Den Verfasser eines Buches persönlich zu kennen, macht es nicht unbedingt einfacher, darüber zu schreiben. Ganz besonders, wenn man den Autor wirklich mag, sein Buch aber leider nicht. Und wenn es dann auch noch sein Debütroman ist und alle im Netz sich im anerkennenden Schulterklopfen ergehen und sich mit ihm über die vielen Vorbestellungen und die zweite Auflage freuen, dann erst recht. In diesem Fall sollte man als Hobby-Rezensent vielleicht einfach mal die Klappe halten und sich artig in die Reihe der schulterklopfenden Gratulanten einreihen.
Aber zum einen kenne ich Fabian nicht so gut, dass man von einer Freundschaft sprechen könnte, zum anderen glaube ich, dass er ein ehrliches Feedback zu schätzen weiß und auch üble Verrisse mit seinem ‚Daily Smile‘ einfach weglächeln wird. Darüber hinaus ist meine Kritik an „Immer noch wach“ wieder einmal so subjektiv und von meinen persönlichen Vorlieben geprägt, dass sie kaum zu einem allgemeinen Urteil über dieses Werk taugt. Daher will ich auch nicht lange drumherum reden, sondern mit ehrlichem Bedauern kundtun, dass dieser Roman in meinen Augen ein mit Klischees überfrachtetes Herz-Schmerz-Unterhaltungs-Dramulett der übelsten Sorte ist.
Ok, das ist jetzt vielleicht etwas hart und übertrieben. Die ‚übelste Sorte‘ nehme ich zurück. Ich kann mir vorstellen, dass es noch weitaus üblere Werke dieser Art gibt – bestimmt sogar – die mich aber nicht tangieren, weil ich sie normalerweise auf den ersten Blick erkenne und solche Bücher nie und niemals lesen würde. Doch dieses Werk hat sich sozusagen durch die Hintertür bei mir angeschlichen und ich habe leider wieder mal wertvolle Lesezeit auf einen nach Schema F konstruierten und auf maximalen Verkaufserfolg getrimmten Unterhaltungsroman vergeudet.
Generell ist Vorsicht geboten, wenn der Klappentext schon ankündigt, dass einen dieses Buch emotional stark aufwühlen wird. Und wenn dann auch noch der bevorstehende Tod des Roman-Protagonisten das zentrale Thema ist, dann kann man sich vielleicht schon vorstellen, was einen für ein Trauerspiel erwartet. Der Krebstod des Vaters, als der Romanheld noch ein Kind war, das plötzliche Ableben der Mutter nur ein paar Jahre später, diese beiden Ereignisse müssen als Rechtfertigung für alles herhalten, was der Protagonist sich selbst, seinen Freunden und letztlich uns als Lesern an emotionalen Kapriolen zumutet.
Nach einer Krebsdiagnose verweigert der Held die Therapie, trifft noch ein letztes Mal ein paar alte Freundinnen, führt tränenreiche Gespräche mit dem besten Freund und der Partnerin, nimmt an seiner eigenen vorgezogenen Begräbnisfeier teil, verabschiedet sich danach für immer von seinem alten Leben und geht zum Sterben in ein Hospiz. Da überlebt er aber auf wundersame Weise nach und nach all seine Leidensgenossen, bis eines Tages eine Ärztin auftaucht und ihm mitteilt, dass die medizinischen Befunde wohl vertauscht wurden und sein Tumor überhaupt nicht bösartig sei. So weit, so kitschig. Aber es kommt noch schlimmer.
Der Held muss das Hospiz verlassen und fährt zurück in sein altes Leben. Dort muss er feststellen, dass sich sein bester Freund mittlerweile an seine trauernde Partnerin rangemacht hat und beide ein Kind erwarten. Ein Schlag in die Magengrube – konnten sie nicht wenigstens solange warten, bis er wirklich tot war? Natürlich kann er da nicht bleiben. Aber was tun und wohin gehen? Er hatte sein Leben ja eigentlich schon abgeschlossen. Im Hospiz haben er und die anderen Gäste oft darüber nachgedacht, was sie noch gerne hätten machen wollen, wenn noch Zeit wäre. Noch einmal zurück in die alte Heimat an den Garda-See, Lindy Hop-tanzen, Schach spielen und einen Achttausender besteigen, stand auf seinem Zettel. Und da er auf einmal Zeit im Überfluss hat, beschließt der zurück ins Leben Gestoßene, die letzten Lebenswünsche der Hospizgäste zu erfüllen. Am Ende geht ihm das Geld aus, und er kehrt zurück zu Freund und Freundin, die mittlerweile gar nicht mehr zusammen und auch nicht mehr schwanger sind.
Ich hoffe, man kann jetzt in etwa nachvollziehen, was ich mit Herz-Schmerz-Dramulett meine. Was in dieser Zusammenfassung schon unglaublich kitschig klingt, ist in der epischen Breite des Romans schier unerträglich. Fabian Neidhardt zieht alle Register, um auf Teufel komm raus auch den hartgesottensten Leser zum Weinen zu bringen. Doch leider merkt man das, denn es ist alles zu offensichtlich und nach Schema F konstruiert. Daher fließt bei mir keine einzige Träne, obwohl ich für das Thema Tod wie alle am Leben hängende Menschen sehr empfänglich bin.
Auch wenn der Kern der Geschichte – die vertauschten Befunde und die wundersame Entlassung aus dem Hospiz – laut einem Bericht im Spiegel tatsächlich stattgefunden haben sollte, ist Fabian Neidhardts Roman für mich eine einzige Mogelpackung. Emotional effektheischend wird da eine Boulevardzeitungsstory weitergesponnen, mit dem allzu offensichtlichen Ziel, eine möglichst breite Leser*innen-Zielgruppe emotional zu aktivieren, Tränendrüsen zu drücken und damit einen sensationellen Verkaufserfolg zu erzielen.
Bei mir hat das nicht funktioniert. Ich schätze bei vielen anderen aber schon.
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Foto: Gabriele Luger
Verlag: Haymon
268 Seiten. 22,90 €
Oh ja! Ich muss dir leider voll und ganz zustimmen…
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