… obwohl alle „Vom Ende der Einsamkeit“ schon gelesen haben und begeistert sind und obwohl Bücher, von denen alle begeistert sind, ja meistens sch… nicht so klasse sind.
1) Der erste Satz
Ich gehöre ja nicht zu den Menschen, die dem ersten Satz eines Romans so eine große Bedeutung zugestehen, aber dieser hier ist schon richtig klasse. „Ich kenne den Tod schon lange, doch jetzt kennt der Tod auch mich“. Der perfekte Einstieg, tiefsinnig und gleichzeitig beiläufig. Verspricht große Gefühle, ist sprachlich reduziert, pathetisch aber nicht kitschig. Und so hängt man von Anfang an am Haken, liest und verliert sich dabei, bis man plötzlich nach 350 Seiten beim letzten Satz angekommen ist und der Roman einen mit folgenden Worten wieder ins Leben entlässt:“Ich bin bereit.“
2) Erzählen im besten Sinne
Es gibt Autoren, die wollen nur schreiben. Auch wenn sie nichts zu erzählen haben, Hauptsache schreiben. Benedict Wells schreibt, um zu erzählen. Er hat eine Geschichte im Kopf, ein Gefühl, das er vermitteln will. Und wer ihn wie ich mal live erlebt hat, weiß, mit welcher Freude und Leidenschaft er das macht. Es macht Spaß zu sehen, wie er sich und sein Leben der zu erzählenden Geschichte unterordnet, wie er alles daran setzt, die perfekte Form und das passende Gefühl zu kreieren. Der Autor als Werkzeug einer Geschichte, die erzählt werden will. So muss es sein und nicht umgekehrt.
3) Einsame Identifikation
Schreiben ist ein einsames Geschäft. Gleiches gilt für das Lesen. Und daher hat Einsamkeit für alle, die sich dem Einen oder dem Anderen verschrieben haben, keinen Schrecken. Für Büchermenschen ist Einsamkeit sogar ein guter Freund. Und jede einsame Romanfigur ist folglich die perfekte Identifikationsfigur. Dieser Roman ist voll von solchen Charakteren, mit denen man sich herrlich identifizieren, leben, lachen, leiden und gemeinsam einsam sein kann.
4) Rote Haare, lesend
Jeder, der gerne liest, wünscht sich einen Partner, der auch gerne liest. Männern, die prinzipiell ja eher weniger lesen, sind andere Dinge wichtig. Zum Beispiel weiße Haut, rote Haare und stechend blaue oder grüne Augen. Für einen lesenden Mann wie mich, ist die Kombination aus beidem nahezu unwiderstehlich. Und daher habe ich mich auch in die weibliche Hauptfigur Alva verliebt. Eine Liebesgeschichte mit einer attraktiven, lesenden Frau – das kann ich nachvollziehen, das ist in meinen Augen 100 Prozent authentisch.
5) Gratwanderung
Es ist ein schmaler Grat zwischen Traurigkeit und Pathos, Schönheit und Kitsch, Benedict Wells und Paulo Coelho. Auch wenn „Vom Ende der Einsamkeit“ manchmal haarscharf an der Grenze ist – überschritten wird sie nicht. Ich hatte beim Lesen oft einen Kloß im Hals, dieser Roman ist erschütternd und todtraurig aber zu keinem Zeitpunkt pathetisch. Die Liebe zwischen Jules und Alva, von der Kindheit bis zum Tod, ist wunderschön und herzergreifend aber nicht kitschig. Manchmal ist es nur ein Satz, der fehlt oder eine nicht bemühte Metapher, die Wells von Coelho unterscheidet, den Bestseller vom Weltbestseller und den Mainstream vom Trivialen.
Titelfoto: Gabriele Luger
Ich mag seine Geschichten, und es muss nicht immer der erste Satz der mich gefangen nehmen muss
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Interessant, denn bisher habe ich das Buch aus eben jenem zuoberst genannten Grund gemieden …
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Ging mir doch genauso.
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Einfach versuchen – weglegen kann man immer noch. Aber das Buch fängt einen tatsächlich ein.
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Du hast für mich Benedict Wells so ziemlich genau getroffen. Habe nach Das Ende der Einsamkeit angefangen die bisher erschienenen Bücher zu lesen und jetzt fehlt nur noch Spinner. Besonders in Fast genial hat für mich genau so einen Durchschlagskraft, wie bei Vom Ende der Einsamkeit.
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Ich fand die Besprechung von KaiserTV klasse!
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Schöner Text! Bisher konnte ich mich für Benedict Wells nicht erwärmen. Aber ich glaube, Du hast mich überzeugt, es doch mal zu versuchen. Ich wollte in den nächsten Tagen eh in der Bibliothek vorbeischauen; vielleicht nehme ich dann einfach mal eines seiner Bücher mit. 😀
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Deiner differenzierten Einschätzung „Vom Ende der Einsamkeit“ kann ich nur begeistert zustimmen.
„Vom Ende der Einsamkeit“ ist ein sensibler Roman, der auslotet, was uns vom Leben und Lieben trennt und was uns wieder mit dem Leben und Lieben verbinden kann.
Benedict Wells hält in diesem Roman eine gute Balance zwischen gefühlvollen und nachdenklichen Elementen. Es gibt anrührende Szenen zwischenmenschlichen Scheiterns und Gelingens, amüsante familieninterne Sprachcodes, sinnlich-atmosphärische Details, kindliche Schuldgefühle, erwachsene Reue, tröstliche Einsichten, lebhafte Assoziationen, einleuchtende Rückblenden, anschauliche Beziehungsportraits, poetische Reflexionen, emotional-treffsichere Psychogramme und eine sehr stimmige Entwicklung und Reifung der Figuren.
Wenn Du magst, kannst Du meine Rezension besichtigen:
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2016/03/14/vom-ende-der-einsamkeit/
Nachtaktive Grüße
Ulrike von Leselebenszeichen
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