Buchrevier leaks: 2021 kommen die Instabooks

Einer der Vorteile, die man als etablierter Buchblogger zweifelsohne hat, ist die Nähe zum Literaturbetrieb. Man wird vorab über Bücher informiert, hat die Möglichkeit, mit Autoren und Autorinnen persönlich zu sprechen und wird von den Verlagen mitunter auch in noch geheime strategische Überlegungen und Konzepte eingeweiht. Viele dieser Informationen sind vertraulich oder mit einer Sperrfrist versehen, aber hin und wieder werden von den PR-Profis der großen Verlagshäuser interne Information auch ganz bewusst ‚durchgestochen‘.

Blogger und Influencer sind hier gern genutzte Kanäle, um ein erstes Feedback einzuholen, Spannung aufzubauen und den Markt auf die geplante Neuerung vorzubereiten. Die überschaubare Reichweite der Literaturblogger ist ein idealer Testmarkt für Zukunftskonzepte und der ‚closed shop‘ der Blogger-Blase ein Garant dafür, dass nichts in breitere Bevölkerungsschichten durchsickert.

Und so geschah es, dass mir vor einigen Tagen ein Papier zugespielt wurde, dessen Inhalt mir so ungeheuerlich erschien, dass ich es zunächst für einen schlechten Scherz hielt. Aber schon bald begriff ich, dass dieses geheime Strategiekonzept, welches von einer internationalen PR-Agentur im Auftrag von vier großen Verlagshäusern erstellt wurde, todernst gemeint war und nichts Geringeres als das Ende des traditionellen Buches verkündete.

„Das gedruckte Buch ist seit Gutenberg nahezu unverändert und einfach nicht mehr zeitgemäß“, stand da in der Einleitung. „Wenn wir nicht wollen, dass mit dem Buch auch die Literatur als solches stirbt, müssen wir jetzt handeln.“ Und auf den folgenden Seiten wurde dann haarklein dargestellt, wie die Zukunft der Literatur ohne das Medium Buch aussehen wird. Wohlgemerkt: nicht könnte, sondern wird. Und der fehlende Konjunktiv hat mich am meisten geschockt. Denn scheinbar wurde da kein weit entferntes Zukunftsszenario skizziert, sondern ein konkreter Maßnahmenplan vorgelegt, dessen erste Punkte bereits im nächsten Jahr umgesetzt werden sollen.

Im Mittelpunkt der geplanten Veränderungen – und hier traute ich meinen Augen kaum, als ich das las – steht doch tatsächlich Instagram. „Aufgrund des großen Erfolgs der Social Media-Plattform Instagram bei der Buchcommunity wird im Mai 2021 auf der Leipziger Buchmesse eine literarische Neuheit vorgestellt, die dem Look & Feel der Online-Plattform entspricht und damit  auf zeitgemäße Weise den Konsumgewohnheiten einer modernen, digital geprägten Gesellschaft entspricht: das Instabook.“

Dabei handelt es sich um Romane, die gar nicht erst als gedrucktes Buch und auch nicht als E-Book erscheinen, sondern sofort und ausschließlich auf Instagram publiziert werden. Jedes Instabook bekommt ein eigenes Profil und einen Hashtag, mit dem es schnell aufgefunden und abonniert werden kann. Im Feed finden sich die Kapitel-Teaser und in der Story kann man, wie der Name schon sagt, die komplette Romanstory verfolgen. Die ersten Instabooks werden Unterhaltungsromane des Genres ‚Love /Romance‘ sein, die derzeit bereits geshootet werden. Im nächsten Schritt werden auch Krimis und Romane der Gegenwartsliteratur als Instabooks erscheinen. Bis 2025, so das Strategiepapier, sollen bereits 50 Prozent der Neuerscheinungen nur noch als Instabooks auf den Markt kommen. Im Jahr 2030 soll dann das gedruckte Buch komplett durch das Instabook ersetzt werden.

Natürlich müssen Bücher für eine Veröffentlichung auf Instagram grundsätzlich anders aufbereitet werden, denn Instagram ist ja in erster Linie ein visuelles Medium. „Gute Bücher und Geschichten lassen Bilder im Kopf entstehen. „Bei einem Instabook findet man diese Bilder schnell und unkompliziert im Feed und in der Story, und das entlastet den Leser von den oftmals komplizierten Identfikationsprozessen und führt schnell zu einem befriedigenden Leseerlebnis“, so das Strategiepapier.

Natürlich spielen bei diesen Planungen in erster Linie wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle, denn das gedruckte Buch ist seit Jahren ein Minusgeschäft. Und auch unter ökologischen Gesichtspunkten stellen Bücher trotz FSC-Papier aus nachhaltiger Produktion eine unzeitgemäße Belastung des Ökosystems dar. Auch in einem weiteren Punkt haben die Verfasser des Strategiekonzeptes recht: Wenn Bücher sowieso fast ausschließlich nur noch bei Instagram stattfinden, warum dann noch den Umweg über den Buchhandel nehmen und die Titel nicht gleich auf diesem Kanal platzieren?

Und damit die Bookstagrammer, die so gerne Buchcover fotografieren, nicht plötzlich ohne Fotomotiv dastehen, gibt es eine Augmented Reality-App, die ein virtuelles Buchcover in eine Auswahl verschiedener Instagram-tauglicher Szenarien projiziert. Geplant ist auch, eine filigrane und am Handgelenk mit einem Buchmotiv tätowierte Hand als Fotoaccessoire anzubieten zusammen mit einer Auswahl unterschiedlicher Geschenkpapiere als Fotohintergrund.

Alles in allem erscheint mir das ein stimmiges und vielleicht sogar erfolgversprechendes Konzept zu sein. Ich frage mich nur, warum gerade ich dieses Strategiepapier zugespielt bekommen habe, da ich ja bekanntermaßen kein besonders großer Fan von Instagram bin. Meine Frau meint dazu: „Sie nutzen dich als Kanal, weil du deine Lügen immer als Wahrheit und deine Wahrheiten als Lügen verkaufst.“

Wahrscheinlich hat sie wieder einmal recht. Jetzt bleibt nur die Frage, was davon in diesem Falle zutrifft.

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Foto: Gabriele Luger

9 Kommentare

  1. Das wäre eine grauenhafte Entwicklung, falls es tatsächlich so kommen sollte. Ich will aber noch nicht ganz glauben, dass das gedruckte Buch in den nächsten Jahren aussterben wird. Bei Instagramm bin ich gar nicht, weshalb ich auch keinen Zugriff auf Instabooks hätte.

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  2. Das Konzept klingt spannend, wird aber natürlich die Haptiker unter den Lesern nicht erreichen. Andererseits bin ich für jeden Schritt dankbar, der die foto- und videobasierte Generation Instagram an die Geheimnisse der Schrift heranführt.

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  3. „Meine Frau meint dazu: „Sie nutzen dich als Kanal, weil du deine Lügen immer als Wahrheit und deine Wahrheiten als Lügen verkaufst.“ “

    Nun sag mir bitte, dass dies der Hinweis dafür ist, dass dieser Text ein verspäteter Aprilscherz ist…

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  4. Bei dieser Aussicht hat es mich fast so gegruselt wie nach dem Lesen der Erzählung „Spitzentitel“ von Antonio Manzini. Wenn das die Zukunft wäre, würde ich nur noch die Antiquariate leerkaufen und auf alle neuen Romane verzichten.

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