Warum Buchgeschenke problematisch sind

Ich habe hier schon viel über meine Leseleidenschaft geschrieben. Über Bücher, über das Lesen und das Über-Bücher-Schreiben. Nach fünf Jahren ist alles nicht mehr ganz so aufregend und spektakulär wie noch zu den Hype-Zeiten. Vieles ist schon gesagt und hat sich eingespielt, die Fronten sind geklärt: zwischen Print und Online, zwischen den Literaturblogs und den Bücherblogs, zwischen Instagram und WordPress. Jeder weiß mittlerweile, was geht und was nicht, welche Texte geklickt werden und welche dümpeln. Und oft muss man sich noch nicht mal was Neues ausdenken, denn manche Themen funktionieren einfach immer wieder. So krame ich zur Weihnachtszeit schon seit Jahren meinen Text „Bitte schenkt mir keine Bücher“ aus dem Archiv und schmunzele innerlich, dass er immer noch die Gemüter erregt. Jahr für Jahr die gleichen zustimmenden und ablehnenden Kommentare.

Ich antworte zwar nicht darauf, aber ich lese sie mir alle durch und frage mich, wer denn nun recht hat. Als ich den Text vor fünf Jahren geschrieben habe, war er überspitzt formuliert und ironisch gemeint. Und ich weiß natürlich, dass Bücher immer noch zu den beliebtesten Geschenken unterm Weihnachtsbaum zählen, dass es jede Menge Menschen gibt, die sich über geschenkte Bücher freuen und es der Buchhandel ohne das Weihnachtsgeschäft noch schwerer hätte als ohnehin schon. Trotzdem ist ein Buch nicht immer die beste Geschenkidee, und je länger ich darüber nachdenke, desto problematischer finde ich es sogar, Bücher zu verschenken. Ich will mal versuchen zu erklären, warum.

Man muss zunächst unterscheiden zwischen Buchgeschenken für Menschen, die gerne lesen und solchen, die das eher nicht tun. Personen, die nicht gerne lesen, ein Buch zu schenken, finde ich  unsensibel und fast schon übergriffig. Was denken sich die Schenkenden eigentlich? Dass der Beschenkte nur nicht liest, weil er bisher noch nicht das Buch gefunden hat, das diesen Zustand von Grund auf ändert? Da muss erst das ultimative Buch kommen, was einen zum überzeugten Bücherwurm und Vielleser werden lässt und was der Schenkende ihm nun feierlich überreicht? Ist das pure Gedankenlosigkeit, Selbstüberschätzung oder ein unverschämter Wink mit dem Zaunpfahl? Nun lies doch mal was, du Spacken!

Büchermenschen sind ja oftmals missionarisch unterwegs und wollen Nicht-Leser unbedingt ans Buch heranführen. Dahinter steckt die Überzeugung, dass das, was sie in ihrer Freizeit tun, viel sinn- und wertvoller ist, als das, was andere so machen. Dass Menschen, die nicht lesen, ihre Zeit und ihr Leben verschwenden und mithilfe von Büchern viel glücklicher und erfüllter leben könnten. Ich denke das zwar auch, aber ich respektiere, wenn es jemand anders sieht. Wenn er nicht gerne liest, sondern in seiner freien Zeit lieber Netflix guckt, gesellig ist, bastelt oder Sport macht. Für mich wäre das nichts, aber jeder wie er mag. Ich habe kein Interesse daran, Menschen zu verändern.

Aber bei Büchern schwingt das immer mit. Schenke ich jemandem ein Sachbuch, einen wie auch immer gearteten Ratgeber, dann will ich ihm damit nicht nur eine Freude bereiten, sondern auch etwas mitteilen: Ich habe mir gedacht, das könnte (Subtext: sollte) dich interessieren. In meiner Jugend habe ich zu Weihnachten immer Lebensratgeber bekommen. „Werde Nr. 1“, „Wie man Freunde gewinnt“, „Sorge dich nicht, lebe“. Die Botschaft, die bei mir angekommen ist, lautete: ‚Verändere dich, denn so wie du bist, bist du nicht in Ordnung.‘ Und natürlich habe ich diese Bücher deshalb alle nicht gelesen. Aus jugendlichem Trotz und weil ich mich eigentlich ganz ok fand, als Durchschnittstyp ohne viele Freunde.

Die Crux ist, dass Bücher nicht einfach nur Gegenstände sind, die ein zu Beschenkender gut gebrauchen kann, so wie Socken oder warme Handschuhe. Bücher sind Handlungsaufforderungen. Der Schenkende erwartet mehr als nur ein freudiges Dankeschön, er erwartet, dass sich der Beschenkte fünf bis zehn Stunden Zeit nimmt, das Buch liest, sich mit den Inhalten beschäftigt und im Idealfall dem Schenkenden dazu noch eine Rückmeldung gibt. Wenn man dieser Handlungsaufforderung nicht nachkommt, ist das Geschenk wertlos, nichts als ein nutzloser Stapel Papier. Ein Buch ist daher immer nur ein halbfertiges Geschenk, das erst dann vollständig und wertvoll wird, wenn der Beschenkte etwas dazu gibt: seine Zeit.

Bei jedem Buch, das unter dem Weihnachtsbaum liegt, zahlt der Beschenkte also noch mal drauf. Er investiert wertvolle Lebenszeit und damit weit mehr, als er bekommt, wenn man den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 €/h zugrunde legt. Das rechnet sich daher erst, wenn das Buch auch wirklich gut ist und die Lesezeit damit nicht verschwendet.

Anders sieht es aus, wenn man einer Person, die nachweislich gerne liest, ein Buch schenkt. Da kann man zwar sicher sein, dass ein Buch an sich schon das passenden Geschenk sein könnte, aber nur theoretisch. Praktisch kann man hier noch weit mehr Fehler machen, nachzulesen im besagten Blogbeitrag „Bitte schenkt mir keine Bücher“. Man tut daher gut daran, sich im Vorfeld beim zu Beschenkenden eine Wunschliste zu besorgen und sich dann strikt daran zu halten. Also kein anderer Titel des gleichen Autors, keine andere Ausgabe und keine Bücher von Autoren, die so ähnlich sind – dann ist alles gut.

Aber kaum einer mag nach Wunschliste schenken. Das ist ja langweilig und keine Überraschung mehr. Nein, der Beschenkte soll merken, dass man sich Gedanken gemacht hat, und vielleicht ist es ja das ultimative Buch. Eines, das sein Leben von Grund auf verändert, es glücklicher und leichter macht. Das hat bei mir bisher nur ein Geschenk wirklich geschafft. Und das war kein Buch, sondern ein Akkuschrauber.

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Foto: Gabriele Luger

3 Kommentare

  1. Moin Tobias!

    Vielen Dank für diese wunderbaren Beiträge, die mir aus der Seele sprechen:
    Es gibt einfach Dinge, die eignen sich nur bedingt zum Verschenken, und dazu zählen – neben Parfüm und Unterwäsche – auch die Bücher.

    Ich wünsche Dir zum besinnlichen Weihnachtsfest nur Präsente, die Dir Freude bereiten, wie Socken, Krawatten oder ein Ersatz-Akku für den Schrauber. 😉

    Herzliche Grüße
    Andreas

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