Was wäre wenn … ich nicht so viel lesen würde?

7 Dinge, die dann anders wären.

1. Ich wäre schlanker

Wenn ich nicht so viel lesen würde, hätte ich bestimmt zehn Kilo weniger auf den Rippen. Ich würde dann abends nach der Arbeit noch laufen gehen und mir im Fitnesscenter ein sauber definiertes Sixpack antrainieren. Stattdessen bewege ich mich kaum noch, sitze nur und lese. Und wenn ich nicht lese, dann schreibe ich. Dazu ein kühles Bier und eine Handvoll Cashewnüsse. Von den zehn Anzügen in meinem Schrank passen mir nur noch zwei. Und die habe ich mir letzte Woche neu gekauft.

2. Ich hätte mehr Freunde

Irgendwann muss man sich im Leben entscheiden. Entweder viele Freunde haben oder viele Bücher lesen. Beides zusammen geht nicht. Zumindest ich bekomme das nicht hin. Ein geselliger Abend unter Freunden ist ja mal ganz nett, aber prinzipiell wird mir da zu viel gequatscht und gelacht. Und meine Frau meint, es wäre unhöflich, wenn einen das Gespräch nicht interessiert, einfach aufzustehen und zu sagen: Ich gehe jetzt noch was lesen.

3. Ich wäre erfolgreicher

Ich könnte es wieder machen wie damals, Anfang dreißig. Zu dieser Zeit habe ich relativ wenig gelesen. Stattdessen habe ich Karriere gemacht. Ich kannte keinen Feierabend, hab mich reingehängt und jeden Abend noch Arbeit mit nach Hause genommen. Ganze Nächte habe ich dann an irgendwelchen Texten und Konzepten gefeilt, bis ich todmüde ins Bett gefallen bin. Heute sitze ich manchmal im Büro und freue mich schon auf den Feierabend. Drei, vier Stunden lang einfach nichts anderes tun, als zu lesen. Abschalten, mal nicht an den Job denken, den Kopf wieder frei bekommen und anschließend nächtelang an irgendwelchen Blogbeiträgen feilen.

4. Ich hätte mehr Zeit für die Familie gehabt

Die Kinder sind jetzt aus dem Haus. Keiner mehr da, den man abends mit einer Geschichte ins Bett bringen kann. Jetzt ist es zu spät, noch irgendetwas anders zu machen. Zum Beispiel weniger arbeiten, früher nach Hause kommen und auch weniger lesen. Statt wortkarg mit einem Buch auf dem Sofa zu sitzen – Papa braucht mal fünf Minuten für sich – hätte ich mich mehr kümmern können. Draußen Fußball spielen oder einfach öfter mal in den Urlaub fahren. Vielleicht habe ich ja als Opa noch mal eine Chance.

5. Ich wäre kreativer

Lesen ist ja kein besonders produktiver Akt. Man sitzt eine Zeit lang irgendwo rum, schaut auf einen Stapel bedrucktes Papier, den man dann irgendwann zurück ins Regal stellt und in der Regel wieder vergisst. Für Außenstehende kommt da kaum was bei rum, zumindest nichts, was man vorzeigen kann und die Zeit überdauert. Würde ich malen oder fotografieren, im Keller irgendetwas löten oder Vogelhäuschen bauen, könnten meine Kinder später mal sagen, der hat seine Zeit sinnvoll genutzt, war kreativ und hat etwas Bleibendes geschaffen. Habe ich aber nicht. Ich habe nur rumgesessen und gelesen.

6. Ich wäre kein Blogger

Worüber sollte ich bloggen, wenn ich nicht so viel lesen würde? Ich führe ein ganz normales Leben, habe einen geregelten Bürojob, esse am liebsten gutbürgerlich und gehe zweimal am Tag Gassi mit dem Hund. Wer will so etwas lesen? Ich wäre auch ein sauschlechter Mode- oder Reiseblogger, weil mich weder Klamotten noch fremde Länder sonderlich interessieren. Nein, wenn ich nicht so viel lesen würde, hätte ich kein Thema, worüber es sich zu bloggen lohnt. Und noch etwas wäre anders:

7. Ich wäre nicht ich.

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Foto: Gabriele Luger

7 Kommentare

  1. Ja, das man sonst einiges was man liest, in echt tun könnte, stimmt, hindert mich aber nicht am Lesen.
    ch lese nicht den ganzen Tag, sondern meistens nur in der Früh in der Badewanne oder dort auch Abends, wenn ich zu keinen Veranstaltungen gehe, weil das Schreiben, um einen Punkt höher steht und ich auch eine Praxis, sowie eine Familie habe.
    Bloggen könnte man auch über etwas anderes, über Mode, Essen, Kosmetik, etcetera, da gibt es ja, glaube ich sehr erfolgreiche Beispiele.
    Ich blogge über Bücher, literarische Veranstaltungen, mein Schreiben und manchmal auch über die Gesellschaftspolitik, denke schon, daß ich mehr lesen könnte, wenn ich weniger bloggen würde, tue es aber doch, weil es mir wichtig ist, denn ich bin ich und da gehört nun mal außer der Psychologie auch mein Schreiben und das Literaturgeflüster dazu!

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  2. Ohne dich zu kennen, sage ich einmal, du würdest dich nicht so gut konzentrieren können, du würdest nicht so gut zuhören können, du wärst nicht so empathisch, du hättest nicht soviel Allgemeinwissen, du könntest nicht so gut schlafen (lesen entspannt).
    Das sind zumindest ein paar der positiven Dinge, die das Lesen bei mir bewirkt.

    Und wenn dir gerade wirklich Zweifel kommen, dann kannst du es ja mal mit einer lesefreien Woche, oder, um es nicht zu übertreiben, mit einem lesefreien Tag versuchen. Ich habe das einmal gemacht und hatte einen schweren Entzug, bei dem ich mir Duschgeletiketten und das Kleingedruckte vom Überraschungsei durchgelesen habe. Aber ich hatte plötzlich Zeit für andere schöne Dinge, wie zeichnen oder mal wieder ins Kino zu gehen. Vor einer 40ig tägigen Lesefastenzeit, wie sie mir mein Mann jährlich vorschlägt, graut mir noch immer. 😉
    Alles Liebe!

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  3. Lesen ist kein produktiver Akt, dieser Aussage muss ich geradezu vehement widersprechen!! Der Leser ist auch ein Künstler. Das hat Zadie Smith in ihrem Essay „Besser Scheitern“ (FAZ) einfach perfekt beschrieben:
    „Lesen ist genauso schwer wie Schreiben – davon bin ich überzeugt. Wer behauptet, Lesen sei eine so passive Tätigkeit wie Fernsehen, nimmt das Lesen und den Leser nur nicht ernst. Eine bessere Analogie wäre der Amateurmusiker, der die Noten auf dem Ständer aufschlägt und sich anschickt, zu spielen. Er muss mühsam erworbene Fertigkeiten anwenden, um dieses Stück zu spielen. Je größer seine Fertigkeiten, desto größer ist das Geschenk, das er dem Komponisten macht und von diesem erhält.

    Dies ist eine Auffassung von „Lesen“, von der heutzutage selten die Rede ist. Trotzdem, die alte Moral von Mühe und Lohn ist nicht zu bestreiten, wenn man seine Zeit mit einem Buch verbringt, sich im Lesen übt. Lesen ist eine Fertigkeit, und Leser sollten stolz auf ihre Fähigkeiten sein und sich nicht schämen, sie zu kultivieren, und sei es nur, weil der Schriftsteller auf sie angewiesen ist. Der ideale Schriftsteller braucht als sein Gegenüber den idealen Leser, einen Leser, der offen genug ist, sich einen Menschen vorzustellen, der anders als er selbst ist, mitunter so anders, dass es fast schon gegen jede Vernunft spricht. Der ideale Leser stellt sich an die Seite des Schriftstellers, und gemeinsam wird ihnen der große Coup gelingen.

    Ich will damit nur sagen: der Leser muss Talent haben. Eine ganze Menge Talent sogar, denn selbst für den talentiertesten Leser ist das Land der Literatur ein überwiegend schwieriges Terrain. Wie viele von uns empfinden die Welt denn so, wie Kafka sie empfunden hat, unglaublich verzerrt, dass man es nicht mehr ins nächste Dorf schafft. Wer kann sich, wie Borges, eine Welt ohne Substantive vorstellen? Wer kann emotional so großzügig sein wie Dickens, wer den Glauben so ernst nehmen wie Graham Greene? Wer von uns kann sich so freuen wie Zora Neale Hurston, wer kann Douglas Couplands Zukunftsvisionen aushalten? Wer besitzt die nötige Empfindsamkeit für die feinsten Nuancen bei Flaubert? Wer ist bereit, David Foster Wallace geduldig auf seinen verschlungenen Pfaden zu folgen?

    Der Leser muss die gleichen Fertigkeiten mitbringen wie der Schriftsteller. Leser enttäuschen den Schriftsteller genauso oft wie er sie. Leser irren, wenn sie an das alte Mantra glauben, dass man sich im Roman wiederfinden müsse und Schriftsteller die netten Leute seien, an die man sich wendet, wenn man seine eigene Weltsicht bestätigt haben will. Sicher kann die Literatur auch das, aber es ist nur ein Zaubertrick, der einer viel tieferen Magie entspringt. Um bessere Leser und Schriftsteller zu werden, müssen wir uns etwas mehr abverlangen.“

    Liebe Grüße
    Smilla

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    1. Hallo Smilla,

      danke für diesen leidenschaftlichen Einwand.Ich verstehe was Du meinst, aber überzeugt bin ich davon nicht. Es ist aber auch ein ziemliches weites Feld und würde den Rahmen sprengen, das Thema in allen Facetten zu diskutieren.

      Nur soviel dazu: Du bringst den Vergleich zum Amateurmusiker. Da ist man versucht dir zuzustimmen, da das Musizieren ja immer auch eine künstlerische Ausdrucksform ist. Aber Lesen, wenn es nicht Vorlesen ist, ist keine Darstellungsform. Natürlich gibt es unterschiedlich talentierte Leser, genauso wie es auch unterschiedliche talentierte Videospieler gibt. Aber es ist trotzdem für mich kein produktiver Akt, es wird konsumiert und nicht gestaltet.

      LG Tobias

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  4. Jetzt habe ich Deinen Beitrag gelesen und fühle mich ernüchtert. … Leider stecke ich gerade in dieser Karrierephase fest und trauere meinen Studentenzeiten hinterher, in denen nahtlos ein Buch dem anderen folgte. Die wenige Freizeit will also gut geplant sein. Und da ist an ein Lesen wie im Rausch leider nicht immer zu denken.

    Du merkst, ich bin auf Entzug und auch daher meine Ernüchterung. Ohne meine Bücher wäre ich nicht derselbe Mensch. Bücher halten Dich von sozialen Kontakten fern (manchmal ermöglichen sie sie aber auch), rauben Dir Zeit, erfordern Mühe und Durchhaltewillen….und bereichern Dich um eine Vielzahl unterschiedlicher Welten, Leben und Einblicken, die Du ohne sie niemals erlangt hättest.

    Gruß
    Stefan

    PS: Du hast Recht: Lesen ist kein Schaffensprozess. Zum Glück! Denn Lesen hielt mich bislang vom Schreiben ab und das ist auch gut so 🙂

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