Tijan Sila – Tierchen unlimited

 

Was war das denn? Ich bin bass erstaunt und kann es gar nicht glauben, dass so ein dünnes Geschichtchen bei einem namhaften Verlag wie KiWi eine Chance bekommen hat. Auf dem ansprechend gestalteten Hardcover ohne Schutzumschlag wird der Titel per Aufkleber als ‚Unser Debüt in der deutschsprachigen Literatur‘ angepriesen. Und auf den ersten Blick klingt es auch gar nicht uninteressant. Eine Kindheit in Bosnien während des Jugoslawien-Kriegs, dann die Flucht nach Deutschland und das Erwachsenwerden in der rheinland-pfälzischen Provinz. Dort hat der Ich-Erzähler neben den Flüchtlings-Integrationsproblemen vor allem mit seiner Pubertät, dem Statusverlust seiner Familie und zu allem Überfluss auch noch mit Neonazis zu kämpfen.

Mit diesem Problemgemengelage werden wir als Leser gleich zu Beginn des Romans konfrontiert. In der ersten Szene fährt der Erzähler blutend, schwer verletzt und halbnackt auf einem Rennrad durch die Nacht. Er flieht vor einem jungen Rechtsradikalen, der ihn nackt aus dem Bett seiner Schwester gezogen und verprügelt hat. Es folgt eine peinliche Szene im Krankenhaus, bei der es nach der Erstversorgung der Wunden darum geht, seine Nacktheit vor den Blicken der Krankenhausbesucher zu verbergen. Solche Szenen kennt man aus einschlägigen Til Schweiger- Filmen oder alten Sketchen von Didi Hallervorden. An dieser Stelle, so auf Seite 15, hätte ich eigentlich schon aussteigen können, denn in dem locker flockigen Stil geht es munter weiter.

Generell scheint der Autor sich vorgenommen zu haben, den Themen Krieg, Flucht, Integration und Rechtsradikalität ihre Schwere zu nehmen und sie in lustig-leichten und unterhaltsamen Häppchen abzuhandeln. Da kann Sarajewo unter schwerem Granatwerfer-Beschuss liegen oder die Bevölkerung extrem unter Hunger und Kälte leiden – der Erzähler hat ganz andere Sorgen. Er muss Videospiele tauschen oder im Fluss baden gehen. Natürlich – Kinder arrangieren sich schnell mit schwierigen Verhältnissen. Da ist unter Umständen auch eine vom Krieg zerstörte Stadt nichts anderes als ein riesengroßer Spielplatz. Ich persönlich fand den locker flockigen Erzählstil eher unangemessen und die häufig wechselnden Rückblenden in Kindheit, Jugend und Erwachsensein unmotiviert und planlos.

Ich habe mich gefragt, was das Ganze soll. Was will der Autor mir erzählen? Wie es ist, wenn eine Akademiker-Familie nach der Flucht ihre Privilegien verliert und ihr Kind in Deutschland nur auf der Hauptschule landet? Dass Rechtsradikalität in den besten Familien vorkommen kann und die Flucht vor dem Krieg nicht unbedingt immer die beste Wahl ist? Das sind alles Themen, die in „Tierchen Unlimited“ vorkommen und durchaus interessant und erzählenswert sind. Doch sie werden nur gestreift und kollidieren mit dem augenscheinlichen Anspruch des Autors, daraus ein cooles Stück Popliteratur zu schaffen.

Mich hat der Roman deshalb nicht überzeugt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass Fans von Tschick und Auerhaus daran Gefallen finden. Auch bei diesen beiden Coming-of-Age Romanen habe ich nie verstanden, wie man sich so dafür begeistern kann. Vielleicht passe ich auch einfach nicht zur Zielgruppe und bin mittlerweile zu alt für jede Art von Popliteratur. Vielleicht aber auch nicht, und „Tierchen Unlimited“ ist einfach nichts weiter als ein belangloses Geschichtchen.

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Kiepenheuer & Witsch
224 Seiten, 18,00 €

5 Kommentare

  1. Können Sie sich vorstellen, daß eine, die an sich keine Aggressionen, keine Gewalt und keine Schimpfkanonaden mag, zwar nicht unbedingt von dem Buch begeistert ist, denn schon der Anfang, wo einer nackt auf einem Rennrad dem gewalttätigen Nazibruder seiner Freundin davonfährt, ist ja bestimmt übertrieben, sich sehr wohl vorstellen kann, was das Buch soll, denn da sah ichden in Bosnien geborenen Berufsschullehrer vor vor und dachte, der hat hat die ganze Klasse voll von traumatisierten Schülern, die eine ähnliche gewalttätige Jugend erlebt haben, beziehungsweise sich jetzt entweder den ISIS-Fans oder den Patrioten zuzählen und so gesehen war ich von dem Buch sehr beeindruckt und würde es mir im nächsten Herbst, ähnlich, wie das der Shida Bazyar https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/11/26/nachts-ist-es-leise-in-teheran/vielleicht auf der Bloggerdebutpreisliste oder auf der für den „Akzepte-Literaturpreis“ wünschen.
    Ich habe das Buch auch in den letzten Tagen gelesen, meine Besprechung erscheint nach Mitternacht und, ich denke, es ist ein Buch, das in Zeiten wie diese, wo wir ständig über Flüchtlingsobergrenzen und den Rechten der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund reden oder in den Medien hören, unbedingt gelesen gehört, denn ich denke, in den Berufsschulklassen passiert genau das und der Autor wird sich vielleicht gedacht haben, daß er sein Debut entsprechend modisch aufputzen muß, um für die jugendlichen Leser mit oder ohne Migrationshintergrund glaubwürdig zu erscheinen und wenn man dazu ein Kontrastprogramm braucht, kann man sich ja auch mit dem Soldaten und seinem Grammafon https://literaturgefluester.wordpress.com/2011/09/30/wie-der-soldat-das-grammofon-repariert/ beschäftigen, das schon ein paar Jahre früher erschienen ist, aber wahrscheinlich Ähnliches erzählt, aber damals waren die Zeiten vielleicht noch etwas friedlicher und weniger stimmungsaufgeladen.
    Liebe Grüße aus Wien, beziehungsweise Harland bei St. Pölten, wo ich das Wochenende verbringe, sehen wir uns wieder in Leipzig?

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  2. P.S. Seicht habe ich das Buch in keiner Weise empfunden, eher manchmal etwas brutal erzählt und das Einzige was mich ärgerte war, daß der Buchrücken nach drei Lesesessions kaputt und zerrissen war, aber dafür können wahrscheinlich, sowohl der Autor noch die tramatisierenden Verhältnisse, die er schilderte, nichts!

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  3. Mit Tschick ging es mir genauso. Konnte ich nichts mit anfangen, obwohl ich Herrendorf mag.
    Ist wohl ein Jugendbuch und ich zu alt dafür.

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    1. Ich denke weniger ein Jugendbuch, als ein Blick, wie es in den Schulen vielleicht zugeht. Zumindest habe ich das Buch so gelesen und das hat mich sehr beeindruckt.

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