Alexander Schimmelbusch – Hochdeutschland

Man stelle sich vor, Simon Strauss hätte zwanzig Jahre nach „Sieben Nächte“ noch einmal einen Roman geschrieben. Was könnte das für ein Buch sein? Wo könnte der namenlose Protagonist, der sich Ende zwanzig den sieben Todsünden gestellt hat, mit Ende vierzig angekommen sein? Gut möglich, dass er Vorstand und Partner einer Investmentbank wäre, mit einem beeindruckenden Haus im Taunus, mehreren Millionen auf dem Konto und einem Porsche mit Elektroantrieb. Da aber Simon Strauss noch nicht so weit ist, hat Alexander Schimmelbusch jetzt diesen Roman geschrieben und ihn „Hochdeutschland“ genannt.

Es ist dieser hedonistische Grundton, das Selbstverliebte, der latente Größenwahn, der mich den Vergleich zwischen diesen beiden Büchern ziehen lässt. Genau wie bei Strauss hat auch Schimmelbuschs Romanheld diese Hybris, und das macht für mich den Reiz dieser beiden Romane aus. Und da wir grad beim Vergleichen sind, will ich in bewährter Amazon-Algorithmus-Manier nicht verheimlichen, woran mich das alles noch erinnert hat. Wer den Lifestyle der Protagonisten von Bret Easton Ellis mag, die Detailverliebtheit, mit der die Helden von Haruki Murakami sich eine warme Mahlzeit zubereiten und auch das Setting von Juli Zehs letztem Roman „Leere Herzen“, der wird auch „Hochdeutschland“ von Alexander Schimmelbusch gut finden.

Doch worum geht es eigentlich? Dieser oben bereits erwähnte Investmentbanker namens Victor hat alles erreicht, was man in seiner Profession erreichen kann. Top-Studium, Karrierestationen bei den ersten Finanzhäusern der Branche und danach Gesellschafter einer erfolgreichen Investmentbank. Geld ist im Übermaß vorhanden. So viel, dass er im Leben nie mehr alles wird ausgeben können. Der Stress im Job ist zur Routine geworden, doch die 100 Stunden-Woche muss er nicht mehr abreißen, dafür hat er Angestellte. Er muss niemandem mehr etwas beweisen, kann sich etwas Quality-Time mit seiner Tochter gönnen und sich mal eben zwei Wochen rausziehen, um einen Roman zu schreiben.

Nebenher entwirft er auch noch eine Art politisches Pamphlet, in dem er auf der einen Seite linke Positionen vertritt, eine staatliche Regulierung von Privatvermögen, die Etablierung einer volkseigenen Fondsgesellschaft zur Förderung von Zukunftstechnologien. Andererseits artikuliert er darin aber auch nahezu rechtspopulistische, ausländerfeindliche Thesen. Am Ende gründet er mit dem Spross einer Kreuzberger Döner-Dynastie eine neue Partei, die bei den Wahlen auf Anhieb zweite Kraft wird.

Ich weiß nicht so recht, was ich von diesem Werk halten soll. Vielleicht liegt es an der Hybris, dem Machtstreben, dem Porsche, dass ich das Gefühl habe, Hochdeutschland ist ein eher männliches Buch. Schimmelbuschs Protagonist Victor erklärt uns, wie die Welt funktioniert und hat dafür den Hashtag #mansplaining mehr als verdient. Ich schätze mal, dass der Roman auch überwiegend von Männern gekauft und gelesen werden wird, was schon mal nicht so gut für den Umsatz ist. Und als ich gerade das Wort ‚männlich’ geschrieben habe, kamen mir doch tatsächlich noch zwei weitere Parallelen in den Sinn. Und zwar einerseits Houellebecq und irgendwie auch Glavinic. Der Franzose wegen seiner Desillusioniertheit und der Österreicher wegen seiner Maßlosigkeit und Prinzipienuntreue. Alles Charaktereigenschaften, die auch Schimmelbuschs Protagonisten anhaften, die aber vielleicht auch wieder typisch für Männer in einer gehobenen Position und ab einem gewissen Alter sind.

Am besten wird die Intention dieses Werkes noch durch das Zitat von McKinsey & Company beschrieben, das der Autor seinem Roman voranstellt hat: „Unser Anliegen ist es, eine Faktenbasis und einen Interpretationsrahmen für notwendige Diskussionen zu liefern. Dabei geht es uns nicht darum, ein fertiges Rezept oder ein bestimmtes Zielbild vorzugeben, sondern Optionsräume zu skizzieren.“

Der Optionsraum in diesem Fall heißt: dieses Buch lesen oder nicht lesen? Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Entscheidung jetzt leichter gemacht habe.

______

Foto: Gabriele Luger

Verlag: Tropen/Klett-Cotta
214 Seiten, 20,00 €

 

Hinterlasse einen Kommentar