Florian Scheibe – Kollisionen

Schrecklich unterhaltsam.

Es ist schrecklich. Seit es das Buchrevier gibt, kann ich nicht mehr unbeschwert lesen. Diese ganzen Rezensionen haben mich versaut. Immer eine Meinung zu haben, diese auch begründen zu können, immer irgendeinen Aufhänger zu finden, einen lesbaren und interessanten Text abzuliefern; einen, den ich auch selber gerne lesen würde – das alles schlaucht irgendwie und hat mein Leseverhalten verändert.

Nehmen wir beispielsweise dieses Buch: ‚Kollisionen’ von Florian Scheibe. Ich habe den knapp 380 Seiten dicken Roman innerhalb eines Wochenendes durchgelesen. Das Lesen hat mir Spaß gemacht, ich fand es sprachlich ansprechend und die Romanfiguren gut gezeichnet und glaubwürdig. Die Geschichte hatte einen schönen Spannungsbogen, und als ich es spät in der Nacht weglegte, tat ich das mit dem schönen Gefühl, einfach mal wieder ein gutes Buch gelesen zu haben. Punkt. Mehr müsste man eigentlich darüber nicht sagen.

Doch bei mir fängt der ganze Buchblogger-Gedankenbrei jetzt erst richtig an zu dampfen. Was willst du darüber schreiben? Dass dir das Buch gut gefallen hat? Das ist definitiv zu wenig. Warum und was hat dir daran so gefallen? Und jetzt sag nicht, irgendwie alles. Alles ist nichts. Es hat dich gut unterhalten? Wirklich? Würdest du dann sagen, dass es sich hier um Unterhaltungsliteratur handelt? Also mehr Unterhaltung als Literatur. Der Plot ist schon ziemlich dominant, oder? Und sagtest du nicht mal, dass ein starker Plot einem literarischen Anspruch eher im Weg steht? Erinnere dich doch mal, als du zum ersten Mal den Klappentext gelesen hast. Da hast du ein wenig mit den Augen gerollt, nicht wahr? Hast die Story etwas konstruiert, ein wenig zu schwarz/weiß und klischeehaft empfunden. Nicht viel, aber etwas. Doch das Cover hat dich angesprochen, und die halb angelesene Seite hat dir auch gefallen. Deswegen hast du es dir ausgesucht.

Und hinzu kommt, dass Kollisionen jetzt kein Must-Read ist; kein Buch, das durch die Blogs gereicht und von allen besprochen wird. Hier könnte ich mich alleine durch die Lektüreauswahl schon ein wenig abheben, zur Abwechslung auch mal nur auf das Buch konzentrieren und eine ganz normale Rezension schreiben. Kann ich das überhaupt? Natürlich kann ich das! Aber wer will das lesen? Ich meine, das hier ist das Buchrevier! Wer an dieser Stelle eine ausgewogene und literaturwissenschaftlich fundierte Besprechung erwartet, ist hier sowieso verkehrt.

Aber kommen wir zurück zu Florian Scheibe und seinem Buch. Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger gefällt es mir. Das ist das, was ich meinte – dieser Buchblogger-Gedankenbrei! Aber jetzt mal im Ernst, irgendwie ist mir die ganze Story zu fernsehtauglich, die perfekte Blaupause für den unterhaltsamen deutschen Fernsehfilm mit Martina Gedeck und Moritz Bleibtreu. Da sind auf der einen Seite das imposante Dachgeschoss-Loft, die erfolgreiche Architektin und der kreative Kolumnist, beide mit unerfülltem Kinderwunsch. Und da ist die drogenabhängige, schwangere Punkerbraut, die auf der Straße lebt. Das sind doch tolle Gegensätze, sprich: tolle Bilder.

Grob gezeichnete Charaktere, starke Dialoge. Und dazu noch das Thema Gentrifizierung und diese Schicksalskomponente, Murphy’s Law oder wie auch immer man es nennen soll, wenn die einen das, was sie sich sehnsüchtig wünschen, einfach nicht bekommen, während andere es kriegen, obwohl es das Letzte ist, was sie grad gebrauchen können. Und natürlich darf auch der außereheliche Schreibtisch-Sex nicht fehlen, in flagranti erwischt mit weitreichenden Folgen, einer dramatischen Zuspitzung und einer versöhnlichen Schlussszene mit allen Akteuren, irgendwo auf der Autobahn im Sonnenuntergang. Also wenn dieses Buch nicht verfilmt wird, dann mach ich das.

Da haben wir es wieder. Jetzt habe ich mir ein eigentlich gutes Buch wieder schlecht geredet. Es ist schrecklich. Ich kann einfach nicht mehr unbeschwert lesen

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Klett-Cotta
377 Seiten, 19,95 €

Eine weitere Besprechung zu dem Buch findet sich auf dem Blog Zeichen& Zeiten

4 Kommentare

  1. Genau das ist der Grund, warum ich persönlich in dem Bereich der Buchkritik nicht mehr arbeite. Ich wollte nicht mehr mit der Brille des Kritikers lesen oder den Erwartungen von Lesern, Zuschauern oder Zuhörern entsprechen, sondern auch einfach mal wieder von Buch nur um des Romanes Willen gut unterhalten sein.

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  2. Das ist jetzt seltsam und sehr, sehr befremdlich, dass es mir jetzt mit dieser Rezension (so?) so ähnlich ergeht, wie Ihnen wohl so oft mit der Lektüre zahlreicher Bücher, seit Sie Blogger sind….aber das muss nichts heißen und ich will nicht weiter darüber nachdenken.
    Freundlichst
    Ihr Herr Hund

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