Miranda July – Der erste fiese Typ.
Dieses Buch beweist, dass weniger mal wieder mehr ist, um sich auf dem Neuheiten-Büchertisch von der Masse abzuheben. Kein bedeutungsschwangeres Foto, kein grafischer Schnick-Schnack. Schlichte Typo, weiße Schrift auf schwarzem Grund, Arial in Versalien und ein Titel, der verkauft. Einer, der aus dem Fenster gebrüllt, garantiert für gereckte Hälse und neugierige Blicke sorgen würde.
So einfach das Cover von Miranda Julys Debütroman mit dem Brüllertitel „Der erste fiese Typ“ auch ist, so todsicher wird es funktionieren. Ich bin sicher, Männer wie Frauen werden unisono nach dem Buch greifen, wenn sie es im Buchhandel erblicken. Frauen, weil sie im Leben sicherlich so manchen fiesen Typ kennengelernt haben, an den sie sich mit leichtem Schaudern erinnern. Männer, weil das Cover in seiner Schlichtheit etwas zutiefst Männliches hat und sie sich ständig fragen, ob sie nicht grundsätzlich viel zu nett sind – beruflich wie privat. Denn nicht erst seit Donald Trump weiß man, dass der fiese Typ der wesentlich erfolgreichere Männertyp ist. Meine Frau, mein Haus, mein Boot, mein Auto, meine Geliebte – da kann der nette freundliche Kumpel nie und niemals mithalten.
Man sieht, was an Gedanken alles in Bewegung kommt, bevor man überhaupt eine Seite gelesen hat. Wenn Bilder im Kopf entstehen, kann ein Cover auch einfach nur schwarz sein. Doch das Kopfkino kann man getrost wieder ausschalten. Denn das hat alles so gar nichts mit diesem Roman zu tun. Der kreative Querkopf Miranda July wirbelt die Erwartungshaltungen des Lesers gehörig durcheinander.
Selten ist es mir so schwer gefallen, mein Leseerlebnis in passende Worte zu fassen. Die Lektüre hat mich regelrecht sprachlos gemacht. Ich bin nicht geschockt oder so, ich weiß einfach nicht, wo ich anfangen soll. Fies sind irgendwie alle Figuren dieser schrägen Geschichte. Die Protagonistin Cheryl, die in vielerlei Hinsicht zwanghaft und gestört ist, scheint mir immer noch die Normalste in dem Haufen diverser fieser Gestalten zu sein. Da ist Philipp, weit über sechzig, der einer Sechzehnjährigen im Schritt rubbelt. Clee ein stabil gebautes Vollweib, das den ganzen Tag auf dem Sofa liegt und Chips futtert, plötzlich aber Cheryl von hinten anspringt und in den Schwitzkasten nimmt. Es geht um Babys, die telepathisch sprechen, um lesbische Liebe und senile Triebe, um Anziehung und Ablehnung, um Ordnung und Chaos.
Man liest stellenweise mit offenem Mund, schüttelt den Kopf über so manch skurrile Situation und fragt sich, woher Miranda July all diese Ideen hat. Und so abstrus sich das in der Zusammenfassung jetzt anhören mag – es fügt sich in diesem Roman alles wunderbar zusammen, der Plot ist stimmig, es liest sich flüssig und unterhaltsam. Jeder fiese Typ hat seine Aufgabe in der Geschichte und kommt authentisch rüber.
Ja nee, alles gut mit diesem Buch. Ich habe zwar immer noch keine Idee, was ich da jetzt gerade gelesen habe. Aber so viel steht fest: Es ist ein beeindruckendes Stück Literatur, ein außergewöhnliches Leseerlebnis. Das Cover steht zwar diametral zum Inhalt, aber im Nachhinein betrachtet macht das auch schon wieder Sinn.
Diese Rezension gibt es auch als Audio-Podcast auf Literaturradio-Bayern.
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Foto: Gabriele Luger
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Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Übersetzt von: Stefanie Jacobs
Seitenzahl: 336
19,99 €
Die Affen sind ja süß.
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Das Buch liegt bei mir im SuB und will noch gelesen werden…
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Miranda July hat was … ich kenne die Stories „10 Wahrheiten“ …
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