Wochenend-Quickie

10985471_961791310521630_4941834535631884903_o-2 Helmut Krausser – Die letzten schönen Tage. Eigentlich war dieses Buch eine Verlegenheitslektüre. Ich brauchte noch etwas Kurzes, Schnelles fürs Wochenende, bis der neue Murakami bei mir eintrifft. Hatte den Krausser antiquarisch vor ein paar Wochen bei Medimops geschossen. Eine schöne gebundene und auch noch ungelesene Büchergilde-Ausgabe mit ansprechendem Cover für ein paar Euro. Von Krausser kannte ich bisher nur „Einsamkeit, Sex und Mitleid“ – was allemal ein cooler Titel ist und der in etwa auch wiedergibt, worum es in diesem Roman geht. Als ich meinen ersten Krausser vor ein paar Jahren gelesen habe, gab es noch kein Buchrevier. Deswegen habe ich kaum mehr Erinnerung daran und kann auch nicht im Rezensionsarchiv nachschauen. Egal – ich hatte ihn jedenfalls als passablen Autor abgespeichert, irgendwie in der Pop-Literaten-Ecke – genau das Richtige als Wochenend-Quickie. Doch schon nach den ersten vierzig Seiten wurde mir klar: Das hier ist weit mehr als nur ein schneller Wochenendroman und alles andere als seichte Pop-Literatur. Sprachlich grandios erzählt Krausser die Geschichte von Kati, David und Serge, eine klassische Dreiecksgeschichte, mit allem, was dazu gehört: Sex, Lügen, Gewissensbissen und natürlich Misstrauen und blinder Eifersucht. 11143209_1601557450126546_8065382231329679197_n Am Anfang dachte ich: Das ist gar kein Roman, sondern nur eine Sammlung ganz netter Kurzgeschichten. Aber dieser Eindruck verflüchtigte sich schon bald. Nach und nach fügten sich die Handlungsstränge der einzelnen Geschichten zu einem wunderbar dichten Romanplot zusammen. Im Mittelpunkt steht die Geschichte von Kati und Serge. Er ein psychisch auffälliger Werbetexter, sie eine nette, attraktive, ehrliche, junge Frau, die sich nach Serges Nervenzusammenbruch liebevoll um ihn kümmert. Natürlich hat ein Alpha-Weib wie Kati noch andere Männer. David zum Beispiel, ein selbstbewusster Szene-Fotograf, mit dem sie den Sex hat, den der ewig an sich selbst zweifelnde Serge ihr nicht geben kann. Und Zweifel in unterschiedlichster Ausprägung sind genau das, was alle Protagonisten verbindet und aus den Einzelgeschichten einen grandiosen Roman macht. Serge zweifelt an Kati, Kati zweifelt an sich und ihren Gefühlen, David an seinem bisherigen Überzeugungen. Krausser wechselt alle drei bis zehn Seiten die Erzählperspektive. Schlüpft als Ich-Erzähler in die Haut von David, Serge und Kathi. Auch Davids Mutter, die ich zunächst nicht zuordnen konnte, sorgt mit einer Nebenhandlung für etwas Entspannung und Abwechslung im Dreieckspsychogramm. So ein permanenter Perspektivwechsel kann manchmal ganz schön nerven. Bei Krausser nervt es nicht, sondern gibt der Geschichte sogar den gewissen Drive. Obwohl es insgesamt ein eher ruhiger Roman ist, kommt nach und nach eine gewisse Spannung auf. Die Verwicklungen der Dreiecksbeziehung spitzen sich zum Ende zu, die Erzählperspektiven wechseln immer schneller, alles läuft auf einen tragischen Showdown hinaus. Doch Krausser läuft nicht in die Mainstream-Falle und beendet die Geschichte so ruhig und gelassen, wie sie begonnen hat. Mir hat dieser Roman sehr gefallen. Krausser hat sich damit bei mir in die Liga der richtig guten, beachtenswerten Autoren geschrieben. Eine Position, die er in der literarischen Community wohl schon eine Zeitlang innehat. Ich habe mir in meinem Online-Antiquariat gleich den nächsten Krausser besorgt. Melodien – ein epochales Werk, das diesmal schon beim Durchblättern deutlich macht, dass es weit mehr ist als nur ein Wochenend-Quickie. Titelfoto: Gabriele Luger

7 Kommentare

  1. Habe Krausser durch das Theaterstück „Eros“ am Münchner Volkstheater entdeckt und habe danach die „Kartongeschichte“ gelesen. Sowohl Stück als auch Roman fand ich ausgesprochen gut und wollte immer mal wieder etwas von ihm lesen.

    Danke für die Anregung, werde ebenfalls auf Büchergilden-Krausser-Jagd gehen 😉

    Gefällt 1 Person

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