Frank Witzel – Die Erfindung der Roten Armee Fraktion… (Hörbuch)

…durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969.

Das Buch habe ich schon seit mehr als zwei Jahren im Regal stehen. Es war damals mein Favorit beim großen Wettbewerb und ich habe mich sehr gefreut, dass es den Preis bekommen hat. Warum kann ich gar nicht so genau sagen, denn gelesen hatte ich es nicht. Der Autor war mir irgendwie sympathisch, die anderen Nominierten eher weniger, die Geschichte klang interessant, und diesen knapp Tausendseiter zu lesen, erschien mir als ein spannendes Projekt, eine Herausforderung der man sich mal stellen sollte.

Es gib ja Menschen, die vertreten den Standpunkt, dass man sich auf Literatur einlassen sollte; dass es der Leser ist, der sich annähern muss und nicht das Werk. Dass ein Buch sich sträuben und Böcke schlagen darf wie ein Wildpferd. Solche Menschen sind vielleicht auch davon überzeugt, dass es eine Kunst des Lesens gibt und dass der, der diese Kunst nicht nur irgendwie, sondern wahrhaft beherrscht, dass sich dieser Meisterleser alles erschließen kann – den Ulysses, den Mann ohne Eigenschaften, Zettels Traum und natürlich auch den manisch depressiven Teenager. Das kann man so sehen, und bis zu einem gewissen Punkt teile ich diese Meinung sogar. Nur leider bin ich trotz jahrelanger Übung in dieser besonderen Kunst des Lesens keinen Schritt weitergekommen. Ich lese immer noch irgendwie, lasse mich von sperrigen und Kapriolen schwingenden Seiten aus der Bahn werfen, von endlos nichtssagenden Passagen zu Tode langweilen, von wirren, unzusammenhängenden Sätzen zum Aufgeben und Scheitern provozieren.

Und so war es beinahe auch bei Witzels preisgekröntem „Teenager“. Nur diesmal bin ich nicht gescheitert. Ich habe mich von diesem wilden und sperrigen Buch nicht abwerfen lassen und mir von vorne bis hinten alles reingezogen. Natürlich habe ich gelitten, zweitausendmal mit den Augen gerollt, hatte schwache Momente und war dem Scheitern nah. Aber es gab auch ein paar Passagen, die mich aufatmen ließen, die stellenweise richtig gut und einige, die gar nicht so schlecht waren, aber eben auch nicht wirklich gut. Wie ich schon auf Instagram schrieb, macht es aber keinen echten Spaß, es packt einen nicht, es fordert nur, macht Arbeit. Frank Witzels „Teenager“ ist eine echte literarische Zumutung. Ich tippe mal, dass nur ca. 10 Prozent derjenigen, die das Buch angefangen haben, es letztlich auch zu Ende gelesen haben. Ich habe es gar nicht erst mit dem gedruckten Buch probiert, sondern mich gleich für das Hörbuch entschieden. Gekürzt auf knapp 13 Stunden und vom Autor höchstpersönlich gelesen. An die eintönig lispelnde Autorenstimme konnte ich mich bis zum Schluss nicht gewöhnen, aber ich habe mich gefügt, es zugelassen, so wie ich auch alles andere an diesem Werk zugelassen habe: den fehlenden roten Faden, die unklaren Zeitsprünge, diesen nicht enden wollenden, nervtötenden Monolog. Aber ich habe durchgehalten, habe mich gezwungen dran zu bleiben, wollte wissen, ob ich am Ende für meine Hörarbeit belohnt werde, ob sich irgendeine Art von Katharsis einstellt. Aber nichts davon. Kein Genuss, keine Erkenntnis. Es waren einfach nur dreizehn sich ins Endlose ziehende Stunden mit einem Text, der mich nicht erreicht hat und einem Autor mit einem Sprachfehler.

Das war also der beste Roman des Jahres 2015. Und ich kleiner Idiot stehe da, schüttele nur mit dem Kopf und frage mich mal wieder, ob ich einfach zu schlicht und zu grob gestrickt bin, um das Besondere, das Preiswürdige an solchen Werken zu erkennen. Fehlt mir das Fachwissen, die Ausbildung, die künstlerische Aufgeschlossenheit? Ist es eine besondere Gabe, ja vielleicht diese oben beschriebene Kunst des Lesens, die mir abgeht? Oder fehlt mir einfach die Zeit, mich mit dieser Sülze zu beschäftigen, nur um am Ende sagen zu können: Oh, was für ein grandios megalomanisches Stück Literatur, geschrieben in einem knapp 15 Jahre dauernden, existenziellen Furor; ein Werk, das eine ganze Epoche einfängt, in disparaten Formen, im maßlosen Wechselspiel zwischen Wahn und Witz.

Das blöde ist, wenn ein Buch erstmal derart ausgezeichnet wurde, sich die gesamte Intelligenzia damit beschäftigt und in Lobeshymnen ergangen hat, steht man schon als ziemlicher Depp da, wenn man so gar nichts damit anzufangen weiß. Vielleicht bin ich einfach noch nicht bereit, für diese Art von Literatur, stecke noch zu sehr in dieser Business-Denke, wonach alles, mit dem man sich beschäftigt, für irgendetwas nützlich sein muss. Time is money – komm zum Punkt und labere nicht rum. Wenn du mir was zu sagen hast, lieber Frank Witzel, dann sag es, aber raub mir nicht meine kostbare Zeit. Vielleicht bin ich aber auch einfach nicht eitel genug, mich mit so einem Angeberbuch zu schmücken, es mir ins Regal zu stellen, neben den Ulysses und den Mann ohne Eigenschaften und scheinheilig zu behaupten, dass es natürlich keine einfache Lektüre und nicht für jedermann geeignet ist, dass man sich schon einlassen muss auf diesen megalomanischen Roman und seinen existenziellen Furor.

Vielleicht bin ich aber auch einfach nur ein blöder Blogger, der keine Ahnung hat.

____________

Foto: Gabriele Luger

Verlag Print: Mattes & Seitz
817 Seiten, 29,90 €

Hörbuch: Audiobuch Verlag OHG
12 h, 40 min, gekürzte Version, gesprochen von Frank Witzel
erhältlich bei Audible

11 Kommentare

  1. Danke für die offenen Worte! Ich habe es auch nicht geschafft und überhaupt war mein Favorit bis zuletzt „Risiko“ von Steffen Kopetzky!

    Like

  2. Ich kenne diese Gedanken, wenn man etwas liest, das hoch gelobt wird und man selbst sitzt aber einfach nur da und denkt sich… ja gut… hätte jz auch nicht sein müssen. Ich stand zum beispiel total auf dem Schlauch bei Dave Eggers The Circle. Ich fand es nicht schlecht, aber irgendwie auch nicht gut. Oder auch Ferdinant von Schirach mit Der Fall Collini, ich fand es grauenhaft.
    Wer weiß, vielleicht ist man Tatsache zu blöd und eigentlich auch gar nicht autorisiert, seine Meinung noch dazu in einem Blog kund zu tun… Wahrscheinlich gint es da begabtere…
    Andererseits macht es auch einfach viel zu viel Spaß – erst recht, wenn man dann Artikel wie deinen hier lesen darf 😉
    Liebe Grüße
    von der Luna

    Gefällt 2 Personen

  3. „Der Leser hat’s gut: Er kann sich seine Schriftsteller aussuchen“, hat Kurt Tucholsky gesagt, und ich gebe ihm recht.
    Man darf Bücher auch nicht mögen.
    Man darf sogar preisgekrönte Bücher nicht mögen.

    Gefällt 1 Person

  4. Lieber Tobias, ich habe Frank Witzels Werk nicht gelesen, weil mich die pure Länge abgeschreckt hat und weil ich leider auch von einigen anderen Lesern kritische Meinungen dazu bekommen habe. Ich kann mir also selbst kein Urteil erlauben. Was ich aber weiß, ist, dass Du kein blöder Blogger bist. Und es weiß auch jeder andere Mensch, der Deine intelligente, treffende, unterhaltende Rezension gelesen hat. Denn was Du nie tust ist, Deinen Lesern ihre Zeit zu stehlen. Deine Beiträge sind für mich immer eine Bereicherung. Danke dafür!

    Gefällt 3 Personen

  5. Ich habe es damals sehr positiv besprochen, hätte aber mittlerweile womöglich auch das Problem, dass die Wage zwischen sprachlichem Wagemut & chaotischer Redundanz sich nicht immer in Richtung des gelungenen Experiments senkt.

    Gefällt 1 Person

  6. Moin! Es ist ja völlig in Ordnung, Bücher, die von den Kritikern gefeiert werden, nicht zu mögen, das geht mir mit Murakami und Kehlmann ständig so. Und es ist irgendwie auch eines Bloggers Pflicht, das zu äußern, was Du mit Deinem Text über Witzels ERFINDUNG auch wieder überaus unterhaltsam getan hast. Aber warum sind Leser, die solche Bücher mögen und mit (berechtigtem) Stolz im Regal stehen haben, denn gleich eitel, angeberisch und scheinheilig? Ich finde es etwas unsachlich, bei einer Buchkritik die Leser mit einer Nebenbemerkung gleich mitabzuwatschen.
    Beste Grüße!

    Like

    1. Na ja, wenn du genau schaust, behaupte ich nicht, dass andere so sind, sondern dass ich es nicht bin. Was aber – das muss ich zugeben – eine Haarspalterei ist. Doch ich kenne so viele, die genau das tun, sich mit unlesbaren Büchern schmücken und stolz darauf sind, zu den wenigen zu gehören, die das jeweilige Werk verstanden haben – auch wenn es wie im Fall Witzel noch nicht mal besonders schwer zu verstehen ist, sondern einfach nur langatmig und nervtötend. Sperrige Werke werden eben gerne von Blendern missbraucht und die Grenze zwischen berechtigtem Stolz und Eitelkeit oftmals fließend. Liebe Grüße Tobias

      Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar