Reinhard Kaiser-Mühlecker – Fremde Seele, dunkler Wald.

 

Samstag, 22.00 Uhr: Ich habe mich gerade hingesetzt, um mal wieder etwas über die Buchpreis-Shortlist zu schreiben. Nächste Woche Montag ist der Drops ja schon gelutscht. Dann interessiert nur noch der Preisträger und die restlichen Nominierungen geraten schlagartig in Vergessenheit. Also wenn ich noch etwas über den Shortlist-Titel von Reinhard Kaiser-Mühlecker schreiben will, dann jetzt.

22:30 Uhr: Ob das hier noch etwas wird? Ich habe jetzt eine halbe Stunde nachgedacht und alles, was ich bisher geschrieben habe, ist, dass ich eine halbe Stunde nachgedacht habe. Bis jetzt noch keine keine einzige brauchbare Idee zu diesem wunderbar ruhigen, intensiven Buch, das ich Anfang der Woche zu Ende gelesen habe. Ich vergesse immer den Titel: Dunkle Wälder, tiefe Seelen? Nein: Fremde Seele, dunkler Wald – ein wunderschönes Buch. Ich habe es am Montagabend weggelegt und gedacht – wunderbar ruhig und intensiv. Was? Ach ja, Entschuldigung, das hab ich schon gesagt. Ja nun, was noch? Schön ist es, ein richtig schönes Buch, schönes Cover, schön geschrieben. Und auch der Autor ist schön. Ja, puuuh …, was soll ich noch sagen? 23.00 Uhr: Ich mach erstmal Schluss. Morgen früh fällt mir bestimmt noch etwas ein.

Sonntag, 11.00 Uhr: Habe gerade gefrühstückt, mit dem Hund war ich auch schon draußen. Aber eine zündende Idee für die Besprechung habe ich noch immer nicht. Verdammt noch mal, es muss sich doch irgendein Aufhänger finden lassen. Es kommt nicht oft vor, dass mir so gar nichts zu einem Buch einfällt, auch wenn es mir grundsätzlich gut gefallen hat. Das mag daran liegen, dass dieses düstere Alpendrama ziemlich unvermittelt nach 300 Seiten endet und mich ratlos mitten auf der grünen Bergwiese stehend zurückließ. Dabei war ich längst noch nicht fertig mit den beiden Brüdern Alexander und Jakob. Ich hatte noch Fragen, wollte noch ein paar Antworten von den beiden, sie noch ein Stück des Weges begleiten. Aber der junge österreichische Autor hat sich scheinbar ein Limit gesetzt und bei exakt 300 Seiten den Stift fallen gelassen.

Nicht, dass ich mir jetzt unbedingt einen dicken Wälzer gewünscht hätte. 300 Seiten sind vollkommen ok und für einen deutschsprachigen Gegenwartsroman ein ordentliches Preis- Leistungsverhältnis. Und dafür bekommt man gleich drei Romane zum Preis von einem. Eine Coming-of-Age-Story, ein kleines Familienepos und einen Heimatroman. Ja, meine Damen und Herren, kommen sie her, schauen und staunen sie. Das Angebot des Fischer-Verlages gilt nur für kurze Zeit. Wenn sie jetzt reinlesen, bekommen sie vom Autor noch eine tragische Liebesgeschichte zwischen einem Soldaten und einer Offiziersgattin gratis dazu. Und das ganze kostet sie nicht vierzig, nicht dreißig, sondern nur sage und schreibe zwanzig Euro.

Sonntag, 12:30 Uhr: Die Pferde sind mal wieder mit mir durchgegangen. Immer wenn ich mir vornehme, eine ordentliche Rezension zu schreiben, kommt sowas dabei raus. Ich weiß nicht warum, es passiert einfach. Natürlich hätte ich erstmal die Geschichte zusammenfassen können, die auf einem Bauernhof irgendwo in Oberösterreich spielt, einer strukturschwachen Gegend, wo drei Generationen in einem Haus aufeinander hocken. Großeltern mit ordentlich Geld auf dem Sparbuch, Eltern mit einem Berg Schulden und jeder Menge gescheiterter Träume und Kinder mit mit misslungenen Befreiungs- und Fluchtversuchen. Ich hätte schreiben können, dass Kaiser-Mühlecker das alles authentisch und glaubwürdig beschreibt. Dass es ihm gelingt, ein wunderbar, schwermütiges Stimmungsbild aufzubauen, mit einsamen, wortkargen Charakteren, die sich auf die unterschiedlichste Weise verloren haben. Ein tolles Buch auch für den Herbst, wenn die Tage kürzer werden, die Schönheit des Sommer noch spürbar ist, aber schon unwiederbringlich verloren. Dann kann man sich mit einer Tasse Tee und diesem Buch herrlich ins dunkle Bauerntal zurückziehen.

Ich hätte auch auf die Sprache dieses Romans eingegeben können, die in zahlreichen Besprechungen hoch gelobt wurde, die ich aber jetzt nicht besonders bemerkenswert fand. Sauber formulierte Sätze, gefällig konstruiert, aber kein richtiger Drive, nichts was einen vom Hocker reißt und kein Vergleich zur Sprachgewalt anderer, junger österreichischer Autoren wie zum Beispiel Valerie Fritsch. Das alles hätte ich schreiben können, und dann wäre es vielleicht eine vernünftige Besprechung geworden, wie man sie von einem Buchpreisblogger erwartet.

Aber jetzt ist es Sonntag, 15:00 Uhr, ich habe gleich das Limit von 4.500 Zeichen erreicht und lasse dann einfach den Stift fallen. Mein abschließendes Fazit lautet: „Fremde Seele, dunkler Wald“ ist ein Buch, dass mich

__________

Foto: Gabriele Luger

Verlag: S.Fischer
300 Seiten, 20,00 Euro

2 Kommentare

  1. Ja, ich vergesse den Reinhard KaiserMühleckerhttps://literaturgefluester.wordpress.com/2016/10/08/fremde-seele-dunkler-wald/auch immer, wenn ich mir überlege, was da jetzt am Dienstag auf die öst.Shortlist kommen wird?
    Da hätte ich von den zehn schon sieben andere Favoriten und ja ich war vor einigen Jahren auch sehr überrascht, als ich da bei einer „Literarischen Soriee“ im Radio Kulturcafe saß und von dem, tatsächlich schönen jungen Mann hörte, der da mit seinem Erstling „Der lange Gang über die Stationen“ https://literaturgefluester.wordpress.com/2013/07/13/der-lange-gang-uber-die-stationen/ gleich bei „Hofmann und Campe“ landetete und das handelt auch vom Land und vom bäuerlichen Leben in der Gegenwart.
    Der junge Mann ist ja da aufgewachsen und schreibt darüber und die Kritiker waren um und weg, wow, 1982 geboren und schreibt, „wie aus der Zeit gefallen“, was den jungen Autor, wie ich vor ein paar Wochen in der „Gesellschaft für Literatur“https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/09/22/zweifache-longlisten-einfache-shortlistenlesung/hören konnte, gar nicht gefällt und er wahrscheinlich über die Kritiker den Kopf schüttelt.
    Der zweite Roman heißt „Magdalenenberg“ und der kommt ja in dem neuen, dem doppelt preisnominierten und auf der deutschen Shortlist stehenden auch vor.
    Ich habe noch „Wiedersehen in Fiumicino“https://literaturgefluester.wordpress.com/2011/05/01/wiedersehen-in-fiumcino/ gelesen und dann erst jetzt beim doppelten Longlistenlesen wieder von dem Buch gehört.
    Es hat mir gefallen und das kann ich auch beschreiben, wenn man den Autor lesen hört, ist es vielleicht noch beeindruckender, als wenn man es selber liest und was mir ein wenig Schwierigkeiten macht ist, wenn ich in den deutschen Besprechungen von den so typisch österreichischen Menancholien und Typen lese, denn da denke ich, halt, das ist wahrscheinlich das, was heutzutage noch auf jeden Bauernhof passiert, sofern es die noch geben sollte, ganz egal ob in Kirchdorf an der Krems, oder in Bayern beziehungsweise Schleswig Holstein.
    Die Menschen reden nicht viel miteinander, gehen ins Wirtshaus trinken, treiben ab, unterschieben ein Kind, verweigern ein Erbe, Gerüchte passieren und kosten eine Stellung und es kommt auch manchmal zu einem Mord und wenn ich Reinhard Kaiser-Mühlecker richtig verstanden habe, hat er den aus der Zeitungen, vielleicht aus den oberösterreichischen Nachrichten.
    Ich habe das Buch vor ein paar Tagen ausgelesen und lese jetzt schnell weiter, denn es warten ja noch vier von der deutschen Liste auf mich, zwei davon liegen im Badezimmer und von der österreichischen habe ich zwar schon einiges auf Lesungen gehört, aber auch erst den Reinhard Kaiser Mühlecker gelesen, also sollte ich mich beeilen und mit Kathja Langen-Müllers „Drehtür weitermachen.
    Aber ein bißchen befreiend ist es schon, nicht immer diese konstruierten Konstrukte von älterer Mann in der Midlifekrise https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/10/05/die-erziehung-des-mannes/, fährt auf eine Konferenz https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/09/19/rauschzeit/oder mit einer Fremden nach Sizilien https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/09/09/widerfahrnis/ zu lesen und diese Metapher mit der Schlinge von dem anderen Österreicher, dessen Buch ja auch am Land spielt https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/08/31/am-rand/ hat mir ja auch nicht sehr gefallen.
    Ich habe diesen Sonntag übrigens meine Praxis geputzt, beziehungsweise nach dem Ausmalen wieder eingeräumt und dazwischen war ich in der DDR im Sommer 1985 in Potsdamhttps://literaturgefluester.wordpress.com/2016/10/09/skizze-eines-sommers/, wo ich damals auch wirklich für ein paar Stunden war, das kann ich auch empfehlen, war sehr beeindruckend, wenn es mit der österreichischen Melancholie und den Bauernsöhnen zu schwierig ist!

    Like

Hinterlasse einen Kommentar