Ellen Dunne – Harte Landung

Ich muss mal wieder meine Vorurteile updaten. Denn je älter ich werde, desto aufgeschlossener begegne ich Dingen, die ich früher kategorisch abgelehnt habe. Wie zum Beispiel Krimis. Früher habe ich mal Chandler, Hammet und Simenon gelesen, aber das ist lange her. Spätere Versuche endeten fast alle mit einer Enttäuschung. Zu eindimensional, zu plot-driven, zu sehr Schema F – so mein Pauschalurteil. Ein düsterer Hinterhof, ein wenig Halbwelt, eine Leiche, ein Ermittler mit kaputtem Privatleben – das hat nichts mit mir zu tun, dafür muss ich keine wertvolle Lesezeit opfern, das kann ich mir auch Sonntags beim Tatort im Ersten anschauen.

Ich sag ja: Vorurteile. Natürlich weiß ich, dass es jede Menge Kriminalromane gibt, die anders sind. Ohne die gängigen Klischees, mit Anspruch, mehrdimensional und sprachlich hohem Niveau. Aber die muss man erst mal aus dem ganzen Krimi-Wust herausfiltern, der Jahr für Jahr auf den Markt geschwemmt wird. Über 4000 Titel waren es allein im vergangenen Jahr, überwiegend Taschenbücher mit teilweise fürchterlichen Covern, reißerischen Headlines und amerikanisch klingenden Fantasie-Autorennamen à la Jerry Cotton. Spannende Unterhaltung, so lautet unisono das Verlagsversprechen, und viel mehr wird von den Käufern auch nicht erwartet. Wenn es spannend ist, ist es gut. So einfach kann Literatur sein.

Nach diesen Ausführungen wird sich natürlich jeder fragen: und warum jetzt ausgerechnet dieses Buch? Was an dem Kriminalroman „Harte Landung – ein Fall für Patsy Logan“ von Ellen Dunne ist bitteschön so anders? Das 08/15-Taschenbuchcover mit Regionalbezug und der martialische Titel schon mal nicht, auch nicht der konstruiert klingende Autorinnen-Name und erst recht nicht das, was auf dem Backcover steht: „Eine Managerin wurde tot aufgefunden. Mord? Der interne Druck, den Fall vom Tisch zu schaffen, ist enorm. Für die auch privat angeschlagene Patsy Logan keine ideale Situation“. Ein Satz zum Augenrollen. Warum? Siehe oben. Mein Vorurteil schon auf dem Umschlagklapper bestätigt. Unter normalen Umständen hätte ich also dieses Taschenbuch niemals in die Hand genommen, geschweige denn gelesen.

Aber die Autorin bewegt sich in meiner Filterblase, liked und kommentiert schon mal Beiträge von mir. Auf der Frankfurter Buchmesse durfte ich sie kennenlernen, und dann gab es noch diese grandiose Rezension, die mich mehr als neugierig gemacht hat. Kurz nach der Messe sah ich das Buch dann in einer Flughafen-Buchhandlung auf dem Krimi-Tisch liegen (ich gebe zu: ich hab danach gesucht) und einfach kurzerhand gekauft.

Zuerst hat meine Frau es mit ziemlicher Begeisterung gelesen. Ich konnte kaum abwarten bis sie damit durch war und habe mich nach zwei verquasten und langweiligen Büchern in Folge drauf gestürzt wie ein hungriger Wolf. Ich wollte auch mal wieder das, was alle immer wollen. Spannung pur, lesen und mir dabei die Fingernägel abkauen, einen echten Page-Turner in den Händen halten und dabei die Zeit vergessen. Genau das habe ich bekommen und noch einiges mehr.

Normalerweise brauche ich für ein 430 Seiten starkes Buch eineinhalb bis zwei Wochen, dieses habe ich in knapp drei Tagen durchgelesen – komplett ohne mit den Augen zu rollen und die eingangs erwähnten Vorurteile bestätigt zu bekommen. Denn alles, was Cover, Titel und Klappentext an Ungemach versprachen, hat sich nicht im Geringsten eingestellt. Stattdessen: ein intelligenter Plot, ein stimmiges Setting und starke, authentische Charaktere. Die Autorin ist eine feine Beobachterin, ihre Personenbeschreibungen oftmals bitterbös aber immer treffend – man hat sofort ein Bild im Kopf.

Natürlich geht es in erster Linie darum, den Todesfall der New-Economy-Managerin Carolin Höller aufzuklären. Der Fall ist mäßig kompliziert, zahlreiche Verdächtige kommen infrage. Das wird von der Münchener Kommissarin alles sauber und für uns Leser gut nachvollziehbar abgearbeitet. Am Ende ist der Fall gelöst, alle sind erleichtert, und auch ich bin angenehm überrascht, denn mit der/die Täter*in hatte ich jetzt nicht gerechnet.

Was mir besonders gut gefallen hat, sind die Einblicke in die hippe Welt der Internet-StartUps. Man bekommt ein ziemlich gutes Bild von der Szene, angefangen bei der Büroarchitektur, den vielen kleinen Mitarbeiter-Benefits, den Hoffnungen und Befindlichkeiten, dem sogenannten Corporate-Behavior, Machtkämpfen und Leistungsdruck. Hier konnte die Autorin aus ihrer Zeit als Angestellte bei Google zehren und ein authentisches Bild zeichnen.

Gefallen hat mir auch die Hauptfigur Patsy Logan. Sie hat wie alle Krimiermittler ihre privaten Baustellen, ist impulsiv und verletzlich, innerlich zerrissen und nach all den Jahren im Job auch irgendwie desillusioniert und auf. Aber anders als bei so manchem Tatort-Kommissar wirkt das alles an keinem Punkt aufgesetzt, konstruiert oder dem Umstand geschuldet, jetzt unbedingt rund um die Ermittlerfigur noch eine interessante Nebenhandlung aufzubauen, auch wenn das wahrscheinlich genau die Intention war.

Alles in allem ist „Harte Landung“ eben doch ein typischer Krimi, mit allen stilistischen Genre-Klischees, nur eben gut gemacht. Gute Story, gut recherchiert und gut geschrieben. Eigentlich kein Wunder, schließlich kommt die Autorin ja aus Österreich. Und da können ja bekanntlich viele sehr gut schreiben.

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Foto: Gabriele Luger
Verlag: Suhrkamp/ Insel Taschenbuch
430 Seiten, 10,95 €

2 Kommentare

  1. Tolle Rezension. Spricht mir direkt aus dem Herzen. Als hättest du meine Gedanken geschrieben.
    Ich hoffe , ich bekommen das Buch von Ellen Dunne mal in d Finger. Ich kenne sie von den Bookaholics.

    Gefällt 1 Person

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