Gesellenstücke

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Haruki Murakami – Wenn der Wind singt / Pinball 1973.

Er ist schon lange kein normaler Autor mehr. Er ist eine Institution, ein Mythos, ein Mega-Superstar. Und wenn das nicht schon genug wäre – jetzt hat ihn sein Verlag auch noch zur Marke gemacht. Mit einem unverwechselbaren Corporate Design und ganz viel Brand Awareness. Murakami – der Autor. In dicken Lettern prangt die Wortmarke über dem gesamten Buchrücken. Und es funktioniert. Schon beim Betreten einer Buchhandlung kann man die neuen Murakamis anhand ihrer charakteristischen Farbigkeit innerhalb weniger Sekunden zielsicher orten.

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Seit dem farblosen Herrn Tazaki fährt DuMont diese Strategie. Verpasst jeder Neuerscheinung diese prägnante Markenoptik, mit farbig transparenter Schutzfolie und korrespondierender Grafik auf dem Einband. Die Botschaft ist klar: Wo Murakami drauf steht, da ist auch ein Murakami drin. Mit allem, was dazu gehört, den typischen Murakami-Roman-Zutaten: traurigen Männern Mitte Dreißig, die in Jazzkneipen herumhängen und irgendwann durch ein Loch im Boden in Parallelwelten abtauchen.

Und auch bei diesen beiden Frühwerken, Murakamis ersten Gehversuchen als Romancier, ist schon viel von dem zu erkennen, was diesen Ausnahmeautor später so erfolgreich gemacht hat. Aber man merkt doch deutlich, hier hat einer sich noch nicht gefunden, noch geprobt, mit Figuren und Stilformen herumexperimentiert. Gerade im zweiten Mini-Roman Pinball 1973 wird das in meinen Augen mehr als deutlich.

Murakami krebselt herum, schreibt drauflos ohne zu wissen, wo er hinwill. Da ist keine echte Handlung, kein Spannungsbogen, alles wabert so dahin. Und natürlich bemerkt er das selber und lässt einen Dozenten seines Pinball-Protagonisten sagen: „Sie schreiben gut. Ihre Argumentation ist schlüssig, aber Sie haben kein Thema.“ Irgendwann kommt ihm dann die Idee, nach einem verschwundenen Flipperautomaten zu suchen. Aber als er ihn dann endlich gefunden hat, hat Murakami scheinbar selber die Lust an der Idee verloren und beendet nicht nur abrupt das lang ersehnte Wiedersehen, sondern auch gleich die gesamte Geschichte.

Nein, „Wenn der Wind singt“ und „Pinball 1973“ sind alles andere als zwei Murakami-Meisterwerke. Und das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass der Autor diese beiden Küchentischromane, wie er sie nennt, all die Jahre nicht international veröffentlicht hat. Es sind ganz passable Gesellenstücke eines später mal großen Autors und daher für jeden echten Murakami-Fan, wie auch ich einer bin, ein absolutes Muss.

Als sogenannter Harukinist ist man ja schon glücklich und beseelt, wieder etwas vom großen, traurigen Meister in den Händen zu halten und geht voller Elan auf Entdeckungsreise. Ach, guck mal an, sagt man sich: Da ist ja schon dieser Ratte aus dem Schafsmann und hier gräbt er sich zum ersten Mal ein Loch und legt sich kurz hinein. Eine echte Offenbarung war für mich aber die Lektüre des Vorworts. Hier beschreibt Murakami, wie er beim Schreiben der beiden Küchentischromane seinen typisch reduzierten Sprachstil gefunden hat – verblüffend!

Wer aber erst jetzt auf diesen Jahrhundertautor aufmerksam geworden ist und in sein Schaffen einsteigen möchte, der sollte von diesem Band die Finger lassen und lieber mit „Naokos Lächeln“ oder „Gefährliche Geliebte“ in sein Werk einsteigen. Auch wenn da deutlich weniger und weniger deutlich Murakami drauf steht, ist da viel mehr Murakami drin.

Aus dem Japanischen übersetzt von:  Ursula Gräfe
Erschienen bei DuMont, 350 Seiten, 19,99 €

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