Frank Goosen – Förster, mein Förster

Man kann uns schon am Vornamen erkennen. Wir heißen Frank, Michael, Andreas, Thorsten oder Matthias. Und unsere Frauen nennen sich Heike, Anja, Sabine oder Anke. Das ist meine Generation, die Babyboomer, die geburtenstarken Jahrgänge aus den Sechzigern. Mittlerweile sind wir alle knapp über oder knapp unter Fünfzig – ich bin es, Frank Goosen ist es und die Protagonisten seines aktuellen Romans „Förster, mein Förster“ sind es auch.

Fünfzig Jahre – das ist ein halbes Jahrhundert. Ein schwieriges Alter. Das Glas ist definitiv mehr als halb leer, und der Blick nach vorn verheißt nichts Gutes. Zehn Jahre weiter und man wird sechzig – das ist nicht nur alt, das ist fast tot. Zumindest war es das früher. Doch heute ist Fünfzig ja das neue Dreißig. Viele Männer sind in diesem Alter fitter als je zuvor, rauchen nicht mehr, ernähren sich gesund, fahren Rennrad oder laufen Marathon. Aber egal wie fit wir mit Fünfzig auch sind, mental hat jeder daran zu knapsen. Auch Förster, die Hauptfigur dieses Romans, hat sich schon mal besser gefühlt. Er ist Schriftsteller in einer Schreibkrise, hadert mit sich und dem Leben. Er weiß, dass das Beste eigentlich schon hinter ihm liegt, weiß, dass er sich eigentlich aufraffen, neu motivieren müsste, aber auch, dass er dazu eigentlich keine Lust mehr hat. Und damit steht er nicht allein. Immer wieder begegnen mir Männer in diesem Alter, denen es ähnlich geht. Ü50 scheint die neue Null-Bock-Generation zu sein. Kein Bock mehr auf Karriere, kein Bock auf Altwerden, aber auch kein Bock auf noch mal Jungsein – präseniles Chillen.

Ich hatte zwei Drittel des Romans gelesen, mich bisher ganz leidlich amüsiert, hier und da mal geschmunzelt und ab und zu auch mal bestätigt gesehen – da musste ich das Buch für einen Abend aus der Hand legen. Denn ich war zur Premierenlesung von „Förster, mein Förster“ ins Bochumer Schauspielhaus eingeladen. Und da ich von Frank Goosen bestimmt schon zwei, drei Romane gelesen, ihn aber noch nie live gesehen habe, wollte ich mir das natürlich nicht entgehen lassen. Schon beim Betreten des altehrwürdigen Kulturtempels wunderte ich mich über den Andrang und die Leute. Das war jetzt kein klassisches Bildungsbürger-Lesungspublikum. Durch die Bank war alles vertreten und das Theater mit über 900 Sitzplätzen komplett ausverkauft. Na klar, dachte ich mir, Heimspiel für den VFL Goosen. Die kennen ihn hier alle, die Hälfte sind wahrscheinlich Freunde und Verwandte. Und tatsächlich – hinter mir saß ein älteres Ehepaar, die den Frank und viele im Publikum genau zu kennen schienen. „Guck mal, der Peter ist auch da. Und da, der im karierten Hemd, ist der nicht mit dem Frank in der Doppelkopf-Runde?“

Dann wurde es dunkel, und der Meister kam auf die Bühne. Goosen ist eine imposante Erscheinung, groß, von kräftiger Statur, mit Glatze und Plautze. Wie er so die Bühne betrat und den Applaus genoss, da merkte man sofort: Das hier ist genau sein Ding. Keine Spur von Nervosität, kein Nesteln am Mikrofon oder dem Manuskript. Breitbeinig stand er auf der Bühne und absolvierte sein Aufwärmprogramm. Fünf Minuten Standup Comedy zu den Themen Fußball und Ruhrgebiet. Das Publikum war begeistert und klopfte sich die Schenkel. Ich grinste brav mit.

Dann fing er an, aus seinem Roman zu lesen. Am Stehpult stehend, routiniert und mit Bedacht auf diese ganz bestimmten Stellen hinarbeitend, die wie bei den Nackte-Kanone-Filmen mit Leslie Nielsen spätestens alle zweieinhalb Minuten kommen mussten – ein Schenkelklopfer, ein Lacher oder wenigstens ein Schmunzler. Und Goosen enttäuschte sein Publikum nicht und lieferte routiniert ab. Links und rechts neben mir amüsierte man sich köstlich und ich realisierte auf einmal, wo ich da hineingeraten war. Das war keine Autorenlesung, das war eine waschechte Comedy-Show.

Und von Stund an sah ich alles mit komplett anderen Augen. Ich sah die Freude, mit der Goosen seine Texte performte und wusste, dass er sie genau für diesen Zweck geschrieben hatte. Um auf der Bühne zu stehen und ein vollbesetztes Schauspielhaus zu rocken. Und daraus folgt, dass er das nicht für mich geschrieben haben kann, für mein kleines Leseerlebnis zu Hause auf dem Sofa. Und so lächerlich das klingt, auf einmal fühlte ich mich verraten und verkauft, schämte mich urplötzlich für meine Gedanken und Empfindungen beim Lesen dieses Romans. Ich bin dem billigsten Mainstream auf den Leim gegangen, dachte ich plötzlich, sitze hier wie beim Coldplay-Konzert mit dem Feuerzeug in der Hand und singe „Uhhh-Uhhh-Ohhh-Ohhh“.

In der Pause bin ich dann einfach abgehauen, habe aus dem Auto meine Frau angerufen und ihr erzählt, wie schrecklich ich das alles gerade fand und dass ich das Buch jetzt nicht mehr weiter lesen werde. Die konnte das gar nicht verstehen und fragte, ob ich denn in der Pause wenigstens noch eine Currywurst gegessen hätte. Habe ich natürlich nicht, denn mein Bedarf an Mainstream war erstmal gedeckt.

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Verlag: Kiepenheuer & Witsch
336 Seiten, 19,99 €
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6 Kommentare

  1. hmmm… lieber tobias, das verwirrt mich jetzt etwas…

    „Und so lächerlich das klingt, auf einmal fühlte ich mich verraten und verkauft, schämte mich urplötzlich für meine Gedanken und Empfindungen beim Lesen dieses Romans. Ich bin dem billigsten Mainstream auf den Leim gegangen, dachte ich plötzlich, sitze hier wie beim Coldplay-Konzert mit dem Feuerzeug in der Hand und singe „Uhhh-Uhhh-Ohhh-Ohhh“….“

    ich versteh das jetzt so, daß du das buch nicht deswegen nicht weiterliest, weil es dir nicht gefällt (immerhin hast du ja hie und da geschmunzelt…), sondern weil dir die show gefallen hat und das offensichtlich verabscheuungswürdiger — igittitigit — mainstream war und dir klar geworden ist, daß dir da etwas gefällt, obwohl es igittigit ist was dir natürlich dann prinzipiell nicht gefallen darf. deswegen das „ich bin reingelegt worden“-gefühl…. *grübel*

    da komme ich, ehrlich gesagt, nicht so ganz mit.

    herzliche grüße

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    1. Ja, lieber Gerhard,
      kennst Du das nicht? Wenn du ein Leben lang gerne Hamburger bei Mcdonalds gegessen hast, auf einmal die obere Brötchenhälfte runterfällt und du zum ersten Mal siehst, was da eigentlich drunter ist. Oder du einen Urlaub an einem einsamen, idyllischen Strand gebucht hast und vor Ort feststellen musst, das tausend Andere die gleiche Idee hatten.

      Aber Scherz beiseite – Goosen ist in erster Linie Kabarettist, vielleicht ein literarischer Kabarettist aber trotzdem ist das launisch, lakonische Amüsement seine Triebfeder und auch sein Geschäftsmodell. Das habe ich vorher so deutlich nicht wahrgenommen, weil ich mich nicht so intensiv mit ihm beschäftigt habe. Manchmal braucht man solche Abende, um manche Dinge klarer zu sehen.

      Liebe Grüße
      Tobias

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      1. Es ist natürlich übel, wenn man erkennt, dass ein Autor nicht um des Schreibens, sondern um des Lebens Willen schreibt. Goosen schreibt, wie übrigens fast alle anderen Autoren auch, um davon leben zu können. Selbst die oftmals so gefeierten Worthelden wie Frantzen und Eggers schreiben in der Regel, um sich davon Brot und Klopapier kaufen zu können. Wenn das nicht Mainstream ist…

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  2. Ich habe Goosen schon mehrmals live gesehen und erlebe immer sehr amüsante Abende obwohl ich nicht auf Fußball stehe und auch nicht aus dem Ruhrpott bin. Ich habe schon eine Karte für einen Abend im Juni und werde sicher nicht in der Pause gehen.
    Mit Literatur hat das Spektakel allerdings nix zu tun. Aber mit Spaß. Schade, dass du keinen hattest. Ich kann aber auch verstehen, dass Schenkelklopfer nicht jedem Geschmack entsprechen.

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  3. Sorry, aber diese „Logik“ erschließt sich mir absolut nicht. Ein Buch nicht weiterzulesen, weil es für die Bühne geschrieben wurde und weil es Mainstream ist, das ist einfach nur lächerlich. Da will sich der Rezensent mit Absicht so darstellen, dass er Mainstream nicht mag, nach dem Motto „ich lese nur Bücher, die kein anderer liest bzw gut findet“. Solche Leute kenne ich zur Genüge. Die hören eine Band auch nur dann, wenn sie unbekannt ist. Wenn die Band dann Erfolg hat, dann hat sie ihre Seele verkauft usw. Jaja… Blabla…

    Herrn Goosen habe ich schon mehrfach live gesehen mit diversen Programmen (Ruhrpott, Lesung, Fußball, Zeltfestival, Best-of) und fand ihn jedes Mal äußerst sympathisch, gar nicht abgehoben, bodenständig, ehrlich, unterhaltsam, lustig. Ruhrpottkind halt.

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