Emma Braslavsky – Leben ist keine Art mit einem Tier umzugehen

 

Wie schön das ist, wenn man ab und zu mal über den eigenen Schatten springt, all die halbgaren Einschätzungen und Ressentiments und das ach so wertvolle Erfahrungswissen einfach mal ausblendet und sich frei und unvoreingenommen ein Urteil bildet. Ich gebe zu, das passiert mir nicht oft, denn ich bin so ein verdammt bequemer Schubladen-Typ und fahre damit eigentlich gar nicht schlecht. Oftmals bestätigen sich die Vorurteile ja. Aber ab und zu eben auch nicht, und das ist dann immer wieder richtig toll.

So geschehen bei diesem Buch von Emma Braslavsky, einer Autorin, von der ich vorher noch nie etwas gehört hatte, obwohl es bereits ihr drittes Werk ist. Seit einem halben Jahr lag dieser Roman mit dem etwas merkwürdigen Titel „Leben ist keine Art mit einem Tier umzugehen“ bei mir zu Hause rum, und ich verspürte all die Zeit nur wenig Lust, mich überhaupt damit zu beschäftigen. Das ist so ein überdrehtes und neunmalkluges Gesellschafts- und Umweltpolitik-Ding mit erhobenem Zeigefinger und einem ganzen Schwung sendungsbewusster Charaktere, so mein Vorurteil. Als ich dann noch sah, dass tatsächlich unzählige Akteure diesen Roman bevölkern – so viele, dass dem Roman eine zweiseitige Personenübersicht vorangestellt wird – fühlte ich mich in meinem Schubladendenken bestätigt.

Aber all meine Vorurteile lösten sich innerhalb weniger Minuten in Luft auf. Nach den ersten drei, vier Seiten hatte mich der Braslavskysche Plauderton in seinen Bann gezogen. Ich machte es mir bequem und las das 460 Seiten dicke Buch innerhalb von drei Tagen durch. Ok, ich hatte Urlaub und somit Zeit, aber es war auch wirklich ein tolles Leseerlebnis. Natürlich geht es um Gesellschafts- und Umweltpolitik, um all die hippen Weltverbesserer und Überzeugungstäter, um die unzähligen kleinen und großen Projekte, die unsere Welt retten und zu einem besseren Ort machen wollen. Aber da ist weit und breit kein erhobener Zeigefinger, die Autorin schafft es, dem Thema die Schwere zu nehmen und auch den verbissensten und humorlosesten Öko-Fundamentalisten mit seinen Schwächen und Selbstzweifeln mit einem liebevoll, ironischen Abstand darzustellen.

Die ganze Geschichte spielt irgendwann in der nahen Zukunft und ist eine Mischung aus Utopie, Dystopie und Realsatire. Das klingt interessant, kann aber auch schnell in die Hose gehen. Denn der Wechsel zwischen den einzelnen Stilen, Stimmungen und Ansichten bedarf sowohl jeder Menge Einfühlungsvermögen und Know-how als auch einer großen schriftstellerischen Bandbreite. Emma Braslavsky gelingt dies spielend, beinahe leichtfüßig und virtuos wechselt sie zwischen den zahlreichen Erzählstimmen, switcht zwischen jung und alt, Nachrichtenblog und Dialog und leitet den Leser durch die von ihr geschaffene, schöne neue Endzeit-Welt.

Aber am meisten gefallen hat mir, dass ich so etwas wirklich noch nie gelesen habe. Gerade Vielleser haben ja irgendwann das Gefühl, jede Geschichte so oder so ähnlich schon mal an anderer Stelle, mit anderen Worten und anderen Charakteren erzählt bekommen zu haben. Aber das hier ist wirklich einzigartig. Die Idee für den Roman, der Aufbau, die Charaktere, die ganzen vielen Einschübe, Theorien, Visionen, Orte – all das in dieser Kombination ist wirklich unique, kreativ und außerordentlich gelungen. Man merkt genau, dass die Autorin es sich nicht leicht gemacht hat. Sie hat sich Zeit gelassen, vieles genau recherchiert und hinterfragt. Über acht Jahre hat sie an diesem Roman geschrieben, mit vielen Wissenschaftlern und Experten gesprochen und alles abgesichert. Ich fühlte mich durch die Lektüre auf einem hohen Niveau und sehr intelligent unterhalten und habe an keiner Stelle auch nur ansatzweise irgendeine der kruden Theorien infrage gestellt, obwohl es sicherlich zig Kritikpunkte und Antithesen dazu geben wird. Aber darum geht es auch nicht. Es geht um die Geschichte, die da erzählt wird. Und da hat alles wunderbar gepasst, ein herrliches Endzeit/Jetztzeit-Spektakel, aktuell, inspirierend und genau das Richtige, um Schubladentypen wie mich mal wieder so richtig aus dem Trott zu bringen.

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Suhrkamp
462 seiten, 24,00 €

Zu dem Roman gibt es auch eine interessante Webseite mit Filmen und Zusatzmaterial: http://www.leben-ist-keine-art.de

Weitere Blogger-Rezensionen bei: Zeilensprünge

 

 

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