André Kubiczek – Komm in den totgesagten Park und schau

Wenn Menschen mitbekommen, dass ich viel und leidenschaftlich lese, kommt irgendwann unweigerlich die Frage: Und? Hast Du nicht Lust, auch mal ein Buch zu schreiben? Eine Frage, über die ich nicht lange nachdenken muss, die ich klar und eindeutig verneinen kann. Ich weiß nicht, warum beim Anblick meines Bücherregals dieser Gedanke nahezu jedem auf den Lippen liegt, warum es nicht ausreicht, das ganze Zeug einfach nur zu lesen, warum muss man unbedingt auch selber noch etwas dazu beisteuern? Weil Lesen zu passiv ist? Weil ein richtiger Mann etwas schaffen muss, irgendetwas von Wert und nicht seine Zeit auf dem Sofa mit irgendwelchen Träumereien verplempern sollte, von denen keiner was hat, außer vielleicht er selbst?

Ich muss dann immer an Typen wie André Kubiczek denken. Ein nicht nur talentierter, sondern auch allseits geschätzter Autor, der mit seinem letzten Roman sogar auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand. Ein bekannter Schriftsteller also, der nicht irgendwo, sondern bei einem Major-Label wie Rowohlt unter Vertrag ist und im Februar mit „Komm in den totgesagten Park und schau“ bereits seinen, wenn ich richtig gezählt habe, achten Roman veröffentlicht hat. Und? Hat das irgendeiner mitbekommen? Nein.

Dieses Buch findet in der öffentlichen Diskussion so gut wie gar nicht statt – weder im Feuilleton, noch in den Blogs – und auch im Buchhandel sucht man vergebens danach. Selbst bei Amazon, wo eigentlich jeder Feld-, Wald und Wiesen-Autor mit der Hilfe von Verwandten und Bekannten ein paar positive Rezensionen zusammenbekommt, kann dieser Titel mit Sage und Schreibe Null Kundenbewertungen aufwarten. Ein echter Rohrkrepierer also. Und warum ist das so? Weil der Roman schlecht ist? Nein. Weil die Geschichte thematisch nicht relevant ist? Ganz im Gegenteil. Weil der Verlag dafür nicht genug die Werbetrommel gerührt hat? Vielleicht.

Die Wahrheit ist, dass es einfach viel zu viel ist, was uns die Verlage so an Neuheiten Monat für Monat vor die Füße kippen. Zu viel für uns Leser, die noch was anderes zu tun haben, als jede Muschel zu öffnen, um nachzuschauen, ob sich darin vielleicht eine literarische Perle versteckt. Zu viel für die Medien, die immer weniger Platz für Empfehlungen zur Verfügung haben, zu viel auch für das Gros der Blogger, die momentan scheinbar eh nichts anderes zu tun haben, als ihre Blogs DSGVO–konform zu machen.

Ja, da kann so ein freundlicher und zurückhaltender Autor wie André Kubiczek – einer der nicht auf jeder Hochzeit tanzt, sich nicht in Talkshows drängt und keinen berühmten Vater hat – schon mal übersehen werden. Obwohl er einen brandaktuellen Gegenwartsroman geschrieben hat, einen der all das abhandelt, was an Themen, Strömungen und Störungen derzeit unseren Alltag bestimmt. Das linksliberale westdeutsche Bildungsbürgertum genauso wie das ostdeutsche Anti-Merkel-Wut-Proletariat; pubertierende Antifa-Revolten und die Springerstiefel tragende Gegenbewegung, Sexismus, Feminismus, Netz-Aktivismus. Kubiczek erzählt vom neuen akademischen Prekariat, dem Nichtfunktionieren von Familie, von Ansprüchen und Erwartungshaltung, der Flucht in den Alkohol und der Sehnsucht nach Bindung. Eine Fülle an Themen, die in drei zunächst unabhängigen aber schließlich zusammenlaufenden Erzählsträngen zu einem stimmigen und konsequenten Ganzen zusammengefügt werden.

Erzählt wird die Geschichte von drei Männern: Felix, 18 Jahre, hat gerade das Abitur in der Tasche, Liebeskummer und die alterstypischen Findungsprobleme. Seinem Vater Marek, den Felix seit mehr als zehn Jahren nicht gesehen hat, geht es nicht viel besser. Der Literaturwissenschaftler, dessen Karriere bereits im Keller ist, ertränkt gerade seine zweite Ehe im Suff und sein junger Kollege Veith, wissenschaftlicher Mitarbeiter am gleichen Institut, ist auch nicht schlecht darin, sich in existenzbedrohende Situationen zu bringen. Alle drei Männer lavieren sich durch das oben beschriebene Themengemengelage und finden am Ende in einer Art apokalyptischer Schicksalsgemeinschaft zusammen.

Man kann kritisieren, dass Kubizcek in einer erzählerischen Oberflächlichkeit verharrt, jedes gesellschaftliche Thema nur streift und die gängigen Klischees bedient. Aber bewegen wir uns alle nicht genau so durch die immer komplexer werdende Gegenwart? Mit einem gefährlichen Halbwissen, Schubladendenken und viel zu wenig Zeit, um sich über dies und das eine fundierte Meinung zu bilden.

Ich finde André Kubiczek hat ein hochaktuelles, unterhaltsames und nachdenklich stimmendes Buch geschrieben, das es in meinen Augen überhaupt nicht verdient hat, sang- und klanglos in der literarischen Neuheitenschwemme unterzugehen.

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Rowohlt Berlin
380 Seiten, 22,00 €

 

 

 

4 Kommentare

  1. Liegt hier noch im Stapel, aber da ich Kubiczeks letzten Roman „Skizze eines Somers“ sehr schätzte, werde ich sein neues Werk sicherlich auch noch lesen und besprechen. Vorher muss ich aber noch diese Datendingensverordnung anpassen…

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  2. Ja, mir hat „Skizze eines Sommers“ auch sehr gut gefallen, so dass ich mich sehr gefreut habe, dass ein neuer Roman erscheint, als ich in der Vorschau geblättert habe. Ich denke aber auch, dass die Stärke der Blogs gerade darin liegen sollte, auf Bücher aufmerksam zu machen, die nicht so sehr in der Öffentlichkeit stehen, und sich seine eigene Nische zu suchen. Viele Grüße

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  3. Tobias,

    wie bei dir mut Kubiczek erging es mir mit Hannes Köhlers „Ein mögliches Leben“. Auch ein sehr schönes, erzählerisch einfühlsame Buch, welches kaum Beachtung fand. Diese Schwemme an Büchern raubt einem schlicht den Atem und man kommt nicht umhin, sich die Rosinen rauszupicken, sonst wird man ja gar nicht mehr fertig.
    Buch ist vorgemerkt, aber wann ich dazu komme, es zu lesen, weiß ich auch nicht. Da fehlt schlichtweg die Zeit…

    Danke für die Vorstellung eines Buches, welches sonst an mir vorbei gegangen wäre.

    Gruß
    Marc

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