Elena Ferrante – Das lügenhafte Leben der Erwachsenen

Mittlerweile habe ich fast alles von ihr gelesen oder gehört, und sogar die ersten beiden Serien-Staffeln der neapolitanischen Saga habe ich mir angeschaut. Man kann also schon sagen, dass ich so etwas wie ein Fan von Elena Ferrante bin. Genauso bin ich aber mittlerweile auch Fan von Karin Krieger, ihrer einfühlsamen Übersetzerin, von Margherita Mazzucco, die die Elena in der HBO-Serie spielt und natürlich ganz besonderes von Eva Mattes, die auch den aktuellen Roman der großen Unbekannten der Weltliteratur wieder als Hörbuch eingesprochen hat. Wenn ich auf Ferrantes literarischen Kosmos schaue, fühle ich mich reich beschenkt. Ich bin dankbar, dass ich mich auf etwas eingelassen habe, was ich zunächst als reines Frauending abgetan hatte. 

Ich kenne tatsächlich nur zwei Männer, die auch Ferrante lesen. Einer wohnt in Hamburg, der andere in Trier. Und ich muss gestehen: Meinem männlichen Ego widerstrebt es noch immer ein wenig, mich auch als Ferrante-Leser zu outen – zu sentimental und gefühlig, zu viel Familie, zu viel weibliche Selbstfindung, zu bunt und gefällig die Buchcover. Und doch tauche ich immer wieder gerne in diese Welt ein, fühle mich beim Lesen wohl und geborgen. Vielleicht – nein, ganz bestimmt sogar – liegt es ja gerade an dieser typisch weiblichen Sichtweise auf Beziehungen, Freundschaften und natürlich auch auf Männer, die einem auch in „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ wieder erwartet. 

Wenn ich mir die Welt außerhalb der Literatur so anschaue, die breitbeinige Großmäuligkeit in Politik und Wirtschaft, das rücksichtslose männliche Dominanzgebaren in Familie und Gesellschaft, dann wünsche ich mir in allen Lebensbereichen deutlich mehr weibliche Sichtweisen. Etwas mehr Feinfühligkeit, Anteilnahme und Zusammenhalt – das würde fürs Erste schon reichen, um die Welt zu einem etwas besseren Ort zu machen. Ein Anfang wäre auch gemacht, wenn etwas mehr Männer Elena Ferrante lesen würden. 

Aber bitte nicht gerade „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“. Denn das ist zusammen mit „Lästige Liebe“ in meinen Augen einer ihrer eher schwächeren Romane. Ein deutlich empfehlenswerterer Einstieg in den Ferrante-Kosmos sind da „Tage des Verlassenwerdens“, „Frau im Dunkeln“ oder gleich die vier Bände der neapolitanischen Saga. Der aktuelle Roman, der im Gegensatz zu den zuletzt erschienenen nicht neu aufgelegt, sondern nach dem großen Durchbruch neu geschrieben wurde, ist eher etwas für eingefleischte Fans, die Sehnsucht nach diesem typisch neapolitanischen Setting haben, die einfach mal wieder in Gedanken durch die Via Soundso nach Posillipo schlendern und den derben Dialekt des Rione hören wollen. Ein Blurb auf dem Umschlagklapper bestätigt meine Einschätzung: „Diesen Roman zu lesen, das ist wie eine Heimkehr.“

Und in der Tat, es ist wieder alles drin, was in einen guten Ferrante-Roman hineingehört. Die weibliche Erzählstimme, der Familienfokus, Liebe, Lüge und Verrat, zeternde Frauen, mürrische und dominante Männer. Und natürlich blitzt auch Ferrantes Überthema zwischen den Zeilen immer wieder auf:  Wie man sich mithilfe von Bildung von den Zwängen seiner Herkunft befreien kann, um ein besseres und selbstbestimmtes Leben zu führen. Gerade für Frauen im patriarchalisch geprägten Italien ist das ein wichtiges Thema und oftmals die einzige Chance, etwas anderes zu werden, als eine Pasta kochende Mama. 

Ich mag es ja, wenn Autorinnen und Autoren sich nicht mit jedem Werk neu erfinden wollen, sondern ihren Themen treu bleiben und das abliefern, wofür man sie kennt und schätzt. Die Herausforderung und eigentliche Kunstfertigkeit besteht darin, den treuen Lesern genau das zu geben, was sie schon beim letzten Buch so toll gefunden haben, ohne sich selbst zu kopieren oder zu wiederholen. Und zunächst sah es so aus, als ob Ferrante das auch diesmal wieder gelingen sollte. Schon nach den ersten drei Sätzen war ich drin in der Story und bis ungefähr zur Hälfte des Buches im altbekannten Ferrantefever gefangen. Die Geschichte der pubertierenden Giovanna, deren glückliche Kindheit zu Ende geht, als sie dem lügenhaften Leben der Erwachsenen auf die Schliche kommt, hat mir zunächst sehr gut gefallen und viel Stoff zum Nachdenken geboten. Gibt es wahre Liebe ohne Lügen, Vertrauen ohne Kontrolle und eine zweite Chance auf Glück und eine unbeschwerte Zukunft, wenn man vorher ein anderes Glück zerstört hat? Was klingt wie ein kitschiger Schlagertext, sind altbekannte Fragen, die seit Adam und Eva zwischen Mann, Frau (und Divers) verhandelt werden. 

Doch nach etwa zweihundert Seiten war die Geschichte für mich auserzählt. Ich hatte die Botschaft verstanden und brauchte nicht noch eine Begebenheit, einen weiteren erzählerischen Schwenk, um zu verstehen, dass erwachsen zu werden heißt, Lügen zu lernen. Und so schleppte ich mich zusehends gelangweilt durch die Seiten. Um es nicht einfach abzubrechen, habe ich mir noch das Hörbuch runtergeladen und mich von Eva Mattes samtiger Stimme bis zum enttäuschenden Ende tragen lassen. 

Fazit: Dieses Buch ist wie ein Heimspiel von Schalke 04. Am Ende ist man zwar frustriert und enttäuscht, aber immer noch Fan.

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Suhrkamp
Aus dem Italienischen von Karin Krieger
415 Seiten, 24,00 €

3 Kommentare

  1. Okay, ich hab’s mir fast gedacht, obwohl ich auch Fan bin. Danke also für deine Lesemeinung. Übrigens bin ich Fan von Monika Maron. Sie wird für ihr neues Buch,“ Arthur Lanz“, nicht gerade gelobt, aber darin besteht für mich doch immer wieder ein besonderer Reiz, Bücher die von der Allgemeinheit in irgendeine Ecke gedrängt werden, doch unbedingt zu lesen. Lies es doch mal 🙂 🙂 mich würde deine werte Meinung wirklich interessieren. Grüße aus dem Tal von Stefanie

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  2. Die Kritiken an ihrem jetzigen Buch betreffen nur einige aus dem Zusammenhang genommene Passagen, was ich ärgerlich finde. Z.b.,dass sie einen aus Thüringen stammenden Mann ( irgendwann ganz spät in der Geschichte) sagen lässt, dass das „ grüne Reich “ beginnt, der sich damit dann aber auf Glatteis begibt und heftigst denunziert wird, weil die Rechten das dann in den sozialen Medien genauso in ihren Parolen übernehmen usw.
    Aber es geht um etwas ganz anderes, nämlich um Mut und Männer und Freundschaft und auch um „ Ritterlichkeit“ ja, um dieses altbackene Wort im Zeitalter des Postheroismuns.

    Ich hatte schon bei dem vorletzten Buch ( Munin, oder Chaos im Kopf ) das Gefühl, dass einige Rezensenten ihr schlichtweg Deutschtümelei unterjubeln wollten. Dabei ging es um den 30 jährigen Krieg u.a. aber eigentlich ging es um eine Krähe die behauptet Gott zu sein. Herrlich!
    Ich mag das, wie sie ganz normale, jetztzeitige Alltagsabläufe ihrer Protagonisten schildert und die immer mehr angepassten Muster ohne Wertung deutlich macht.
    Ihre Figuren haben oft etwas schrulliges und sind gleichzeitig gebildet und neugierig.

    Maron ist in der DDR aufgewachsen und ungefähr jetzt 80 Jahre und schreibt eben auch aus ihren Erfahrungen, wie ich finde sehr weise und elegant und immer noch sportlich!

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