Juli Zeh – Nullzeit

 

Wer hätte gedacht, dass ich einmal Fan einer Autorin wie Juli Zeh werden würde. Doch in den letzten zwei Jahren habe ich einiges dazugelernt, unter anderem, weniger oberflächlich zu sein, nicht alles nach Schema F in Schubläden zu packen, Menschen, auch wenn sie anders sind als ich, einfach mal so anzunehmen. Vielleicht ist es das Alter, so eine präsenile Leck-mich-am-Arsch-Stimmung. Irgendwann hört man einfach auf, sich über Dinge aufzuregen. Vielleicht hat es aber auch ganz andere Gründe. Noch mal was Neues ausprobieren, eingefahrene Denkmuster verlassen, Sympathie und Antipathie infrage stellen.

Wie dem auch sei. Nach dem Bestseller „Unterleuten“ habe ich jetzt schon den zweiten Roman dieser Autorin gelesen und bin zum zweiten Mal ziemlich begeistert. „Nullzeit“ ist aus dem Jahr 2012 und nicht bei ihrem aktuellen Verlag Luchterhand, sondern noch bei Schöffling erschienen und gerade mal 250 Seiten dick. Juli Zeh ist ja gesellschaftspolitisch sehr aktiv und engagiert. In ihren Romanen merkt man glückerlicherweise nur wenig davon. Hier und da schwingt mal zwischen den Zeilen etwas Sozialkritik mit, aber das war es auch schon. Ansonsten beschäftigt sie sich in erster Linie mit den Facetten des Zwischenmenschlichen. Bei diesem Werk soll es sich laut Klappentext sogar um einen Krimi oder Thriller handeln. Kannst du ja mal einschieben, dachte ich mir, und bin mit diesem Backlisttitel in den Urlaub gestartet. Ich hatte insgesamt fünf Bücher für zwei Wochen dabei; bis auf Nullzeit alles ziemlich dicke Schinken von 500 Seiten und mehr. Natürlich habe ich gerade mal eines der dicken Dinger geschafft und dann noch dieses hier, weil es dünner war, weil es Spannung versprach und weil es von Juli Zeh war – meiner neuen Lieblingsautorin.

Ohne es zu ahnen, hatte ich mit Nullzeit die perfekte Urlaubslektüre eingepackt. Denn der Roman spielt auf Lanzarote und handelt von einem ungleichen deutschen Paar auf Tauchurlaub. Und was gibt es Schöneres als mit einem Buch am Meer zu sitzen, auf Fischerboote und badende Kinder zu schauen und eine Geschichte über Menschen zu lesen, die gerade das Gleiche tun? Ein Mann liest ein Buch über einen Mann, der ein Buch liest – Realität und Fiktion im perfekten Einklang.

Das tauchende Protagonisten-Pärchen sind Theo und Jola. Er ein mittelalter Schriftsteller, der gerade mal einen mäßig erfolgreichen Roman veröffentlicht hat. Sie eine blutjunge Serienschauspielerin aus gutem Hause, die auf ihren Durchbruch als ernsthafte Schauspielerin wartet. Dann ist da noch Sven, ein ehemaliger Jurastudent, der nach dem ersten Staatsexamen eine aussichtsreiche Juristen-Karriere gegen ein Aussteigerleben als Tauchlehrer auf den Kanaren eintauschte. Theo und Jola führen eine Beziehung à la Richard Burton und Liz Taylor – sie küssen und sie schlagen sich. Und natürlich entwickelt sich nach kurzer Zeit auch etwas zwischen Jola und dem Tauchlehrer, was natürlich Theo nicht verborgen bleibt und auch nicht gut gehen kann. Denn da sind gemeinsame Tauchgänge, bei denen es darauf ankommt, dass jeder im Team dem anderen vertraut.

Eigentlich eine ziemlich vorhersehbare Geschichte. Aber Juli Zeh wäre nicht Juli Zeh, wenn sie in diese nur zu offensichtliche Mainstream-Falle tappen würde. Nein, eine leidenschaftliche Affäre zwischen dem Tauchlehrer und seiner Schülerin und ein anschließendes Eifersuchtsdrama unter Wasser wären viel zu naheliegend. Aber keine Affäre zwischen Sven und Jola wäre auch keine Lösung gewesen. Und so konstruiert Juli Zeh ein literarisches Zwischenstadium, eine Nicht-Affaire, eine andeutungsreiche Liebelei mit viel Hin und Her, bei der wir Leser durch unterschiedliche Sichtweisen stets im Unklaren gelassen werden. Am Ende kommt es so, wie ich lebenserfahrener Fuchs es schon geahnt habe.

Man merkt vielleicht schon, dieser Roman ist mehr als nur eine spannende Strandlektüre mit einem Schuss Erotik und ein paar touristischen Bezügen. Nullzeit ist intelligent konstruiert und zeichnet sich durch das aus, was Juli Zeh nahezu perfekt wiederzugeben versteht. All die Facetten des Zwischenmenschlichen – die Hoffnungen und Wünschen, die Ängste und Abgründe, das Hässliche aber auch das Liebenswerte am Menschen.

Und deswegen bin ich jetzt großer Fan, habe mir noch drei weitere Romane von Juli Zeh besorgt und frage mich gerade, ob ich mittlerweile sogar bereit dazu wäre, einen Roman von Marlene Streeruwitz zu lesen. Ja, warum eigentlich nicht?

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Schöffling & Co.
254 Seiten, 19,99 € (Taschenbuch bei btb, 9,99 €)

 

7 Kommentare

  1. Seltsam, ich hatte auch diese Anlaufschwierigkeiten, bevor ich den ersten Juli Zeh Roman las. Das war allerdings Nullzeit. Und obwohl ich dachte, Thema interessiert mich gar nicht, hat mich das buch auch sehr überzeugt. Auch ich bin jetzt Fan!

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  2. Wie schön, dass sie dich letztendlich durch Qualität überzeugen konnte. Ich habe alles, sogar das Lexikon für Haushunde, von ihr verschlungen und inzwischen auch meine Familie infiziert. Ein feiner Text!

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  3. Juli Zeh ist auf alle Fällle lesenswert. Ob es die ganz große Literatur ist, sei dahingestellt. Aber sie beherrscht ihr Handwerk: sie kann erzählen und sie kann einen Plot konstruieren. „Spieltrieb“ ist große Prosa, spannend allemal und es wurde ein aktuelles Thema aufgegriffen. Zeh hat ihr Gespür für Themen, liegt am Puls der Zeit, was auch „Unterleuten“ zeigt: Dorf- und Naturgeschichten sowie die Landliebe sind seit einiger Zeit nicht nur bei Städtern en vogue.

    Ansonsten darf ich auf meine kurze Besprechung zu „Nullzeit“ verweisen. Mein Fazit: ein klug gebautes Kammerspiel.

    https://bersarin.wordpress.com/2012/12/18/grenzwerte-zeichen-sprache-juli-zehs-roman-nullzeit/

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