Ulrich Peltzer – Das bessere Leben

Wenn Lesen zur Qual wird. 

Stell dir vor, du willst ein Buch lesen, aber der Autor lässt dich nicht. Legt dir tausend kleine Steine in den Weg. Formuliert sich um Kopf und Kragen, macht es absichtlich wirr und unlesbar. Du denkst zunächst, es ist ein Spiel. Eine kleine Geduldsprobe, um die Spreu vom Weizen zu trennen, die beiläufigen von den ernsthaft interessierten Lesern. Du denkst Dir, irgendwann wird er mit dem Verwirrspiel schon aufhören und vernünftig rüberbringen, was er zu erzählen hat. Aber das tut er nicht. Er treibt das Spielchen weiter, mischt Dialoge, Gedanken, Beschreibungen bunt durcheinander. Man muss höllisch aufpassen, sonst weiß man nie, wer jetzt gerade was gedacht oder gesagt hat. Am besten malt man das ganze Setting auf ein Blatt Papier, erstellt so einen Protagonisten-Interaktions-Plan. Wer mit wem und warum, an welchem Ort und zu welcher Zeit.

Ja, wenn man will, dann bekommt man „Das bessere Leben“ von Ulrich Peltzer schon irgendwie in den Griff. Ein Buch wie ein Wildpferd, dass man erst einreiten muss. Man kann es nicht aufschlagen und einfach lesen. Man muss es zähmen, ihm Zeit geben, Enttäuschungen und Frust einfach wegstecken und sich immer wieder neu aufraffen. Irgendwann, so hofft man, wird die Anstrengung bestimmt belohnt.

Doch wann ist irgendwann? Wie lange muss ich leiden und mich durch wirre Seiten quälen, bis eine Lektüre soweit eingelesen ist, dass es halbwegs erträglich wird? Warum soll ich mich um ein Buch bemühen, wenn der Autor sich augenscheinlich nicht um mich als Leser bemüht? Wenn es ihm egal ist, ob ich ihm folgen kann, wenn Verwirrung und bewusst provozierte Leseunlust als Stilelement eingesetzt werden.

Ich hätte Verständnis, wenn es um hochkomplexe Sachverhalte ginge, die man in einfachen Sätzen nicht wiedergeben kann. Oder nur sehr unzureichend. Dann könnte man sich wenigstens dumm und ungebildet fühlen und das Buch aus diesem Grunde beleidigt in die Ecke pfeffern. Aber noch nicht einmal das. Auf den ersten wirren Seiten wird in einfachen Sätzen nur ein stinknormales Romansetting aufgebaut. Es werden Orte beschrieben und Protagonisten eingeführt. Nichts, was einen durchschnittlich intelligenten Leser überfordern sollte. Es sei denn der Autor legt es bewusst drauf an.

Hier geht es Ulrich Peltzer scheinbar nicht darum, mich als Leser zu gewinnen, mich zu involvieren, zu packen, zu schocken oder was auch immer. Ich habe das Gefühl, hier geht es vielmehr um ein irgendwie geartetes literarisches Experiment, um den Bruch mit Lesegewohnheiten, um Literatur im Elfenbeinturm, neue Lektüre für literaturwissenschaftliche Proseminare. Es geht jedenfalls nicht um mich als Leser.

Und deswegen bin ich irgendwann richtig sauer geworden und habe die Lektüre nach 60 Seiten abgebrochen. Natürlich habe ich vorgeblättert und geschaut, ob es irgendwann besser wird. Aber Peltzer ist sich treu geblieben und hat sein Verwirrspiel bis zum Schluss durchgezogen. Wie bei allen mehr oder weniger unlesbaren Büchern wird es auch bei diesem Roman wieder Leser und Kritiker geben, die sich leidenschaftlich dafür einsetzen. Die sich durch die über 400 Seiten gearbeitet haben, um sich selber und allen anderen zu zeigen, dass sie es sich nicht leicht machen mit der Kunst. Dass große, echte Literatur niemals gefällig und zielgruppenorientiert ist. Dass man sich manche Werke einfach erarbeiten muss, Schritt für Schritt. Und wenn es nicht gleich beim ersten Lesedurchgang zündet, dann vielleicht bei zweiten. Oder man versucht es mal mit dem Hörbuch. Ja, solche Leser gibt es. Und für solche Leser muss es auch entsprechende Bücher geben.

Ich habe dazu keine Zeit und auch keine Lust. Denn Lesen ist für mich immer noch Spaß und keine Arbeit. Und diesen Spaß lasse ich mir durch Bücher wie das von Ulrich Peltzer nicht vermiesen.

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Titelfoto: Gabriele Luger

Verlag: S.Fischer
448 Seiten, 22,99 €
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22 Kommentare

  1. Wie anstrengend!
    „Das bessere Leben“ meine ist – nicht deine Rezension. Die ist äußerst informativ, aussagekräftig und gekonnt formuliert. Und ich bedanke mich für deine klaren Worte, die mich nun davon abhalten werden, mir dieses Buch – diese hohe Literatur – zu Gemüte zu führen.

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  2. Das ist wahrscheinlich der alte Streit und auch die Frage, ob das Lesen spannend sein muß und ich als Leser das Recht darauf habe, sowas vorgesetzt zu bekommen?
    In Österreich ist man das Experimentelle und schwer lesbar vielleicht eher gewohnt, vielleicht ist man da auch geduldiger.
    Ich tue mir jedenfalls mit Aussagen, da ist mir meine Zeit zu schade, da werfe ich das Buch lieber weg, schwer, ich finde das irgendwie überheblich und habe einmal auch einen Arno Schmidt https://literaturgefluester.wordpress.com/2011/09/16/kaff-auch-mare-crisium/ wenigstens zu Ende durchgeblättert, obwohl ich nichts mehr verstanden habe, mir ein Jahr Zeit dafür zu nehmen, habe ich allerdings auch nicht getan.
    Inzwischen, da ich mich ja jetzt schon auch durch die angeblich so leicht lesbaren Bücher, wie Weyandhttps://literaturgefluester.wordpress.com/2015/08/28/applaus-fuer-bronikowski/ und Bronsky https://literaturgefluester.wordpress.com/?s=Baba+Dunjas+letzte+Liebe, über die sich die Buchhändlerinnen freuen, gelesen habe, sehe ich das differenzierter.
    Gerade habe ich mit einem, der der sich alle Bücher gekauft hat und mir die sieben, die ich noch nicht habe, borgen will, telefoniert, ich werde mich also durch den Peltzer wahrscheinlich lesen und durch den Witzel und den Setz, die wahrscheinlich auch nicht leicht lesbarer ist und der Zaimoglu, der noch in meinem Badezimmer liegt, soll wie ich hörte, auch nicht leicht zu lesen sein.
    Ich würde die obigen Zeilen also nicht unterstreichen, ein Problem ist allerdings wahrscheinlich, daß ja angeblich vierzig Prozent der Leute nicht mehr richtig lesen können https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/07/31/leichte-sprache-leichter-lesen/, deshalb freuen sich die Buchhändler ja auch über das leicht Lesbare, da ist dann wahrscheinlich schon die Frage, was macht man mit den obigen Büchern, die zwar auf der LL stehen, aber sogar von den Bloggern reihenweise abgebrochen werden?
    Ich werde mich, wenn ich Peltzer gelesen habe, wieder melden und von meinen Eindrücken berichten.

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      1. Ich habe damals an der Uni „Das steinerne Herz“ gelesen, seitdem ist Arno Schmidt für mich das Parade-Beispiel für nicht lesbare Literatur, dagegen ist Peltzer ein Waisenknabe. Schöne Grüße, Gérard

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  3. Manchmal geht es mir auch so und Wortkapriolen um der reinen Sprachkunst willen stoßen mich eher ab. Da ist es auch in Ordnung, ein Buch wegzulegen. Mich hat die Besprechung eher neugierig gemacht, ob ich länger als bis Seite 60 durchhalten würde? Manchmal genieße ich solche undurchdringlichen Buchstabenjungel auch. Kommt auf den Autor und die Tagesform an. Aber mir stellt sich die Frage, schreibt Ulrich Peltzer für Leser? Ich meine für bestimmte Leser? Oder kommts aus ihm selbst so heraus und er kann sich nicht bremsen. Vielleicht gibt es auf der Welt ein bis zwei Hundert, die genau das genießen und einen Schauer kriegen. Einen intelektuellen Schauer meine ich. Nicht dass ich deine bitterböse Besprechung nicht schön finde. Die habe ich genossen, auch wenn ich jeden Satz verstanden habe. Oder es wird eins dieser Bücher, die alle im Schrank haben (zum Protzen) und die kaum einer gelesen hat…Ich bin gespannt

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  4. Hi Tobias,

    manchmal mag ich es ja, wenn mich Bücher ein wenig herausfordern und zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit ihnen zwingen. Aber das funktioniert nur, wenn man für seine Mühen entsprechend belohnt wird. „Unendlicher Spaß“ zum Beispiel hat mir so einige frustrierende Stunden beschert, in denen ich mich durch die Passagen kämpfen musste; zugleich war es aber auch einer der witzigsten, bewegendsten und brillantesten Romane, die ich je gelesen habe. Vielleicht gerade, weil die Lektüre nicht immer leicht war, habe ich mich im Nachhinein bereichert gefühlt. In anderen Fällen habe ich dagegen entnervt aufgegeben, weil mir meine Zeit für Mühsal ohne Freude einfach zu schade war – da ging es mir genau wie dir.

    Momentan fühle ich mich zum Beispiel stark von Frank Witzels „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion…“ herausgefordert. Mir fehlt gerade einfach die Zeit, um mich wirklich auf dieses sperrige Buch einzulassen – im Gegenzug hat mir jedoch vieles, das ich bislang darin gelesen habe, so gut gefallen, dass ich unbedingt darauf zurückkommen möchte.

    „Das bessere Leben“ werde ich mir nach deiner Rezension jedenfalls wohl erst einmal schenken. Ein besseres Leben habe ich nämlich vor allem mit Büchern, die mir auch Spaß machen (wollen).

    Beste Grüße
    Frank

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  5. Lieber Tobias,
    da haben wir ja schon wieder völlig unterschiedliche Leserlebnisse! (Auch bei Valerie Fritsch stimmen wir nicht überein 😦 ). Ja, der Peltzer macht es uns Lersern nicht so richtig leicht mit seinen Sprüngen in Raum und Zeit und ohne jeden erklärenden Kommentar. Ich habe auch, mehr als bei anderen Büchern, mit Stift, Marker und Klebezetteln gelesen, habe aber großen Spaß dabei gehabt, die verwirrten Fäden zu entwirren, die Anspielungen zu verknüpfen und den Fragen nachzugehen, was es denn ist, das bessere Leben, wovon die Protagonisten sich so verführen lassen (und wovon wir?), ob das Leben der Figuren (vielleicht auch unseres) vom Zufall bestimmt ist oder vom Schicksal. Ich fand den Roman eine ausgesprochen tolle Lektüre, endlich ein Buch – so habe ich gedacht -, dass aktuell ist, aber auch in ein paar Jahren noch lesbar; und auch: dass es völlig zurecht auf der Longlist ist.
    Vielleicht treffen wir uns ja demnächst beim bookup bei Ki-Wi? Wir haben bestimmt viel zu diskutieren :-).
    Viele Grüße, Claudia

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  6. Ich bestreite gar nicht, dass der Autor eine interessante Geschichte zu erzählen hat. Auch mich haben Klappentext und erste Kritiken neugierig gemacht und letztlich bin ich sehr enttäuscht, dass mich dieses Buch nicht erreicht hat. Ich will nicht ausschließen, dass ich im Zeitdruck des Longlist-Lesens vielleicht ein wenig ungeduldig war, dem Roman keine Zeit gegeben habe. Aber ich bin kein Typ, der sich an Büchern abarbeitet. Ich habe wenig Zeit zum Lesen und will diese wenige Zeit nicht mit einer Lektüre verbringen, die sich zieht und mir keine Freude bereitet. Ich lasse mich gerne von einer Lektüre fordern, wenn ich aber das Gefühl habe, das hier etwas ohne Not bewusst verkompliziert wird, steige ich aus.

    Trotzdem freue ich mich, wenn einige Leser das ganz anders sehen und die Lektüre dieses Buches als tolle Leseerfahrung und Bereicherung empfinden. Auf jeden Topf passt ein Deckel.

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  7. Ja! Genau so. Und ich habe mich immerhin bis zur Mitte vorgekämpft. Dann war mir aber meine Lesezeit zu schade. Mögen sich die Proseminare damit beschäftigen (obwohl ich in Proseminaren auch wesentlich bessere Bücher gelesen habe, wie z.B. Christoph Ransmayr).

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  8. Hallo Tobias, ich bin auch gerad dabei dieses Buch zu lesen und vielleicht (oder auch nicht) wird dann eine Rezension auf unserem Blog feinerbuchstoff (Ein wenig Werbung muss sein :-))). Bin schon auf Seite 90 und habe heute Morgen ein anderes Buch in den Zug mitgenommen und war baff erstaunt von den vielen positiven Rezensionen (Kritiker – nicht Leser) Halbwegs erträglich macht das Buch wenn ohne Klammer (Einschub) gelesen wird (warum mach ich jetzt eigentlich die Klammern?!) aber ich habe immer noch das dumpfe Gefühl, das bis jetzt noch nichts (null) passiert ist. Und – ja, es ärgert mich auch, wahnsinnig, diese Ignoranz dem Leser gegenüber. Wollte Peltzer uns villeicht ein kabarettistisches Werk schenken?! 🙂
    Ich werde Euch folgen….

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  9. So, jetzt kann ich was dazu sagen und muß Ihnen teilweise Recht geben.
    Das heißt, abgebrochen habe ich das Buch nicht, das tue ich nach wie vor, aus Respekt vor dem Autor und auch aus Neugier, nicht und Sätze, wie die von meiner vergeudetenLebenszeit, finde ich eigentlich blöd, aber ich habe es nicht verstanden und, um das zu tun, müßte ich es wahrscheinlich noch einmal lesen und soviel Zeit nehme ich mir dann wieder nicht!
    Ich denke, beziehungsweise, ist das nicht zu bezweifeln, Ulrich Peltzer ist ein kompetenter Autor, aber vielleicht wirklich, was für die berühmten Germanistenseminare, während, wie man ja oben lesen kann, die Durchschnittsleser das Buch wegwerfen und sagen „Ne!“
    Das kann man natürlich tun und man kann als Autor natürlich so kompliziert schreiben, wie man will, es gibt auch durchaus Leute, die das Buch für das beste halten, aber dann kommt man nicht mehr zusammen und wenn das beste Buch nur mehr, für die Germanisten geeignet ist, bleibe ich und ich bin, wie Ulrich Peltzer, auch Psychologin, etwas ratlos zurück, noch dazu da ich finde, daß mir der Klappentext das, was dann auf den vierhundertvierzig Seiten höchst kompliziert erklärt, wird, ohnehin schon beschreibt.
    Alles klar, das Leben macht die Meisten von uns korrupt und die Ideale, die wir an der Uni hatten, bringen wir nicht mehr in die Pension oder ins Grab hinein!
    Trotzdem würde ich zu mehr Geduld beim Lesen raten, beziehungsweise nehme ich die für mich in Anspruch und bin gespannt, wie es mir mit den beiden anderen Peltzer-üchern gehen wird, die noch auf meinen Stapeln liegen?
    Die werde ich mit Neugier und Interesse irgendwann lesen und für mich ist bis jetzt immer noch der Clemens J. Setz https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/10/10/die-stunde-zwischen-frau-und-gitarre/, das beste heurige dBp Buch, den Frank Witzel habe ich noch nicht gelesen!

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  10. Das ist mir beim letzten Buch, das ich von Ulrich Peltzer gelesen habe, „Teil der Lösung“, zunächst ähnlich ergangen. Es dauerte viele Seiten lang, bis ich mich mit dem Text angefreundet hatte. Die Geschichte begann mich aber immer mehr zu faszinieren und irgendwann wurde richtig süchtig nach ihr. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich es mit dem neuen Peltzer versuchen werde.

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