Christian Kracht – Eurotrash

Es gibt so ein paar Schriftstellerinnen und Schriftsteller, auf die lass ich nichts kommen. Die können Blödsinn labern oder auch mal schlechte Bücher schreiben – da sehe ich einfach drüber weg. Denn ich brauche ein paar Konstanten im Leben. Dinge und Personen, die unantastbar sind, jeglicher Kritik enthoben und einfach immer gut – Punkt. 

Ich kann das nicht rational argumentieren und da lohnt auch keine Diskussion. Vielleicht ist das sowas wie ein letzter Rest von Respekt vor der Welt der Literatur, die mir irgendwann einmal erstrebens- und bewundernswert, geheimnisvoll und spannend erschien. Und die dann, je älter ich wurde und je mehr Einblick ich bekam, immer mehr entzaubert und infrage gestellt wurde. Was zur Folge hatte, dass die Fundamente meiner literarischen Säulenheiligen zu bröckeln begannen. Jack Kerouac ist schon lange tot, John Irving müde, Bret Easton Ellis alt und weiß und Martin Walser demontiert sich mit jedem neuen Roman selbst. Wer bleibt dann noch auf dem Sockel? Zu wem kann man noch aufblicken in einer Zeit, in der entweder alle extrem woke, empört und beleidigt oder aber bockig, stur und rückwärtsgewandt sind?

Christian Kracht ist so einer. Ein Role-Modell, dem ich seit mehr als dreißig Jahren uneingeschränkten Respekt zolle, einer der letzten literarischen Helden meiner Generation. Und auch wenn ich durch die Lektüre seines aktuellen Romans mit Befremden erfahren habe, dass er sich viele Jahre lang geschminkt hat, tut das meiner Bewunderung keinen Abbruch. Kracht passt in keine Schublade, lebt in seiner eigenen, empfindsamen Welt und nichts von den aktuellen gesellschaftlichen Umwerfungen scheint zu ihm durchzudringen. Er hat seine ganz speziellen Romanthemen, die er ohne erkennbares Kalkül nach der eigenen Interessenslage auswählt und seine Leser damit immer wieder überrascht.

Aber ganz besonders ins Herz geschlossen habe ich diesen Autor durch seine schüchternen, oftmals fahrigen und unkonzentriert wirkenden öffentlichen Auftritte, die verblüffende Sprachungewandtheit, die man bei einem Autor seines Formats nicht erwartet und die im krassen Gegensatz zu seiner schriftlichen Ausdruckskraft steht. Ein Umstand, der ihm durchaus bewusst zu sein scheint, wie folgendes Zitat aus Eurotrash andeutet: 

„Ich hatte das Gefühl, ich hätte mein Leben lang nur Platitüden von mir gegeben. Nein, ich wusste, ich hatte mein Leben lang nur Platitüden von mir gegeben. Niemals war irgend etwas, was ich sagte, auf irgendeine Weise relevant gewesen, nie konnte mein Gesprochenes es mit meinem Inneren aufnehmen.“ (S. 104)

Das zur Einleitung. Kommen wir jetzt zu Eurotrash, dem neuen, nicht besonders langen, aber vielleicht umso bedeutenderen Roman von Christian Kracht. Vertraut man Denis Scheck und Ijoma Mangold, dann handelt es sich hier um ein echtes literarisches Meisterwerk, unglaublich anrührend, bissig, authentisch und mit einer außergewöhnlich starken Frauenfigur. Aber es gibt auch andere Stimmen, die den ereignislosen Plot in Kombination mit dem für Kracht typischen Plauderton als oberflächlich und extrem langweilig kritisieren. 

Und wie nach meinen einleitenden Sätzen nicht anders zu erwarten, bin ich ganz auf der Seite von Scheck und Mangold und fand diesen autofiktionalen Roman alles andere als ereignislos und langweilig. Das liegt größtenteils an den vielen autobiografischen Bezügen, bei denen man sich als Leser ständig fragt, was davon ist wahr und was fiktional? Die handelnden Personen sind schonmal echt. Kracht ist wie der Ich-Erzähler des Romans der Sohn des gleichnamigen Medienmanagers Christian Kracht, der es als rechte Hand von Axel Springer, zu Ansehen und einem beträchtlichen Vermögen gebracht hat. Die schillernde Vaterfigur, der Nazi-Großvater mütterlicherseits, die Villen und Chalets auf Sylt, in Frankreich und der Schweiz mit Original-Gemälden französischer Impressionisten an den Wänden – das alles ist authentisch und verbürgter Teil von Krachts Biografie. So ist er aufgewachsen und das alles hat ihn im Alter von 29 Jahren zum gefeierten Autor von Faserland gemacht, einem echten Kultroman meiner Generation, als dessen Fortsetzung Eurotrash jetzt gehandelt wird.

Ob Krachts Mutter aber tatsächlich dement, sowie alkohol- und tablettenabhängig ist und einen künstlichen Darmausgang hat, lässt sich nicht recherchieren und ist eigentlich auch egal. Denn die letzte Reise, die der Ich-Erzähler mit seiner über achtzigjährigen Mutter durch die Schweiz unternimmt, ist eine der schönsten literarischen Road-Novels, die ich jemals gelesen habe. Mit einem Taxi und einer Plastiktüte voller Geld geht es mal hier- und mal dorthin, ohne festes Ziel, immer nur spontanen Einfällen folgend. Wertvolle Quality-Time für Mutter und Sohn, die nie eine wirklich starke Bindung zueinander aufbauen konnten, weil ihnen ein Leben lang immer wieder das Leben mit seinen Umständen dazwischen gekommen ist.

Im Taxi und den Stationen ihrer zweitägigen Reise ist endlich mal genug Zeit, um zu reden. Zum Beispiel über den sexuellen Missbrauch, der sowohl der Mutter als auch dem Sohn in der Kindheit widerfahren ist. Ihr im Alter von elf Jahren bei einer Vergewaltigung durch einen Fahrradhändler und ihm im Alter von zwölf durch einen Priester im Internat in Kanada. Und natürlich wird auch über die Familie gesprochen, die Sadomaso-Geheimkammer des Onkels, über das durch zweifelhafte Geschäfte angehäufte Geld und nicht zuletzt auch über den künstlichen Darmausgang.

Doch auch wenn alles offen an- und ausgesprochen wird, geklärt wird zwischen den beiden dadurch gar nichts. Denn wo zeitlebens nie Nähe und Vertrautheit war, kann auch im Alter kein Verständnis mehr entstehen. Und so wird jedes Thema nur gestreift und nicht vertieft, aus Angst, die grad geknüpften, zarten Bande wieder zu zerstören. Am Ende sind beide erschöpft vom vielen Reden. Das Taxi hält wieder am Pflegeheim, Mutter und Sohn winken sich zum Abschied zu. Keiner weiß, ob sie sich noch einmal wiedersehen. Die letzten Seiten im Buch bleiben leer.

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Foto: Gabriele Luger



Verlag: Kiepenheuer & Witsch
224 Seiten, 22,00 €

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