Helmut Krausser – Alles ist gut.
Wenn man einmal angefangen hat, sich mit Helmut Krausser zu beschäftigen, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Krausser ist der Prototyp eines kreativen Tausendsassas. Ich hab bisher drei Romane von ihm gelesen und alle haben mir sehr gut gefallen. Aber Krausser schreibt nicht nur Romane, wobei sein Spektrum vom Historien-Epos bis zum Kriminalroman reicht. Nein, er schreibt darüber hinaus noch Theaterstücke, Drehbücher, Hörspiele, Essays, Erzählungen und sogar Gedichte. Und das alles sehr erfolgreich. Als wäre das nicht schon genug, spielt Krausser zudem noch auf Profiniveau Schach, ist 2001 Deutscher Teammeister im Backgammon geworden und seit einigen Jahren komponiert er auch noch Opern.
Hätte ich diese Informationen nicht von Wikipedia, könnte man meinen, sie stammen aus einem schlecht gefakten Flirt-Profil auf Elite Partner. Aber ich will mal nicht neidisch sein, sondern gönne Herrn Krausser seine vielen Talente, zu denen augenscheinlich auch gehört, seine Fähigkeiten und Kenntnisse wirkungsvoll zu kombinieren. Bei dem aktuellen Roman „Alles ist gut“ tut er das und bietet seinen Lesern die perfekte Synthese aus Form und Inhalt. Kraussers Schreibfertigkeit macht das Lesen der knapp 235 Seiten zu einem runden Erlebnis. Da stört nichts, Zeitsprünge und Erzählperspektiven fügen sich harmonisch zusammen. Sprachlich ist alles perfekt arrangiert, jeder Satz geschliffen und wohl bedacht. Und auch inhaltlich nehme ich dem komponierenden Romancier alles ab, was er da so schreibt.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der mehr oder weniger gescheiterte Komponist Marius Brandt, dem eines Tages alte, geheimnisvolle Notenblätter in die Hände fallen. Schnell stellt der Protagonist fest, dass die einfachen Melodien dieser Notenblätter eine gefährliche Wirkung haben. Er baut sie in ein Orchesterstück ein, und bei der Premiere sacken tatsächlich drei Personen mit Herzproblemen zusammen, einer stirbt. Im weiteren Verlauf sterben auf die gleiche Weise noch weitere Personen, Intendanten, Dramaturgen und Nebenbuhler des Komponisten, was ihn für die Polizei mehr und mehr verdächtig macht. Soviel zur Haupthandlung. Ab dem zweiten Kapitel baut Krausser eine Nebenhandlung auf und mischt beide Erzählstränge auf eine sehr unterhaltsame Weise. Wir verfolgen die Spur der todbringenden Notenblätter vom 17. Jahrhundert bis heute. Da ist ein päpstlicher Nuntius, der die Melodien von Rom nach Warschau bringt. Danach bleiben die Noten zwei Jahrhunderte in jüdischem Besitz, bevor sie in die Hände deutscher Soldaten fallen und schließlich irgendwann wieder bei Marius Brandt landen. Am Ende der unterhaltsamen Geschichte gibt es einen Show-Down, in dem Helmut Krausser himself die Bühne betritt und noch einmal beim Protagonisten und auch beim Leser für reichlich Verwirrung sorgt. Aber ich will nicht zu viel verraten.
Obwohl das mit den todbringenden Melodien eine Story ist, bei der ich eigentlich mit den Augen rolle, habe ich das Buch mit Wohlgefallen an zwei Tagen durchgelesen. Krausser versteht es einfach, seine Leser zu packen. Er führt uns gekonnt durch ein abwechslungsreiches Setting, beschreibt die handelnden Figuren gerade ausführlich genug, dass sie authentisch erlebbar aber nicht langweilig werden. Ob zeitgenössisches Berliner Künstlerprekariat oder streng orthodoxe jüdische Community im Warschau des vergangenen Jahrhunderts – Krausser bewegt sich auf jedem Parkett gekonnt und sicher. Sprachlich hat es mich nicht so richtig gepackt, da war jetzt keine Formulierung, die ich vor lauter Begeisterung unbedingt unterstreichen musste. Aber auch so ist bei diesem Roman alles mehr als gut. Für mich ein sicherer Kandidat für die Buchpreis-Longlist.
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Foto: Gabriele Luger
Berlin Verlag
240 Seiten
20,00 €
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Krausser ist ein Phänomen, das sehe ich genauso. Ich habe seinen neuen Roman auch gerade gelesen, Rezension gibt es auf dem Feinen Buchstoff. Und ich sehe ihn auch auf der Longlist, obwohl ich nicht sicher bin, dass die Jury das ebenso sieht. Schöne Besprechung, trifft den Roman gut!
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