Philipp Winkler – Hool

 

Ein stummer Schrei aus Wunstorf.

Er war überall. Bei der Preisverleihung im Römer, bei ARD und ZDF, am Stand von Aufbau und der WELT, auf dem blauen Sofa, dem roten Sofa, bei Orbanism und im Mantis auf dem Klo – überall ist er einem über den Weg gelaufen. Von den anderen Shortlist-Kandidaten hat man dagegen auf der Buchmesse nicht viel mitbekommen, sie standen mit ihren 08/15-Frisuren im Abseits rum und wurden nur selten angespielt. Für Philipp Winkler dagegen war diese Buchmesse ein einziger Traumpass, den er Volley genommen und oben im linken Eck unhaltbar verwandelt hat.

Souverän, sympathisch und noch dazu cool und lässig auf immer die gleichen Fragen reagieren, das muss einem erstmal einer nachmachen. Noch dazu als absoluter Newcomer auf dem Parkett. Kompliment. Waren sie mal Hooligan? Woher haben sie den Einblick in die Szene? Sind alle Hooligans rechtsradikal? Haben Sie schon mal solch eine Schlägerei mitgemacht? Auch wenn Winkler nicht immer mit einer Traumparade reagiert hat, so hat er zumindest seinen Kasten sauber gehalten.

Natürlich ist es in erster Linie das Thema, das zieht. Hooligans – da läuft es jedem Bildungsbürger erstmal kalt den Rücken runter. Man kennt sie nur als amorphe, grölende Masse, hinter den Absperrgittern der Nord- oder Südkurve, an Spieltagen von einer Hundertschaft durch die Stadt zum Stadion eskortiert. Wer mit so einer bierseligen Horde schon mal im selben Zug gesessen hat, weiß Bescheid. Jetzt gibt es also den ersten literarisch anspruchsvollen Roman, der in dieser Szene spielt. Wobei von der Kritik nicht nur der literarische Anspruch in Frage gestellt wird, sondern auch, dass das Thema wirklich neu sei.

Die Sprache ist natürlich derb, einfach und dem Milieu entnommen. Anders würde das Buch auch nicht funktionieren. Den literarischen Anspruch deshalb in Frage zu stellen, ist natürlich abstrus. Die Frage, die sich aber stellt: Ist das hier gelungen? Ist die Sprache so gewählt, dass sich der Leser ein authentisches Stimmungsbild machen kann? Ich finde ja, auch wenn ich aufgrund mangelnder Berührungspunkte nicht beurteilen kann, ob in der Hooligan-Szene wirklich so gesprochen wird. In meinen Ohren klingt da alles stimmig, auch wenn ich bei Ausdrücken wie „Gesichtsbuch“ anstelle von Facebook erstmal skeptisch schaute. Aber ich kenne auch Menschen, die sagen „zum Bleistift“, „Märchensteuer“ und Wirsing, statt auf Wiedersehen. Und ob das jetzt wirklich alles neu ist, ist prinzipiell auch egal. Geschenkt, wenn es denn schon vorher einen Roman aus der Hooligan-Szene gegeben haben sollte. Der hier hat es auf die Shortlist des Buchpreises geschafft, den Aspekte-Literaturpreis bekommen und die Frankfurter Buchmesse gerockt. Mehr Relevanz geht nicht.

Bloggerkollegin Sophie kritisiert, dass ihr die Romanfiguren zu klischeebehaftet und vorhersehbar gezeichnet sind. Das kaputte Familienumfeld des Helden Heiko, der saufende Vater, die Mutter, die irgendwann abgehauen ist, die stille Thailänderin, die an ihrer statt eingezogen ist, die Hundekämpfe, die Anabolika schluckenden Bodybuilder – das alles ist nicht wirklich neu, meint Sophie; ein klassisches Verlierer-Setting und daher für sie enttäuschend. Man kann dem entgegenhalten, dass schlichte Menschen nunmal häufig aus schlichten Verhältnissen stammen. Ein Jura studierender und aus einem Ärztehaushalt stammender Hooligan wäre zwar weniger vorhersehbar gewesen, aber auch weniger authentisch.

Mich haben weder die Sprache noch die Charakter-Klischees gestört. Ich finde den Roman stimmig, sprachlich und atmosphärisch dicht und insgesamt sehr unterhaltsam. Und mir ist auch vollkommen egal, ob die Kämpfe bei den Hooligans jetzt tatsächlich genau so ablaufen, ob in dem Milieu so gesprochen wird und Hannover 96 und die Braunschweiger wirklich Spinnefeind sind. Es ist ein Roman, es sind ausgedachte Figuren und Winkler hat sie in meinen Augen interessant und authentisch gezeichnet. Und natürlich sind Hooligans nicht nur Saufköppe und brutale Schläger. Hooligans wie Heiko sitzen nächtelang im Auto vor der Wohnung ihrer verflossenen Liebe, sie kümmern sich um Vatterns Tauben und besuchen den kranken Kumpel im Krankenhaus. Harte Schale, weicher Kern – noch so ein Charakter-Klischee. Nach Ansicht der Ärzte, ist Hass ja sowieso nur ein stummer Schrei nach Liebe. Und auch Heiko will eigentlich nur mal in den Arm genommen werden.

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Verlag: Aufbau
310 Seiten, 19,95 €

Hier der Link zur Rezension von Sophie Weigand vom Blog Literaturen:

 

 

5 Kommentare

  1. Wollen wir nicht alle mal in den Arm genommen werden? Aber mal im Ernst: Hool hat frischen Wind in den Literaturzirkel gebracht. Ortheil kann stolz auf seinen ehemaligen Studenten sein!

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  2. Ich mochte das Buch – bis zu der Stelle, als Jesus das erste Mal auftauchte…und mit dem Ende kann ich so überhaupt nichts anfangen, ich hab tatsächlich zwischendurch mal ängstlich zum Fenster rausgeschaut, ob alles normal wirkt oder ich versehentlich in einem Parralleluniversum gelandet bin – zum Glück sind Geschmäcker verschieden !

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