Mein erster Gedanke nach ca. fünfzig Seiten: Ich will auch so ein Ting! Etwas, das mein Leben besser macht. Was nicht heißt, dass es aktuell schlecht ist. Aber besser geht doch immer. Muss ja gar nicht perfekt sein, aber etwas gesünder, erfolgreicher, unbeschwerter wäre nicht verkehrt. Ich glaub, mir würde sowas gefallen. So ein kleiner Mann im Ohr; einer, der auf mich aufpasst, den Überblick über mein mitunter etwas sprunghaftes Wesen hätte – mein ganz persönlicher Coach, vielleicht sogar so etwas wie ein Freund.
Und jetzt weiß man schon so in etwa, worum es in diesem Buch geht: eine innovative Tech-Idee, vier Young Professionals, ein StartUp, ein Elevator Pitch, jede Menge Geld und die Chance, mit einem Produkt die Welt zu verändern. Die einmalige Gelegenheit, zu einer Business-Ikone zu werden. Ein neuer Steve Jobs, Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg. Klingt wie ein John Grisham- Setting, bietet aber in diesem Fall mehr als nur spannende Unterhaltung. Denn Artur Dziuk hat einen anderen Anspruch – zumindest glaube ich das. Aber so ganz sicher bin ich mir nicht. Selten so unschlüssig gewesen, ob das hier tatsächlich mehr ist, als nur ein gut aufbereitetes Zeitgeist-Thema mit Bestseller-Potenzial.
Fakt ist, ich habe das Buch sehr gerne gelesen und mich gut unterhalten gefühlt. Und es hat etwas in mir in angestoßen. Auch zwei Wochen nach der Lektüre bewege ich mich gedanklich immer noch im Setting, lassen mich zahlreiche Fragen nicht los. Zum Beispiel, was überhaupt ein perfektes Leben ist? Und wer letztlich besser beurteilen kann, was gut für einen ist: man selbst oder eine Maschine, die Millionen Daten von dir hat und Zugriff auf das gesamte gespeicherte Wissen der Menschheit? Ist Mensch nicht erst Mensch, weil er so unperfekt ist? Und natürlich stellt man beim Lesen dieses Romans wieder einmal fest, dass Geld allein nicht glücklich macht, genauso wenig wie Erfolg und Anerkennung. Aber das ist ja nun wirklich eine simple Erkenntnis und ziemlich profaner Mainstream.
Hmm… bin ich etwa auf der falschen Fährte? Täuscht mich mein Gefühl? Interpretiere ich in dieses Buch viel zu viel hinein? Für einen literarischen Anspruch spricht die Langatmigkeit, mit der Dziuk seine Hauptcharaktere einführt. Man muss schon etwas Sitzfleisch, respektive Leselangmut und Ausdauer mitbringen, um sich den vier Protagonisten zu nähern. Hier noch ein Persönlichkeits-Detail, da noch ein erzählerischer Seitenschwenk. Es ist vielschichtig, aber trotzdem bleiben die Figuren das, was sie von Anfang an waren. Ziemlich eindimensional und ohne Entwicklung: Linus ein bemitleidenswerter Lappen, Kasper der ewige Sohn, Adam ein Blender und Softwareentwicklerin Niu der autistische Nerd.
Aber warum mache ich es mir überhaupt so schwer? Wen interessiert eigentlich, ob das jetzt große Literatur oder ein profaner Unterhaltungsroman ist? Vielleicht kann man sich ja darauf einigen, dass ‚Das Ting‘ das Beste aus beiden Welten vereint. Und es ist ohne Zweifel ein sehr lesenswertes Buch, das noch lange nachklingt. Belassen wir es doch einfach dabei.
Und dann gucke ich zufällig noch, was das überhaupt für ein merkwürdiger Verlag ist: bold. Es stellt sich heraus, dass das ein neues Imprint von dtv ist und auf der Webseite readbold.de steht dann auch schwarz auf weiß: „bold bietet ein junges, trendiges Buch-Programm zwischen Unterhaltung und Literatur, von Autoren, die wie ihre Leser im Internet zu Hause sind.“
Na, bitte. Meine Rede.
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Foto: Gabriele Luger
Verlag: bold (dtv)
464 Seiten, 18,00 €
Das Hörbuch ist auch sehr empfehlenswert:
Verlag: Audible Studios
Gelesen von Sascha Tschorn
14 h, 35 min
Hörprobe