Lasst uns weiter über Bücher schreiben. Nur anders.

Eigentlich wollte ich jetzt eine Rezension schreiben. So wie ich das durchschnittlich schon 38,3 mal im Jahr gemacht habe. Seit 2014 sind auf diese Weise 230 Texte entstanden, die alle hier unter dem Menüpunkt ‚Rezensionen‘ versammelt sind – für mich, für den zufällig Vorbeisurfenden, für die Buchblog-Community und ein kleines bisschen auch für die Nachwelt.

Für diesen wirklich sehr überschaubaren Kreis an Interessierten mache ich mir immer wieder die Mühe. Dafür setze ich mich nach der Lektüre ausgewählter Bücher ein paar Stunden hin und überlege mir, was ich dazu zu sagen habe. Suche nach einem Aufhänger, einem Bezug, einer halbwegs brauchbaren Idee, die meiner Buchbesprechung einen persönlichen Stempel aufdrückt. Am Ende muss dabei etwas herauskommen, was ich auch selber gerne lesen würde. Ein Text, der mehr ist, als eine Inhaltsangabe, der einen reinholt, führt und mit einem Gefühl, einer Meinung, einer klaren Empfehlung wieder entlässt.

Denn warum sollte ich eine Rezension lesen, wenn ich am Ende immer noch nicht weiß, ob das Buch etwas für mich sein könnte? Die reine Story eines Romans – wer wann wie mit wem und wieso – das hat mich persönlich noch nie sonderlich interessiert. Wohl aber die Sprache, der Rhythmus und die zweite Erzählebene – sprich, die Gedanken, die das Gelesene in mir anstößt – ganz zu schweigen von den Emotionen. Das alles versuche ich in meine Rezensionen zu packen.

Und natürlich gelingt es mir nicht immer, aber zumindest versuche ich es. Wieder und wieder lese ich mir die geschriebenen Sätze vor, prüfe, ob sie gut klingen, ob sie meinen Leseeindruck, mein Empfinden richtig wiedergeben, feile hier, feile da und suche manchmal ewig nach einem guten Schlusssatz. Das lässt sich nicht mal so nebenher aus dem Ärmel schütteln. Zumindest mir gelingt das nicht. Drei, vier Stunden brauche ich mindestens, und wenn mir nicht spontan was Gutes einfällt, dann auch gerne mehr. Manchmal ist es richtig harte Arbeit, aber eine, für die ich gerne meine Freizeit opfere, weil ich prinzipiell gerne schreibe, besonders über Literatur, über das Lesen, das Bloggen, den Literaturbetrieb und natürlich auch über mich.

Wo war ich stehengeblieben? Ach ja: Eigentlich wollte ich ja jetzt eine Rezension schreiben. Zum Beispiel über David Grossmanns „Was Nina wusste“, einen Roman, durch den ich mich stellenweise quälen musste, den ich gestern Abend aber trotzdem beendet und irgendwie auch gerne gelesen habe. Einen Aufhänger hätte ich schon: Ich könnte über bleierne Seiten und schwere Augenlider, über rein mechanisch gelesene Sätze schreiben und darüber, welches „Irgendwie“ mich dann letztlich doch bei der Stange gehalten hat.

Doch dann frage ich mich: Ist dieser subjektive Empfehlungs-Drops nicht längst gelutscht? Will das wirklich noch jemand lesen? Denn auch, wenn ich es selber so nenne, echte Rezensionen sind das ja nicht, was ich da so schreibe. Zu wenig Methode und literaturwissenschaftliche Expertise und viel zu viel Ich, Ich, Ich. Und machen wir uns nichts vor: Für die öffentliche Rezeption eines literarischen Werks haben solch subjektive Leseeindrücke nur wenig Relevanz. Was vor ein paar Jahren noch als frisch und unkonventionell galt und von Verlagen und Autor*innen gerne geteilt wurde, ist mittlerweile ein echter Online-Ladenhüter. Die Zugriffe auf Buchrevier sind zwar immer noch konstant, aber Rezensionen laufen mit Abstand am schlechtesten. Und ich muss gestehen: Selbst ich lese kaum noch Besprechungen auf anderen Blogs.

Und dann bekam ich vor einigen Wochen auch noch eine Mail von einem Indie-Autor, dessen Roman ich vor ein, zwei Jahren sehr positiv besprochen habe, und als ich das las, wusste ich auch nicht mehr weiter. Aber lest selbst:

„Hallo Tobias! Eines vorweg: Ich bin großer Fan deiner Meinungsbeiträge. Das hat mit der Art zu tun, wie du Dinge reflektierst, und die dann in deine ganz eigene Sprache übersetzt. Das führt dazu, dass ich beinahe jeden dieser Beiträge lese. Was ich aber größtenteils nicht mehr lese – und ich hoffe du verzeihst mir das, aber das greift einen ersten Punkt auf –, sind die Buchrezensionen. Denn – wie du schon schriebst – die wiederholen sich zum größten Teil überall.“

Ich dachte bisher, dass zumindest noch die Autor*innen kleinerer Verlage Wert auf Blogrezensionen legen, weil ihr Werk ja sonst nirgendwo mehr besprochen wird. Aber wenn selbst da eine Übersättigung eingetreten ist, dann müssen wir Blogger mal unser „Geschäftsmodell“ überdenken und die Rezensionsregeln verschärfen, um wieder mehr Relevanz zu erlangen.

Ich habe mich daher in den letzten Tagen mit Vertretern führender Blogs, Verlagsrepräsentanten und der Gemeinschaft unabhängiger Autor*innen beratschlagt und ein strengeres Regelwerk für Buchbesprechungen auf Blogs abgestimmt, das ab dem 30. März 2021 bundesweit in Kraft treten soll. Noch wird an den finalen Formulierungen gefeilt, aber einiges darf ich hier schon verraten:

Um zu verhindern, dass überall die gleichen Bücher besprochen werden, wird die Zahl der an Blogs verteilten Rezensionsexemplare auf zehn Stück begrenzt. Gibt es mehr Anfragen, entscheidet das Los. Wie viele schon befürchtet haben, wird es das sogenannte Booktuben auf YouTub in Zukunft nicht mehr geben. Alle bestehenden Kanäle werden vom Netz genommen und als Audio-Podcast neu aufgelegt. Sie sollen sich dann verstärkt auf die Besprechung von Hörbüchern konzentrieren. Im Gespräch ist auch eine deutliche Begrenzung von Inhaltsangaben in Rezensionen. Sie dürfen in Zukunft einen Textanteil von maximal 20 Prozent nicht überschreiten. Dafür können Buchbesprechungen auf Blogs auch in Zukunft weiterhin Rezensionen genannt werden, müssen allerdings mit dem Zusatz „blg“ versehen werden (Beispiel: Rezension/blg).

Zusätzlich wird das Rezensionsunwesen auf Instagram reguliert. Buchcover dürfen zwar weiterhin auf alle möglichen Arten fotografiert werden, die Caption darf aber, wie bei Bildunterschriften üblich, nur noch maximal einen Satz enthalten. Zusätzlich müssen diese Einsatz-Besprechungen mit dem Hashtag #einbucheinsatz gekennzeichnet werden. Und nicht zuletzt werden Blogs, die sich einer subjektiven Buchbesprechung verweigern und durch ein pseudointellektuelles Anbiedern an das Feuilleton wiederholt negativ auffallen, aus der Lesestunden-Topliste der Buchblogger gestrichen.

Zugegeben, das sind harte und vielleicht auch unpopuläre Maßnahmen, die aber längst überfällig waren. Für mehr Qualität und eine weiterhin lebendige Literaturbloglandschaft. Und für weniger fragwürdige Meinungsbeiträge und mehr gute, relevante Rezensionen/blg, die die Leserinnen und Leser reinholen, führen und mit einem Gefühl, einer Meinung, einer klaren Empfehlung wieder entlassen.

————

Foto: Gabriele Luger

6 Kommentare

  1. Ich bin auch etwas ratlos. Rezensionen sind das täglich Brot meines Blogs, aber Zugriffe und Kommentare halten sich in Grenzen. Vielleicht mehr Fragen an die Leserschaft des Beitrags einstreuen, vielleicht noch mehr als sowieso schon weniger Beachtetes besprechen? Ich lese die subjektiven Buchbesprechungen immer noch sehr gern. Grüße!

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  2. Deinen Beitrag muss ich mit etwas Zeit nochmal genau lesen. Ich habe mich das ganze Jahr schon gefragt, wie es mit den Rezensionen weitergeht. Ich für mich werde weiterhin zu den gelesenen Büchern zeichnen und das vermutlich weiter ausbauen. Aber auf welche Art und Weise es verschriftlicht wird weiß ich auch noch nicht genau. Ich freue mich auf ein neues Buchjahr und werde gespannt verfolgen, was sich im vermeintlichen Buchblog Dschungel so wandeln wird.
    Ich wünsche dir ein frohes und gesundes Jahr
    LG Kerstin

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  3. Welch eine schöne Idee, auch wenn ich dann meinen Blog etwas anders ausrichten müsste…
    Besonders die Vorgaben für Instagram finde ich genial 😉

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