – ich erwähne das, um zu verdeutlichen, wie meine Erwartungshaltung bei diesem Hörbuch war. Ich wollte eigentlich nur kurz reinhören, Winterbienen schlecht finden und ebenfalls abschätzig und arrogant darüber urteilen. Doch dann gefiel mir das, was ich da hörte, ausgesprochen gut. Also keine Chance für eine Retourkutsche.

Bemerkenswert ist vor allem der Sprecher Stefan Kaminsky mit seiner sehr speziellen Intonation. Er liest das Buch beinahe wie einen Nachrichtentext. Daraus ergibt sich beim Zuhörer ein gewisser Abstand zu dem Erzählten, den ich in diesem Fall als sehr angenehm empfunden habe. Winterbienen stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und hätte einen respektablen Gewinner abgegeben, wenn da nicht Saša Stanišić einen etwas zeitgemäßeren, persönlicheren aber in meinen Augen keinesfalls besseren Roman geschrieben hätte. Ich weiß nicht, wie ich mich als Buchpreisjuror entschieden hätte. Wahrscheinlich auch für Stanišić, weil er einfach der Schriftsteller mit der größeren Reichweite ist und auch bei einer jungen Lesergruppe große Sympathien hat. Scheuer wirkt dagegen fast schon langweilig, ist mehr so der Typ verschrobener Eremit, ohne Twitter Account und gesellschaftspolitisches Sendungsbewusstsein. Aber eigentlich geht es beim Deutschen Buchpreis ja darum, den besten Roman des Jahres auszuzeichnen und nicht den angesagtesten Autor – eigentlich. Doch lassen wir das.

Wie der Titel schon andeutet, geht es in diesem Roman um Bienen. Sie schwärmen herum und verbinden zwei Zeitebenen miteinander: die Tagebuch-Aufzeichnungen von Egidius Arimond, dem Ich-Erzähler, die vom Januar 1944 bis zum Ende des zweiten Weltkriegs reichen. Er ist Imker in der Eifel und übersetzt als ehemaliger Lateinlehrer die Aufzeichnungen des Benediktinermönches Ambrosius, der im 15. Jahrhundert bereits am gleichen Ort Bienen züchtete – das ist der zweite Erzählstrang, der aber nur eine eher auflockernde Aufgabe hat. Wenn man beim Zuhören für ein paar Augenblicke anderen Gedanken nachhängt, kann es leicht passieren, dass man sich in den Ebenen verirrt. Das habe ich aber gar nicht als störend empfunden, denn durch das Episodenhafte der Erzählung findet man schnell wieder rein.

Es sind viele Aspekte, die dieses Hörbuch sehr hörenswert machen. Neben dem bereits erwähnten Sprecher ist es die Geschichte an sich, sind es die Einblicke in die Familie des Protagonisten, die abgelegene Eifel-Landschaft, die Bienenzucht, der Krieg, die Dorfgemeinschaft, die Epilepsie, der heldenhafte Bruder, die amourösen Affären, die geschleusten Flüchtlinge, die alten Bücher und Aufzeichnungen aus dem Kloster und der Zusammenbruch des Dritten Reichs. Man muss schon ein wirklich erfahrener Autor sein, um sich in diesem Themen- und Zeitenmix nicht zu verheddern und den Erzählfaden zu verlieren. Nobert Scheuer ist so ein Routinier, der seine Leser bzw. Hörbuch-Konsumenten mit virtuoser Leichtigkeit durch alle Ecken und Winkel seines Settings leitet.

Und natürlich kommt man nicht umhin, die komplexe Organisationsstruktur eines Bienenvolkes, in die man von Scheuer behutsam eingeführt wird, mit der des Menschen zu vergleichen. Die Königin, die Arbeitsbienen, die männlichen Drohnen – wenn man von oben auf unsere Welt blickt, dann unterscheidet sich die menschliche Geschäftigkeit nicht so sehr von der eines Bienenvolks. Scheuer sagt das zu keiner Zeit, macht diesen Biene-Mensch-Vergleich nicht auf und verfällt nicht der Versuchung, hier mit platten Allegorien zu kommen. Auch daran erkennt man den Routinier. Nein, das habe ich mir ganz allein so zurechtgerecht gedacht, das alles ist in meinem Kopf beim Zuhören passiert. Vielleicht sollte ich doch mal Maja Lundes Geschichte der Bienen lesen.

So einzigartig dieser Roman auch in seiner Zusammensetzung ist, die einzelnen Bestandteile sind vielfach bewährt. Familie sowie Natur und Landschaft sind als Romanthemen gerade schwer angesagt. Auch die letzten Kriegsmonate in einer ländlichen Region als Romansetting zu wählen, ist alles andere als neu. Winterbienen reiht sich da in eine lange Abfolge großer Romane ein, von denen mir ganz besonders die letzten Werke von Ralf Rothmann und Arno Geiger besonders positiv in Erinnerung geblieben sind. Wer diese beiden Autoren mag, wird auch an Norbert Scheuer großen Gefallen finden.

Während ich das hier schreibe, fällt mir plötzlich auf, dass es gar nicht Norbert Scheuer war, der sich damals so negativ über Blogger geäußert hat. Ja genau, das war nämlich Michael Wildenhain, ebenfalls mittellanges Haar und mittelalt und auch ohne Twitter-Account. Muss gleich mal gucken, ob er auch was Neues und hoffentlich richtig Schlechtes veröffentlicht hat, über das ich dann ein wenig abschätzig und arrogant urteilen kann.

_______

Foto: Gabriele Luger

Hörbuch: C.H. Beck Verlag
Sprecher: Stefan Kaminsky
Dauer: 6 h, 6 min

 

3 Kommentare

  1. „Winterbienen“ zählt zu meinen Lieblingsbüchern, das kann ich jetzt schon sagen. Und ich hätte Scheuer dem Deutschen Buchpreis auch gegönnt. Das sage ich immer wieder gern, obwohl ich ja ein anderes Patenbuch hatte 😉 Deinem Vergleich von Scheuer, Rothmann und Geiger stimme ich gern zu. Alle drei haben zuletzt Romane geschrieben, die sehr nachwirken und das Thema Zweiter Weltkrieg auf besondere Weise erfassen. Viele Grüße

    Gefällt 1 Person

  2. Der positiven Beurteilung des Sprechers Kaminsky kann ich leider nicht zustimmen. Es hört sich an , wie bei einem Nachrichtensprecher. Eben!!! Das hat dieses Buch sensible und poetische Buch nicht verdient.

    Like

Hinterlasse einen Kommentar