Man sollte dieses Buch vielleicht nicht gerade lesen bzw. hören, wenn einem kurz zuvor der Hund gestorben ist. Denn dann ist das Herz noch nicht wieder hart genug für eine Welt, in der es Menschen gibt, die Tiere als ihr Eigenturm betrachten, mit dem man tun und machen kann, was man will. Nach elf Hörbuchstunden „Sprich mit mir“ verabscheue ich jetzt einmal mehr alle Menschen, die keine Empathie für andere empfinden und grundsätzlich keinen Respekt vor Tieren haben. Die sich durch ihr bloßes Menschsein so überlegen und erhaben fühlen, dass sie sich nicht einmal ansatzweise infrage stellen, wenn sie anderen Lebewesen Leid antun.
Menschen wie die Primatenforscher Donald Moncrief und Guy Schermerhorn, die darüber hinaus auch keinen Anstand und im Fall des letztgenannten auch keine Eier haben. Zwei Figuren aus dem aktuellen Roman des Vielschreibers T.C. Boyle, die – wie für diesen Autor typisch – sicherlich wieder historische Vorbilder haben werden. Ich habe es nicht recherchiert, bin mir aber ziemlich sicher, dass es an irgendeiner Universität in den USA tatsächlich mal Professoren namens Moncrief und Schermerhorn gab, die Forschungen zum Spracherwerb von Schimpansen betrieben haben. Ob auch die eigentlichen Helden dieses Buches, der Schimpanse Sam und die studentische Hilfskraft Aimee, historische Figuren oder nur der Fantasie Boyles entsprungenen sind, sei dahingestellt. Aber das ist auch nebensächlich, denn sie passen. Egal ob real oder fiktiv, in allen Boyle-Romanen kann man davon ausgehen, dass jede Figur liebevoll ausgearbeitet und in ihrem Handeln und Denken stimmig und nachvollziehbar ist. Trotz der schieren Quantität an neuen Romanen, die dieser Autor Jahr für Jahr zuverlässig abliefert, stimmt bei ihm immer auch die Qualität.
Ich habe Boyle erst vor kurzem für mich entdeckt und kenne gerade mal drei seiner Romane. Doch bei aller Unterschiedlichkeit der Topics meine ich, doch eine Gemeinsamkeit entdeckt zu haben. Boyle interessieren Menschen mit einer fixen Idee. Die etwas haben, wofür sie brennen, womit sie sich, wenn alles gut läuft, im kollektiven Gedächtnis der Menschheit einen Platz sichern können. Und Professor Guy Schermerhorn ist mit seinen Spracherwerbsstudien, die er mit Schimpansen durchführt, auf dem besten Wege, genau das zu erreichen. Man stelle sich mal vor, mit einem Tier sprechen zu können – und damit meine ich, nicht nur Befehle geben, die ausgeführt werden, sondern ein echtes Gespräch. Ich frage etwas und bekomme eine Antwort – wenn das gelänge, würde es die Welt tatsächlich verändern. Wir bekämen Einblick in bis dato völlig unbekannte Sphären, würden als Menschen zum ersten Mal von einer anderen Spezies gespiegelt. Diese Story hat jede Menge Potenzial und Boyle lässt sich nicht lumpen und liefert ab.
Denkende oder gar sprechende Tiere in Romanen sind ja prinzipiell nicht so meins. Aber wenn hier die Geschehnisse aus der Sicht des Schimpansen Sam geschildert werden – der KÄFIG, der große Mann mit dem STACHEL, die anderen KÄFER – kommt bei mir als Zuhörer zu keiner Zeit Befremden auf. Das liegt sicherlich auch an der grandiosen Performance des Hörbuchsprechers Florian Lukas, der nicht nur die Schimpansen-Perspektive sondern auch alles andere wunderbar interpretiert. Grundsätzlich sind die vielen Wechsel der Erzählperspektiven, kombiniert mit zeitlichen Sprüngen, die bereits Erzähltes noch einmal aus anderer Sicht beleuchten, überaus kunstvoll konstruiert und sehr gelungen in den Handlungsverlauf integriert. Auch hier zeigt sich wieder einmal Boyles großes Können und Erzähltalent.
Und da bei diesem Roman handwerklich wieder alles so stimmig ist und nichts den Lese-, bzw. Hörfluss stört, kann man sich als Rezipient auch voll auf seine eigenen Assoziationen zum Geschilderten konzentrieren und die Gedanken schweifen lassen. Und natürlich musste ich bei allen Schilderungen der innigen Beziehung zwischen dem Schimpansen Sam und seiner Betreuerin Aimee immer wieder an meinen im Februar verstorbenen Hund denken. Und schon wieder füllen sich meinen Augen mit Tränen, wenn ich das hier schreibe. Mein Herz ist immer noch viel zu weich, und daher hat mich dieses Hörbuch mehr bewegt, als es das unter normalen Umständen getan hätte. Wer noch nie ein Haustier hatte, kann das vielleicht nicht nachvollziehen. Ob Hund, Hamster oder Schimpanse – die emotionale Bindung zwischen Mensch und Tier wächst von Jahr zu Jahr und irgendwann verschwimmen die Grenzen. Als ich im Februar nach 15 Jahren von meiner treuen Hündin Abschied nehmen musste, war ein Gedanke besonders schmerzlich und zugleich verblüffend: nämlich die Feststellung, dass der Mensch, der mir im Leben mit am meisten bedeutet hat, gar kein Mensch war.
Und so wie mir mit meiner Hündin wird es auch Aimee gegangen sein, die den ihr anvertrauten Schimpansen Sam nicht als Forschungsgegenstand gesehen hat, sondern als empfindsame Person mit Geist und Seele. Wenn dann auch noch Kommunikation und ein echtes Gespräch zwischen Mensch und Tier möglich ist, braucht es schon ein Herz aus Stein, wenn einen das kalt lässt.
„Sprich mit mir“ ist sicherlich nicht der beste Roman von T.C.Boyle. Aber einer, der mich aufgrund der geschilderten Umstände besonders berührt und mir einige Dinge wieder mal deutlich vor Augen geführt hat. Zum einen: Wie der Mensch mit Tieren umgeht, sagt viel über seinen Charakter aus. Dann: T.C. Boyle ist eine literarische Bank, die auch mit massenkompatiblen-Themen keinen Mainstream-Durchschnitt abliefert. Und nicht zuletzt: Wir brauchen Menschen mit fixen Ideen. Und sei es nur, um etwas zu haben, was wir ablehnen und bekämpfen können.
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Foto: Gabriele Luger
Verlag: Hanser
352 Seiten, 25,00 Euro
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Dirk van Gunsteren
Ungekürzte Hörbuchversion exklusiv bei audible (Hörprobe)
Sprecher: Florian Lukas
11 h, 04 Min.
Eine wunderbare weil auch sehr persönliche Besprechung. Danke für den Anstoß, mal wieder Boyle zu lesen. An diesem Buch werde ich wohl nicht vorbeikommen, weil ich generell auch die Beziehungen zwischen Mensch und Tier spannend finde. Viele Grüße
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Zugegeben, ich bin nicht sehr großzügig mit „unvoreingenommenheit“ gegenüber büchern, meist
aber positiv neugierig: halb durch mit „Talk to me“ aber, werd ichs nicht bis zum ende schaffen:
das ist mir ZU ROUTINIERT geschrieben; erstens; und zweitens, zuviel vom eigentlichen mysterium, der kommunikation zwischen spezies, ist bereits zum anfang vorausgesetzt, das von seiten Sams‘ beherrschte vokabular nämlich! die mühsamen Wege der Konditionierung, oder des Näherkommens, wenn man so wil, wir kennen sie aus dem Fernsehen: die symbol-karten, die
Lekkerli-Arrangements, die Bildschirme zum drauftippen….hier alles aufgegeben zum rascheren F0rtschreiten der Story, und, was immer Herzzerreissendes passieren wird,— mein hund und ich, wir mögen uns auch gern. mein voriger hund, ein münsterländer, schaute zu Boden, wenn ich frug „Wo ist die MAUS“; schaute um sich, wenn ich frug „Wo ist die Fliege“ und nach oben, wenn ich frug „Wo ist der Vogel“. (dummerweise steh ich noch unter dem enttäuschenden Eindruck eines dämlichen Vogel-Buchs, das zu 20 Prozent eine intime Vertrautheit mit Meisen dokumentiert, zu
80 Prozent aber ein ödes, adliges viktorianisches Familienleben… (Eva Meijer, Das Vogelhaus).
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